ギゼヴィウスとは?

 

 

 

    VORSITZENDER: Wollen Sie jetzt Ihren Zeugen rufen, Herr Dr. Pannenbecker?

 

証人ギゼヴィウスを呼びたいと思います。

DR. PANNENBECKER: Ja, Herr Vorsitzender, ich bitte darum. Ich bitte nunmehr den Zeugen Gisevius rufen zu dürfen. Er ist der einzige Zeuge im Rahmen des Beweisverfahrens für Frick. Und ich habe gerade deshalb den Zeugen Gisevius ausgewählt für die Klärung der polizeilichen Machtverhältnisse in Deutschland, weil er von Anfang an auf der Seite der Opposition gestanden hat und weil durch ihn meines Erachtens am besten ein Bild der damaligen polizeilichen Machtverhältnisse gewonnen werden kann.

 

証人ギゼヴィウス、証言台へ。

[Der Zeuge Gisevius betritt den Zeugenstand.]

 

お名前は?

    VORSITZENDER: Wie heißen Sie?

ハンス・ベルント・ギゼヴィウス。

ZEUGE HANS BERND GISEVIUS: Hans Bernd Gisevius.

 

宣誓を。

VORSITZENDER: Wiederholen Sie bitte folgenden Eid:

    Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.

宣誓文を読み上げる。

[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]

 

座って結構です。

    Sie können sich setzen.

 

あなたはナチ党員あるいはその関係分枝組織のメンバーでしたか?

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge! Sind Sie ein Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen gewesen?

いいえ。

GISEVIUS: Nein.

 

あなたが、1944720日の事件(ヒトラー暗殺・クーデター計画・挫折事件)の参加者に属していたということ、そして国防軍最高司令部にもいたということは本当ですか?

DR. PANNENBECKER: Ist es richtig, daß Sie persönlich zu den Beteiligten der Ereignisse des 20. Juli 1944 gehört haben und damals auch im OKW zugegen gewesen sind?

 

そのとおりです。

GISEVIUS: Jawohl.

あなたはどのようにして警察に勤めることになったのですか?

DR. PANNENBECKER: Wie sind Sie in den Polizeidienst gekommen?

 

19337月、法学の国家試験に合格しました。古い官僚家族の子孫として、プロイセン行政当局の官職に応募しました。わたしは当時、ドイツ国家人民党に所属し、「鉄兜団」に属していました。当時の概念では、わたしは政治的に信頼できるものでした。そこでわたしは官吏の修業の最初の職場として政治警察に配置されました。それは、当時新設されたばかりの秘密国家警察に入ることを意味していました。

GISEVIUS: Im Juli 1933 machte ich mein juristisches Staatsexamen. Als Sproß einer alten Beamtenfamilie meldete ich mich zum Staatsdienst in der preußischen Verwaltung. Ich gehörte damals der Deutschnationalen Volkspartei an und dem »Stahlhelm« und galt nach den damaligen Begriffen als politisch zuverlässig. So wurde ich als erste Station in meiner Ausbildung als Beamter der Politischen Poli

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14412 (vgl. NP Bd. 12, S. 185 ff.)]

 

当時、警察の仕事に配置されたことを非常に幸せに感じました。

zei zugewiesen, das bedeutete meinen Eintritt in die damals gerade neu gegründete Geheime Staatspolizei. Ich war damals sehr glücklich, ausgerechnet zum Polizeidienst überwiesen zu werden.

既に当時、ドイツでは言語道断の忌まわしいことが起きていたことは耳にしていました。しかし、それは、1932年の終わりから1933年はじめの内戦のような状況の最後の尻尾が問題なのだろうと考えがちでした。わたしが希望したのは、法、品位、秩序のためにふたたび正常な国家権力が面倒を見る、ということに貢献できるということでした。しかし、その喜びはつかの間に終わらざるを得ませんでした。

Schon damals hatte ich gehört, daß allerhand Abscheulichkeiten sich in Deutschland abspielten. Ich war geneigt zu glauben, es handle sich um letzte Ausläufer jener bürgerkriegsähnlichen Situationen, die wir von Ende 1932 und Anfang 1933 her kannten. So hoffte ich, meinen Tribut dabei leisten zu können, daß nun wieder eine ordentliche Staatsgewalt für Recht, Anstand und Ordnung sorgte. Aber diese Freude sollte von sehr kurzer Dauer sein.

 

「犯罪者を保護する警察」

新しい警察当局のなかでものすごい状況が支配しているのに気づくのに二日とかかりませんでした。行き過ぎた行為、殺人や拘禁、強奪に反対する警察などありませんでした。そこには、そのような違法行為に罪がある人々を保護する警察があったのです。

    Ich war noch nicht zwei Tage in dieser neuen Polizeibehörde, da hatte ich bereits entdeckt, daß dort ungeheuerliche Zustände herrschten. Da war keine Polizei, die gegen Ausschreitungen, gegen Mord, Freiheitsberaubung und Raub eintrat. Dort war eine Polizei, die diejenigen schützte, die sich solcher Exzesse schuldig machten.

恥ずべき行為に責任のあるものたちは逮捕されません。逆に、警察に助けを求めた人々が逮捕されたのです。

Verhaftet wurden nicht diejenigen, die sich dieser Schandtaten schuldig machten, verhaftet wurden diejenigen, die ihre Hilferufe zur Polizei sandten.

 

犯罪のもみ消し、それ以上に犯罪を直接鼓舞するのが警察の仕事だ、と言うような警察でした。なぜなら、突撃隊や親衛隊の部隊が私的な警察の役割を演じていても、いわゆる秘密国家警察によって激励され、彼らに考えられうるあらゆる援助が提供されていたからです。

Es war keine Polizei, die einschritt, sondern eine Polizei, deren Aufgabe es zu sein schien, zu vertuschen, noch mehr Verbrechen direkt zu fördern; denn jene SA- und SS-Kommandos, die privat Polizei spielten, wurden von dieser sogenannten Geheimen Staatspolizei ermuntert, und es wurde ihnen alle erdenkliche Hilfestellung gegeben.

もっとも恐るべきで、新参者にももっとも目に付いたのは、拘禁システムがものすごくはびこったことであり、それより悪く恐るべきものは考えられないものでした。

Am erschreckendsten und auch für einen Neuling am sichtbarsten war es, wie ein System der Freiheitsberaubung einriß, das schlimmer und furchtbarer nicht gedacht werden konnte.

新しい国家警察の建物は巨大だったが、部屋数は、逮捕者を入れるには足りなかった。秘密国家警察(ゲシュタポ)のための特別集中収容所が建設された。

    Die Räume der neuen Staatspolizei, ein Riesengebäude, reichten nicht aus, um die Gefangenen zu bergen. Es wurde ein Sonderkonzentrationslager für die Geheime Staatspolizei eingerichtet, und die Namen bleiben als Schandfleck in der Geschichte bestehen. Es war Oranienburg und das Privatgefängnis der Gestapo in der Papestraße, das Columbiahaus, oder wie es zynisch genannt wurde, die »Columbia-Diele«.

 

    Ich möchte kein Mißverständnis aufkommenlassen; im Verhältnis zu dem, was wir alle später erlebt haben, war das gewiß nur anfängerhaft, aber so fing es an, und ich kann nur meinen persönlichen Eindruck vielleicht in einer kurzen Erinnerung wiedergeben.

 

ギゼヴィウスは、同僚の警察官に尋ねてみる。「わたしは警察署にいるのか、強盗の巣窟にいるのか」と。同僚は、「あなたは、強盗の巣窟にいるのだ」と。

Bereits nach zwei Tagen fragte ich einen meiner Kollegen, es war auch ein Berufsbeamter, er war von der alten Politischen Polizei in die neue übernommen worden. Er gehörte zu den Beamten, die geradezu verurteilt waren, dieser Behörde anzugehören, und so fragte ich ihn: »Sagen Sie einmal, bin ich hier in einer Polizeibehörde oder in einer Räuberhöhle?« Ich erhielt die Antwort: »Sie sind in einer Räuberhöhle, und

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14414 (vgl. NP Bd. 12, S. 186 ff.)]

 

気をしっかりしなさい、もっとたくさん経験することになるよ、と

machen Sie sich gefaßt, Sie werden noch viel mehr erleben.«

 

当時の政治警察の長官は?

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge! Wem unterstand damals die Politische Polizei, und wer war Ihr unmittelbarer Chef?

 

ルドルフ・ディールス。彼もプロイセンの古い政治警察の出身。学歴のある職業官吏。法や礼儀をわきまえた人間と考えるだろう。しかし、野蛮で冷笑的、最後には、新しい権力者の前で民主主義者としての政治的な過去を拭い去ることを決断。彼の上司、プロイセン首相・内務大臣ゲーリングにみずからを売り込み。ディールスは、この秘密国家警察(ゲシュタポ)の考案者。

GISEVIUS: Die Politische Polizei unterstand einem gewissen Rudolf Diels. Auch er kam von der alten preußischen Politischen Polizei her. Er war ein gelernter Berufsbeamter. Man hätte denken sollen, er kannte noch die Begriffe von Recht und Anstand, aber brutal, zynisch, zum letzten entschlossen, war er gewillt, seine frühere politische Vergangenheit als Demokrat vor den neuen Machthabern vergessen zu machen und sich bei seinem weiteren Chef, dem preußischen Ministerpräsidenten und Innenminister Göring, einzukaufen. Diels war es, der dieses Geheime Staatspolizeiamt erfand. Er inspirierte Göring zu dem ersten Erlaß, diese Behörde zu verselbständigen.

ディールスは、突撃隊と親衛隊をこの官庁に入り込ませた。彼は、この民間部隊の活動を正当化した。

Diels war es, der die SA und SS in diese Behörde hineinließ. Er legitimierte die Aktionen dieser Zivilkommandos.

 

Aber bald war mir klar, so viel Unrecht konnte ein solcher bürgerlicher Renegat für sich allein nicht begehen. Er mußte einen sehr gewichtigen Hintermann haben, und sehr schnell sah ich auch, daß einer sich tagtäglich um alles bekümmerte, was in dieser Behörde geschah. Es wurden Berichte geschrieben. Es kamen telephonische Anfragen. Diels ging mehrfach am Tag zum Vortrag, und es war der preußische Innenminister Göring, der sich diese Geheime Staatspolizei als sein besonderes Reservat vorbehalten hatte. Nichts geschah in diesen Monaten in dieser Behörde, was Göring nicht persönlich wußte oder anordnete. Ich lege Wert auf diese Feststellung, weil mit den Jahren in der Öffentlichkeit sich ein anderes Bild von Göring herausgestellt hat, weil er sich zusehends von seinen Amtsgeschäften zurückzog. Damals war es noch nicht jener Göring, der zuletzt in seinem Karinhaller Marasmus erstickte. Damals war es der Göring, der persönlich sich um alles kümmerte, der auch noch nicht sich damit beschäftigte, Karinhall zu bauen oder allerhand Uniformen und Orden umzuhängen. Es war noch der Göring in Zivil, der wirklich Chef einer Behörde war und sie inspirierte und Wert darauf legte, der »eiserne« Göring zu sein.

 

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge! Ich glaube, daß Sie einige Dinge etwas knapper fassen können. Das was Sie nun eben sagten, wissen Sie das aus eigener Erfahrung, oder woher haben Sie das entnommen?

 

以上のことを自分の経験で見聞しただけではなく、同時に、ゲシュタポにいたある人物からもたくさん聞いた。その人物とは、

GISEVIUS: Ich habe es nicht nur aus eigener Erfahrung gehört und gesehen, sondern ich habe auch sehr viel gehört von einem Manne, der damals ebenfalls in

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14416 (vgl. NP Bd. 12, S. 186 ff.)]

 

刑事警察のネーベ

古いプロイセン警察では反対派の立場・・そこでナチ党員に。

しかし、かれはナチ党の目標の清潔さ・純粋さを信じていた。

 

だが、ナチの不幸行為をみて、ゲシュタポの反対者へと。

ネーベも後に、720日事件に関与・・・逮捕・処刑された。

der Geheimen Staatspolizei war und dessen Bekundungen im weiteren Verlauf meiner Aussage eine große Rolle spielen werden. Damals war in die Geheime Staatspolizei ein Kriminalist berufen worden, vielleicht der bekannteste Kriminalist der preußischen Polizei, ein gewisser Oberregierungsrat Nebe. Nebe war Nationalsozialist. Er hatte in Opposition zu der früheren preußischen Polizei gestanden und sich der Nationalsozialistischen Partei angeschlossen. Er war ein Mann, der ehrlich an die Sauberkeit und die Reinheit der nationalsozialistischen Ziele glaubte. So kam es, daß ich miterlebte, wie dieser Mann nun an Ort und Stelle sah, was gespielt wurde, und einen inneren Umschwung erlebte. Ich kann auch hier sagen, weil es wichtig ist, aus welchen Gründen Nebe zu einem scharfen Opponenten wurde, der dann den Weg der Opposition bis zum 20. Juli gegangen ist und später am Galgen den Tod erleiden mußte.

 

ネーベが驚愕した第一の事件

ネーベは、19338月、被告ゲーリングから、ナチ党の以前の指導的メンバー、グレゴール・シュトラッサーを自動車事故か、狩猟中の事故で殺すよう依頼された。この依頼が、ネーベを非常に揺さぶり、彼をひき殺すことを拒絶し、ライヒ宰相府に問い合わせを行った。ライヒ宰相府から返事が来て、この依頼を総統はご存じない、と。ネーベはそれをゲーリングに告げたところ、厳しく非難された。だが、ゲーリングは彼を詰問した後、昇進させた。それによって沈黙させようと考えたのである。

    Nebe erhielt damals im August 1933 von dem Angeklagten Göring den Auftrag, das frühere führende Mitglied der Nationalsozialistischen Partei, Gregor Strasser, durch einen Autounfall oder Jagdunfall zu ermorden. Dieser Auftrag erschütterte Nebe so sehr, daß er sich weigerte, ihn auszuführen und eine Rückfrage in der Reichskanzlei hielt. Aus der Reichskanzlei kam die Antwort, daß dem Führer dieser Auftrag unbekannt sei. Nebe wurde daraufhin zu Göring zitiert, erhielt bitterste Vorwürfe, daß er eine Rückfrage gestellt habe. Aber der Angeklagte Göring zog es vor, ihn am Ende dieser Vorwürfe zu befördern, weil er dachte, ihn dadurch schweigen zu machen.

 

ネーベを驚愕させた第二のこと・・・殺人のための政治警察への白紙全権付与。

    Das zweite, was sich damals ereignete und auch sehr wichtig ist, war, daß der Angeklagte Göring sogenannte Blankovollmachten für Morde an die Politische Polizei ausstellte. Es gab damals nicht nur sogenannte Amnestiegesetze, die die Schandtaten hinterher amnestierten, sondern es gab auch ein besonderes Gesetz, demzufolge bereits die Untersuchungen durch Polizeibehörden und die Staatsanwaltschaft niedergeschlagen werden konnten, allerdings unter der Bedingung, daß in diesen besonderen Fällen der Reichskanzler oder Göring persönlich mit ihrer Unterschrift dieses anordneten.

    Dieses Gesetz benutzte Göring, um Blankovollmachten an den Chef der Geheimen Staatspolizei auszustellen, wo lediglich die Namen der noch zu Ermordenden offengelassen wurden. Dieses Erlebnis erschütterte Nebe so sehr, daß er von diesem Augenblick an seine Pflicht tat im Kampfe gegen diese Gestapo. Er blieb auf unsere Bitten in ihr und hernach in der Kriminalpolizei, weil wir einen Mann wenigstens brauchten, der uns auf dem laufenden halten konnte über die polizeilichen Verhältnisse, für den Fall, daß unsere Wünsche eines Umsturzes in Erfüllung gehen

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14418 (vgl. NP Bd. 12, S. 187 ff.)]

 

sollten.

 

証人、あなた自身は同じことを見て、どう行動したのか?

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge! Was haben Sie nun selbst getan, als Sie diese Dinge sahen.

 

ブルジョア・サークルとの連絡、コンタクト構築、内務省、法務省、外務省、戦争省へ。さらに、陸軍指導部と繰り返し会談。

GISEVIUS: Ich meinerseits versuchte, diejenigen bürgerlichen Kreise zu erreichen, die mir auf Grund meiner Verbindungen offenstanden. Ich ging in die verschiedensten Ministerien, in das preußische Innenministerium, zum Staatssekretär Grauert und mehreren Ministerialdirektoren und Ministerialräten. Ich ging in das Reichsinnenministerium, ich ging in das Justizministerium ich ging in das Außenministerium, und ich ging in das Kriegsministerium. Ich sprach wiederholt mit dem damaligen Chef der Heeresleitung, dem Generaloberst von Hammerstein, Von all den Beziehungen, die ich damals anknüpfte, ist eine wiederum für meine Zeugenaussage besonders wichtig.

 

当時、国防軍最高司令部の新設防諜部でオスター少佐と知り合いになった。私は彼に同時入手していたすべての資料を渡した。われわれは、入手できたすべてのドキュメントを収集し、それを(1944)720日まで続けた。

    Damals lernte ich in der neugegründeten Abwehrabteilung des OKW einen Major Oster kennen. Ich gab ihm alles jenes Material, das bereits damals anfiel. Wir begannen mit einer Sammlung, die wir bis zum 20. Juli fortgesetzt haben, von allen Dokumenten, deren wir habhaft werden konnten. Und Oster ist derjenige Mann, der von nun an im Kriegsministerium nichts unterließ, jeden Offizier, den er dienstlich und außerdienstlich erreichen konnte, zu unterrichten.

オスターは、カナリス提督の保護により、防諜部参謀長になった。彼が絞首刑に処せられたとき、大将にまでなっていた。・・・彼が為したことは、ゲシュタポに対する忘れることのできたい対抗努力であり、人間性と平和に対するあらゆる犯罪への反対であった。

 Oster wurde im Laufe der Zeit durch die Protektion des Admirals Canaris Stabschef der Abwehr. Als er den Tod am Galgen erleiden mußte, war er General. Aber es liegt mir daran, bereits hier Zeugnis abzulegen, daß nach allem, was dieser Mann getan hat an unvergeßlichem Einsatz gegen die Gestapo, gegen alle Verbrechen gegen die Menschlichkeit und den Frieden, ich berechtigt bin, zu sagen, da war unter der Inflation der deutschen Feldmarschälle und Generale wirklich ein deutscher General.

 

仕事のその後はどのように?

DR. PANNENBECKER: Wie verlief nun die Arbeit weiter, die Sie beobachten konnten in der Geheimen Staatspolizei?

 

GISEVIUS: Damals waren die Zustände in Deutschland noch so, daß man in den verschiedensten Ministerien hellhörig war. Es gab noch eine Fronde in den bürgerlichen Ministerien, es gab noch den Reichspräsidenten von Hindenburg, und so kam es, daß Ende Oktober 1933 der Angeklagte Göring gezwungen wurde, den Chef der Staatspolizei Diels zu entlassen. Gleichzeitig wurde eine Säuberungskommission eingesetzt, dieses Institut von Grund auf zu restaurieren. Ihr gehörten laut dem Ministerialerlaß Nebe und auch ich an. Aber diese Säuberungskommission trat niemals zusammen. Der Angeklagte Göring wußte diese Maßnahme zu vereiteln. Er ernannte zum Chef und

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14420 (vgl. NP Bd. 12, S. 188 ff.)]

 

Nachfolger von Diels einen noch schlimmeren Nazi, einen gewissen Hinkler, der früher in einem Gerichtsverfahren wegen Unzurechnungsfähigkeit freigesprochen war, und dieser Hinkler brachte es so weit, daß kaum 30 Tage verstrichen, daß er wieder abgesetzt wurde, und nunmehr konnte der Angeklagte Göring seinen Diels wieder zurück in die Behörde bringen.

 

19331130日の法律・・・ゲシュタポをプロイセン内務省から切り離し、プロイセン首相当局に直属。

DR. PANNENBECKER: Wissen Sie etwas über die Vorgänge, die zu dem preußischen Gesetz vom 30. November 1933 führten, durch das die Aufgaben der Geheimen Staatspolizei vom Amt des preußischen Innenministers weggenommen und auf die Behörde des preußischen Ministerpräsidenten übertragen wurden?

 

ゲーリングは、ゲシュタポの仕事を覗かれないように、警察のその他の部門ときり離した。

GISEVIUS: Das war genau der Augenblick, von dem ich spreche. Göring erkannte, daß es unzweckmäßig sei, wenn andere Ministerien sich zu sehr um seine Geheime Staatspolizei bekümmerten. Trotzdem er selber preußischer Innenminister war, störte es ihn, daß die Polizeiabteilung des preußischen Innenministeriums in die Geschäfte seiner Privatdomäne hineinleuchtete, und so nahm er die Geheime Staatspolizei aus der übrigen Polizei heraus und unterstellte sie sich - ihm persönlich - unter Ausschaltung aller übrigen polizeilichen Instanzen. Das war vom Standpunkt jeder geordneten Polizei ein glatter Nonsens, denn man kann keine geordnete politische Polizei machen, wenn man sie trennt von der Kriminalpolizei und der Ordnungspolizei. Aber Göring wußte, weshalb er keine andere Polizeiinstanz in die Geschäfte der Staatspolizei hineinschauen lassen wollte.

 

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge, blieben Sie nun selbst weiter im Polizeidienst?

 

ゲーリングがゲシュタポを他の警察から切り離す一種の小さなクーデターをやったとき、わたしは、ゲシュタポによってわたしに対する逮捕命令が出された。そのことは予期し、隠れた。翌日、プロイセン内務省警察部長、ダリューゲ局長、親衛隊対象のところに出向き、逮捕令の不当さを主張。ゲシュタポの刑事担当警部が、プロイセン警察長官の職務室で、わたしを逮捕するためやってきた。ダリューゲは非常に親切で、後ろのドアから次官グラウエルトのところへ逃げさせた。そして、グラウエルトがゲーリングに掛け合った。そのような場合に何時ものように、大変驚き、厳格な調査を指示した。

GISEVIUS: An diesem Tage, wo Göring seinen, ich kann es nicht anders nennen, Staatsstreich - kleinen Staatsstreich - beging, daß er sich seine eigene Staatspolizei zulegte, wurde von dieser Geheimen Staatspolizei gegen mich ein Haftbefehl ausgestellt. Ich hatte damit gerechnet, hatte mich verborgen. Am nächsten Morgen ging ich zum Chef der Polizeiabteilung des preußischen Innenministeriums, dem Ministerialdirektor Daluege, einem hohen SS-General, und meinte, es sei ja wohl nicht ganz recht, einen Haftbefehl gegen mich auszustellen. Es kam ein Kriminalkommissar der Geheimen Staatspolizei, um mich bei diesem Chef der preußischen Polizei in seinem Dienstzimmer zu verhaften. Daluege war so freundlich, mich durch eine Hintertür zu dem Staatssekretär Grauert fliehen zu lassen, und Grauert intervenierte bei Göring. Wie immer in solchen Fällen, war Göring aufs äußerste überrascht und ordnete eine strenge Untersuchung an. Das war der Fachausdruck dafür, daß solche Zwischenfälle zu den Akten gelegt wurden. Ich

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14422 (vgl. NP Bd. 12, S. 189 ff.)]

その後は、ゲシュタポには入れてもらえず、今まさに終わろうとしていた国会炎上事件の裁判の観察者として、ライプツィヒに派遣された。わたしは11月末の何日間か、この暗黒の事件を覗き込むことができた。そして、わたしはすでにネーベとこの犯罪の解明に取り組んでいたので、そこでわたしの知識を少し豊かにすることができた。

wurde daraufhin nicht mehr in die Geheime Staatspolizei hineingelassen, sondern als Beobachter an den gerade zu Ende gehenden Reichstagsbrandprozeß nach Leipzig geschickt. Ich konnte die letzten Novembertage einen Blick in dieses dunkle Geschäft werfen, und da ich bereits mit Nebe mich um die Aufklärung dieses Verbrechens bemüht hatte, konnte ich dort meine Wissenschaft ein wenig bereichern.

 

国会炎上事件については別に証言・・・ゲーリングが関与していたこと、知っていたこと、その犯人を殺害したことをそこで明らかにしよう。

    Ich nehme an, daß ich über diesen Punkt noch befragt werde und beschränke mich deswegen hier nur darauf, zu sagen, daß ich notfalls bereit bin, dem Angeklagten Göring sein Gedächtnis über seine Mitbeteiligung und Mitwisserschaft an diesem ersten braunen Staatsstreich und an der Beseitigung der Mittäter durch Mord aufzufrischen.

 

 

193451日、フリックが、プロイセン内務大臣になりました。あなたは、フリックとの関係はありましたか?

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge! Am 1. Mai 1934 ist Frick dann preußischer Minister des Innern geworden. Sind Sie dadurch irgendwie mit Frick selbst oder mit seinem Ministerium in Berührung gekommen?

 

はい。国会炎上事件裁判の終了後ただちに、したがって1933年末、わたしは警察職を解任され、東プロイセンの州参事会事務局に配置転換となりました。その不当さを次官グラウエルトに訴えたところ、グラウエルトとダリューゲがわたしのゲシュタポとの揉め事を知っていたので、内務省に引き取ってくれました。・・・わたしが内務省にまだいることを知ったゲーリングは介入してきましたが、フリックが抵抗し、わたしは内務省に留まることができました。

GISEVIUS: Jawohl, ich wurde sofort nach Beendigung des Reichstagsbrandprozesses, also Ende 1933, aus dem Polizeidienst entlassen und nach Ostpreußen an ein Landratsamt versetzt. Ich beschwerte mich aber über diese offensichtliche Maßregelung bei dem Staatssekretär Grauert. Da dieser und der Ministerialdirektor Daluege von meinem Streit mit der Geheimen Staatspolizei wußten, holten sie mich ins Innenministerium und gaben mir die Aufgabe, alle diejenigen Berichte, die noch fälschlicherweise an die Adresse des Innenministeriums kamen, zu sammeln und zuständigkeitshalber an den preußischen Ministerpräsidenten - Geheime Staatspolizei - weiterzugeben. Sobald Göring dieses hörte, intervenierte er wiederholt gegen meine Anwesenheit im Innenministerium. Aber der Innenminister Frick stand vor der Tür, und es gelang mir, mich in diesem Posten zu halten.

 

間違って内務省にきた救援要請を集め続け、職務上の経路でダリューゲ、次官グラウエルト、大臣フリックに提出。

Als Frick kam, kam ich nicht sofort mit ihm in Berührung, dazu war ich ein viel zu untergeordneter Beamter. Aber ich nehme an, daß der Angeklagte Frick von meiner Tätigkeit und von meinen Anschauungen gewußt hat, denn ich wurde nunmehr ermuntert, weiterhin alle jene Hilferufe, die fälschlich zum Innenministerium kamen, zu sammeln, und ich habe ein Gutteil dieser Berichte dann auf dem Dienstwege Daluege, Grauert und Frick vorgelegt. Es war allerdings die Schwierigkeit, daß Göring in seiner Eigenschaft als preußischer Ministerpräsident Frick als seinem Innenminister verboten hatte, solche Berichte zur Kenntnis zu nehmen. Frick hatte sie kommentarlos der Gestapo weiterzureichen. Ich sah keinen Hinderungsgrund, sie trotzdem Frick vorzulegen, und da Frick gleichzeitig Reichsinnenminister war und in dieser Eigenschaft

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14424 (vgl. NP Bd. 12, S. 190 ff.)]

 

ゲーリングが何回も介入。ゲーリングとフリックの間で鋭い紛糾。

den Ländern, also auch Göring, Anweisungen geben konnte, nahm Frick diese Berichte im Reichsinnenministerium zur Kenntnis und duldete es, daß sie von mir mit dem Ersuchen um Bericht an Göring gesandt wurden. Göring intervenierte mehrfach, und ich weiß, daß es zu scharfen Auseinandersetzungen zwischen ihm und Frick deswegen kam.

 

ライヒ内務大臣のサイドから、保護検束権の制限の命令がだされたか?

DR. PANNENBECKER: Ist Ihnen etwas bekannt darüber, daß damals von seiten des Reichsministers des Innern bestimmte Anordnungen ergingen, die das Recht der Schutzhaft einschränken sollten?

 

GISEVIUS: Es ist richtig, daß damals eine ganze Menge solcher Anordnungen erging. Aber wenn ich sage, daß eine Menge solcher Anordnungen ergingen, liegt darin bereits enthalten, daß sie grundsätzlich von den nachgeordneten Behörden nicht befolgt wurden. Der Reichsinnenminister war ein Minister, der keine persönliche Exekutive hatte, und es wird mir als Eindruck für meine Erziehung als Beamter unvergeßlich sein, daß damals in der Geheimen Staatspolizei wir Beamte angewiesen wurden, grundsätzlich keine Anfragen aus dem Reichsinnenministerium zu beantworten. Natürlich kam in gemessenen Abständen eine Mahnung aus dem Reichsinnenministerium. Die Tüchtigkeit eines Dezernenten in der Geheimen Staatspolizei wurde nach dem Stoß solcher Mahnzettel bemessen, die er seinem Chef Diels vorlegen konnte, um zu zeigen, daß er sich um solche Sachen nicht kümmerte.

 

「いわゆるレーム一揆」問題

DR. PANNENBECKER: Es kam dann ja am 30. Juni 1934 zum sogenannten Röhm-Putsch. Können Sie eine kurze Schilderung über die Situation geben, die diesem sogenannten Putsch voranging?

 

まずいわなければならないことは、レーム一揆などは決して存在しなかった、ということです。(1934年)630日にあったことは、ただ、ゲーリング−ヒムラー一揆だけであった。

GISEVIUS: Ich muß zunächst sagen, daß es niemals einen Röhm-Putsch gegeben hat. Am 30. Juni hat es nur einen Göring-Himmler-Putsch gegeben.

わたしはこの暗黒の章についてある程度情報を提供できる位置にあります。なぜなら、内務省の警察局につとめており、この事件を取り扱い、少なくともこの事件の数日間に、ゲーリングやヒムラーからライヒの警察当局に送られた無線通信がどのようなものだったかを入手できた限りで体験したからである。こうした無線通信の最後のものは、「ゲーリングの命令(指示)により、630日に関するすべての書類を焼き捨てるように」、というものだった。

Ich bin in der Lage, über dieses düstere Kapitel einigermaßen Auskunft geben zu können, weil ich in der Polizeiabteilung des Innenministeriums diesen Fall bearbeitete und miterlebte, wie wenigstens die Funksprüche, die an diesen Tagen von Göring und Himmler an die Polizeibehörden des Reiches gesandt wurden, in meinen Besitz kamen. Der letzte dieser Funksprüche lautete, auf Anordnung von Göring seien alle Unterlagen über den 30. Juni sofort zu verbrennen. 

 

当時、関連文書をわたしの鋼鉄製金庫に保管しておくことが許された。いまだに、それらの文書がどの程度、被告カルテンブルンナー(帝国保安本部長官)の手練手管(あるいは不手際)をすりぬけたのかわらない。今でもまだわたしはこの文書を見つけ出そうと望んでいる。

しかし、630日の一日中、突撃隊SAからは一発も打たれていないことは証言できます。

    Ich habe mir damals erlaubt, diese Papiere in meinen Panzerschrank zu nehmen. Ich weiß noch heute nicht, inwieweit sie das Geschick oder Ungeschick des Angeklagten Kaltenbrunner überlebt haben. Ich hoffe immer noch, diese Papiere zu finden. Aber danach kann ich bezeugen, daß an diesem ganzen 30. Juni nicht ein Schuß von der SA gefallen ist.

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14426 (vgl. NP Bd. 12, S. 191 ff.)]

 

突撃隊SAは、一揆を起こしていません。といっても、突撃隊指導者の弁明の言葉を述べようというつもりはけっしてありません。ただ、630日に、正常な法廷手続で死んだ突撃隊指導者は一人もいません。

Die SA hat nicht geputscht, womit ich keineswegs ein Wort der Entschuldigung für die SA-Führer aussprechen will. Es ist am 30. Juni nicht ein SA-Führer gestorben, der nicht hundertfach den Tod verdient hätte, aber in einem ordentlichen Gerichtsverfahren.

 

ただ状況は、内乱状況であり、630日において、一方の側にレームと突撃隊があり、これに対峙して、他方の側にゲーリングとヒムラーがいました。突撃隊が630日の数日前に長期休暇に出されるよう仕組まれました。しかもまさにこの630日に、突撃隊指導者がヒトラーにヴィースゼーの会議に招待されました。一揆を起こそうと進軍するものたちが寝台車で行くなどということは普通ではありません。彼らは、駅で不意を襲われ、直ちに処刑の場に引き立てられました。

    Nur war die Lage, die Bürgerkriegssituation, an diesem 30. Juni so, daß sich schroff auf der einen Seite die SA mit Röhm an der Spitze, auf der anderen Seite Göring und Himmler gegenüberstanden. Es war dafür gesorgt, daß die SA ein paar Tage vor dem 30. Juni auf Urlaub geschickt wurde. Die SA-Führer wurden ausgerechnet zu diesem 30. Juni von Hitler zu einer Besprechung nach Wiessee geladen. An sich ist es nicht üblich, daß Putschisten, die marschieren wollen, im Schlafwagen zu einer Sitzung fahren. Und sie wurden dann auch am Bahnhof überrascht und sofort zur Exekution gefahren.

 

いわゆるミュンヘン一揆はつぎのようでした。ミュンヘンの突撃隊はそもそも隊伍を組んでいませんでしたし、いわゆる大逆人レームとハイネスは死んでいるかのように深い眠りの中にあって、そもそもヒトラーやゲーリングが描いているようにミュンヘンで前夜に一揆が引き起こされるなどとは予感しないでです。

    Der sogenannte Münchener Putsch spielte sich so ab, daß die Münchener SA überhaupt nicht antrat und daß eine Autostunde von München die sogenannten Hochverräter Röhm und Heines in ihren tödlichen Schlaf hineinschliefen, ohne überhaupt zu ahnen, daß nach den Schilderungen von Hitler und Göring am Abend zuvor in München sich ein Putsch abgespielt haben sollte.

 

ベルリンの一揆を、わたしは非常に正確に観察できました。それは、公衆や突撃隊をまったく排除して行われました。われわれ警察のなかで一揆については何も気づきませんでした。それとは反対に、一揆首謀者とされるベルリンの突撃隊隊長カール・エルンストは、630日の4日前、ベルリンで突撃隊が一揆を望んでいるという噂が徘徊していると、局長ダリューゲのところに心配してやってきたというのは本当です。エルンストは、内務大臣フリックとの話し合いを要請し、フリックに対し一揆など計画していないと保障できると伝えたいと。ダリューゲはわたしをこの打ち合わせのためにフリックのところに派遣し、わたしが、このSAとのもともとの会談を仲介しました。その会談では突撃隊指導者がライヒ内務大臣に一揆など欲していないと保障しました。

    Der Putsch in Berlin konnte von mir sehr genau beobachtet werden. Er spielte sich absolut unter Ausschluß jeglicher Öffentlichkeit und der SA ab. Wir in der Polizei haben von ihm nichts gemerkt. Dagegen ist richtig, daß einer der angeblichen Hauptputschisten, der Berliner SA-Gruppenführer Karl Ernst, vier Tage vor dem 30. Juni sehr besorgt zu dem Ministerialdirektor Daluege kam, es schwirrten in Berlin Gerüchte herum, die SA wolle putschen. Er bäte um eine Unterredung bei dem Innenminister Frick, damit er diesem versichern könne, es sei kein Putsch geplant. Daluege schickte mich mit diesem Auftrag zu dem Angeklagten Frick, und ich habe diese originelle Unterredung, wo ein SA-Führer dem Innenminister des Reiches versicherte, nicht putschen zu wollen, selber vermittelt.

 

それから、カール・エルンストは休養旅行でマデイラに行きました。彼は、630日、外洋汽船から下船してベルリンに帰還し、処刑されることになりました。わたしは彼がテンペルホーフ空港に到着したのを自分の目で見ました。これはわたしには非常に興味深く見えました。というのは、わたしは数時間前に、彼の処刑の公式報道を新聞で読んでいたからです。

    Karl Ernst fuhr dann auf eine Erholungsreise nach Madeira. Er wurde am 30, Juni von diesem Ozeandampfer weg nach Berlin zur Exekution gebracht. Ich habe seine Ankunft auf dem Flughafen Tempelhof selber erlebt, was mir deshalb besonders interessant erschien, weil ich wenige Stunden zuvor die amtliche Meldung seiner Hinrichtung in den Zeitungen gelesen hatte.

    Das war also der sogenannte SA- und Röhm- Putsch, und weil ich nichts zu verschweigen habe, habe ich höchstens noch hinzuzufügen, daß ich zugegen war, wie der Angeklagte Göring die Presse am 30. Juni über diesen Vorfall unterrichtete. Bei dieser

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14428 (vgl. NP Bd. 12, S. 192 ff.)]

 

ひとらーとゲーリングの打ち合わせ・・・ゲーリングはさらにシュライヒャーなどの将軍を巻き添えに。

Gelegenheit fiel das böse Wort, er, der Angeklagte Göring, habe seit Tagen auf ein mit Hitler verabredetes Stichwort gewartet. Er habe dann zugeschlagen, natürlich blitzschnell, aber er habe auch seinen Auftrag erweitert. Diese Auftragserweiterung kostete einer großen Anzahl unschuldiger Menschen das Leben. Ich erinnere nur an die Generale von Schleicher, der sofort mit seiner Frau ermordet wurde, von Bredow, den Ministerialdirektor Klausner, Edgar Jung und viele andere.

 

証人。あなたは当時省内にいました。フリックはこの処理についてどのようにして知ったのでしょう?彼は、子のいわゆる一揆の鎮圧に自分自身で何か介入しましたか?

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge! Sie sind ja selbst damals im Ministerium gewesen. In welcher Weise hat Frick von diesen Maßnahmen erfahren, und ist er selbst irgendwie eingeschaltet worden in die Niederschlagung dieses sogenannten Putsches?

 

わたしは個人的に、10時半ごろ、ダリューゲ局長がどのようにしてゲーリングのところから青ざめて帰ってきたか、彼にまさに何が起きたかが伝達されたかを経験しました。

GISEVIUS: Ich habe persönlich miterlebt, wie gegen einhalb zehn Uhr der Ministerialdirektor Daluege bleich von Göring zurückkam und ihm gerade mitgeteilt worden war, was sich abgespielt hatte.

ダリューゲとわたしはグラウエルトのところにいき、さらにライヒ内務大臣フリックのところに行きました。彼は部屋から飛び出してきました。彼は10時頃、ゲーリングのところに行き、そこでこの間に何が起きたかを聞かされていたようです。同時に彼は、ライヒの警察大臣としては自分の家に帰らなければならないこと、事態のこの後の経過に関しては心配すべきではないことを聞かされたようです。

Daluege und ich gingen zu Grauert, und wir fuhren hinüber ins Reichsinnenministerium zu Frick. Frick stürzte aus dem Zimmer, es mag gegen zehn Uhr gewesen sein, um zu Göring zu fahren und dort zu erfahren, was sich inzwischen abgespielt hatte, und zugleich in Erfahrung zu bringen, daß er als Polizeiminister des Reiches nun nach Hause zu gehen habe und sich über den weiteren Ablauf der Dinge nicht kümmern solle.

 

実際、フリックは家に帰り、劇的な二日間、省内には立ち入りませんでした。一度、ダリューゲはわたしと彼のところに出向き、この血の土曜日と日曜日に、いかにひどいことがドイツで演じられたかを伝えました。

In der Tat fuhr Frick nach Hause und hat in beiden dramatischen Tagen das Ministerium nicht betreten Einmal fuhr Daluege mit mir zu ihm. Im übrigen blieb es mir, als dem jüngsten Assessor des Reichsinnenministeriums, an diesem blutigen Sonnabend und Sonntag vorbehalten, dem Innenminister des Reiches mitzuteilen, was für entsetzliche Dinge sich inzwischen in Deutschland abgespielt hatten.

 

証人。あなたはいままさに、フリックが受け取った指令、すなわち、この件に介入しないようにという指令について語りました。フリックは、誰からこの指令を受け取ったのでしょうか?

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge! Sie sprachen gerade von einer Weisung, die Frick erhalten habe, sich nicht in die Dinge einzumischen. Von wem hat er diese Weisung bekommen?

 

わたしの知る限り、ゲーリングが彼にヒトラーの指令を伝えました、あるいは話しました。文書の指令があったのかどうか、わたしは知りませんし、フリックがそれをたずねたかどうかも知りません。

GISEVIUS: Soviel ich weiß, hat ihm Göring eine Weisung Hitlers übergeben oder ausgesprochen. Ich weiß nicht, ob eine schriftliche Weisung vorlag, weiß auch nicht, ob Frick danach gefragt hat. Ich könnte mir denken, daß Frick an diesem Tage dachte, daß es sich nicht empfahl, gar zu viele neugierige Fragen zu stellen.

 

DR. PANNENBECKER: Hat nun, nachdem die Dinge abgeschlossen waren, Frick sich eingeschaltet, um die eingetretenen Folgen in irgendeiner Weise zu mildern?

 

GISEVIUS: Um diese Frage richtig beantworten zu

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14430 (vgl. NP Bd. 12, S. 193 ff.)]

 

630日、土曜日の夕方、わたしたちは内務省内にいて何が起きたかほとんど知りませんでした。しかし、日曜日、71日、われわれは非常にたくさんのことを知りました。うたがいもなく、フリックは血の日々が過ぎ去った時、すでに大体において何が起きたのか明確な像を持っていたはずです。

können, muß ich zunächst sagen, daß am Sonnabend, den 30. Juni, wir im Innenministerium sehr wenig wußten, was sich abgespielt hatte. Am Sonntag, den 1. Juli, erfuhren wir sehr viel mehr, und zweifellos hat Frick, als die blutigen Tage vorüber waren, schon im großen ganzen ein klares Bild gehabt, was sich abgespielt hatte.

 

彼は、当時、公然たる殺人と拘禁が行われたことへの彼の憤慨を隠そうとしませんでした。しかし、真実に基づくためにあなたの質問には以下のように答えましょう。すなわち、フリックの最初の反応は、ライヒ大臣諸氏が630日の出来事が当然だと決めたあの法律だったということです。

Er hat mir auch in diesen Tagen aus seiner Entrüstung kein Hehl gemacht, daß offensichtliche Morde und Freiheitsberaubung vorgelegen hatten. Um bei der Wahrheit zu bleiben, muß ich also Ihre Frage zunächst dahin beantworten, daß die erste Reaktion des Angeklagten Frick, die mir zugänglich wurde, jenes Reichsgesetz war, in dem die Herren Reichsminister beschlossen, daß die Ereignisse des 30. Juni rechtens seien.

 

この法律は、この後にドイツで起きることに計り知れない心理的影響を持つものでした。

    Dieses Gesetz ist von einer unerhörten psychologischen Folgewirkung für die kommenden Dinge in Deutschland gewesen. Es ist aus der Geschichte des deutschen Terrors nicht hinwegzudenken.

 

Andererseits geschah sehr viel im Dritten Reich, was ein normaler Sterblicher nicht verstehen konnte und was man nur in den Regionen der Minister und Staatssekretäre begreifen konnte, und so muß ich dem Angeklagten Frick zugeben, daß er nach diesem Gesetz sich eine große Mühe gab, die offensichtlichsten Mißstände wieder gutzumachen.

 

おそらくフリックは、内閣で他の大臣が口を開くべきだと考えたでしょう。他の大臣とは、フォン・ブロンベルク戦争大臣であり、二人の将軍が射殺されているにもかかわらず、子の法律に署名したのですから。

Vielleicht hat er gedacht, daß im Reichskabinett andere Minister eher den Mund aufmachen mußten, ich erinnere an den Reichskriegsminister von Blomberg, dem zwei Generale erschossen wurden und der trotzdem dieses Gesetz unterzeichnete. Ich nenne den Namen Blomberg hier bewußt und bitte, einen Augenblick mich unterbrechen zu dürfen und von einem Zwischenfall Mitteilung machen zu dürfen, der sich heute morgen abgespielt hat. Ich befand mich im Anwaltszimmer im Gespräch mit dem Rechtsanwalt Dr. Dix. Herr Dix wurde unterbrochen von Herrn Rechtsanwalt Stahmer, dem Verteidiger des Angeklagten Göring. Ich hörte, was Herr Stahmer Herrn Dix sagte...

 

DR. OTTO STAHMER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN GÖRING: Ich weiß nicht, ob das Gegenstand der Beweisaufnahme ist - ein persönliches Gespräch, das ich mit Herrn Dr. Dix geführt habe.

 

GISEVIUS: Es ist nicht... ich spreche nicht...

 

VORSITZENDER: Herr Zeuge! Sagen Sie bitte nicht weiter aus, solange über den Einspruch nicht entschieden ist. Bitte, Dr. Stahmer!

 

GISEVIUS: Ich habe das nicht verstanden.

 

DR. STAHMER: Ich weiß nicht, ob das Gegenstand der Beweisaufnahme ist, hier ein Gespräch zu offenbaren, das ich im Anwaltszimmer mit Herrn Dr. Dix persönlich geführt habe.

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14432 (vgl. NP Bd. 12, S. 194 ff.)]

 

GISEVIUS: Darf ich dazu etwas sagen?

 

VORSITZENDER: Wollen Sie bitte nichts weiter sagen.

 

GISEVIUS: Darf ich meine Mitteilung beenden?

 

VORSITZENDER: Bitte sprechen Sie nicht, mein Herr.

 

DR. STAHMER: Ich habe heute morgen im Anwaltszimmer ein persönliches Gespräch mit Herrn Dr. Dix geführt, das den Fall Blomberg betrifft. Dieses Gespräch war nicht für den Zeugen bestimmt. Ich kenne den Zeugen gar nicht, habe den Zeugen auch gar nicht gesehen, jedenfalls meines Wissens nicht gesehen, und ich weiß nicht, ob es Gegenstand der Beweiserhebung ist, wenn hier ein solches Gespräch der Öffentlichkeit mitgeteilt wird.

 

JUSTICE JACKSON: Über diesen Zwischenfall ist mir berichtet worden, und ich bin der Ansicht, daß es für den Gerichtshof wichtig ist, von den Drohungen zu erfahren, die gegen diesen Zeugen im Gerichtsgebäude erhoben wurden, während er auf seine Vernehmung wartete. Die Drohungen richteten sich nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen den Angeklagten Schacht. Die Sache ist mir berichtet worden, und ich halte es für wichtig, daß der Gerichtshof davon erfährt. Ich glaube, es ist wichtig, daß das herauskommt. Ich hätte versucht, es im Kreuzverhör herauszubringen, wenn letzt nicht darüber gesprochen worden wäre, und ich glaube, daß die Aussage des Zeugen darüber zugelassen werden sollte. Die Gegenpartei hat sich hier viel Freiheit herausgenommen; wenn ich recht verstanden habe, sind gegen den Zeugen Drohungen ausgesprochen worden in seiner Gegenwart, gleich, ob sie gegen ihn beabsichtigt waren oder nicht. Ich bitte den Gerichtshof, Dr. Gisevius, der der einzige Stellvertreter der demokratischen Kräfte in Deutschland ist, die Möglichkeit zu geben, als Zeuge seine Geschichte zu erzählen.

 

VORSITZENDER: Dr. Stahmer! Der Gerichtshof möchte zuerst hören, was Sie weiter über diese Angelegenheit zu sagen haben Dann werden wir hören, was Dr. Dix zu sagen hat, wenn er etwas dazu erklären will, und dann wird der Gerichtshof hören, ob der Zeuge etwas darauf zu antworten hat.

 

DR. STAHMER: Ich habe gar keine Bedenken, dem Gericht Klarheit darüber zu geben, was ich gesagt habe. Ich habe gestern abend mit dem Angeklagten Göring den Fall besprochen und habe ihm mitgeteilt, daß der Zeuge Gisevius voraussichtlich...

 

VORSITZENDER: Wir wollen nicht hören, welche Unterredung Sie mit dem Angeklagten Göring gehabt haben, sondern nur, was Sie jetzt zur Begründung

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14434 (vgl. NP Bd. 12, S. 195 ff.)]

 

Ihres Einwandes gegen diese Aussage des Zeugen zu sagen haben.

 

DR. STAHMER: Herr Präsident! Es gehört nur ganz kurz dazu; Göring hat mir gesagt: Ob der Zeuge Gisevius ihn belaste, interessiere ihn gar nicht, aber er möchte nicht, daß der erst kürzlich verstorbene Blomberg, und zwar handelt es sich da, soviel wie ich angenommen habe, nur um die Ehe des Herrn Blomberg, daß dieser Vorgang, der die Ehe des Blomberg beträfe, hier vor aller Öffentlichkeit zur Sprache käme. Wenn das nicht verhindert werden könne, dann würde allerdings Göring auch seinerseits, und zwar handelt es sich nur um Schacht, weil Schacht diese Dinge, soweit wie mir gesagt war, zur Sprache bringen würde, dann würde er allerdings auch jede Rücksicht auf Schacht fallen lassen.

    Das ist das, was ich dann heute morgen dem Rechtsanwalt Dix mitgeteilt habe. Ich glaube, das wird mir Rechtsanwalt Dix bestätigen, und zwar habe ich das, wenn ich das noch sagen darf...

 

VORSITZENDER: Sie werden gleich zu Wort kommen, Dr. Dix.

 

DR. STAHMER:... und zwar habe ich gesagt, ich möchte lediglich - das war weder für Schacht noch war es für den Zeugen bestimmt, noch war es hier für Herrn Pannenbecker, sondern ich habe gesagt, aus kollegialen Gründen möchte ich es Herrn Dr. Dix mitteilen. Das ist das, was ich gesagt und getan habe. Daß der Zeuge Gisevius da war, habe ich in dem Moment jedenfalls nicht gewußt, es war jedenfalls in keiner Weise für ihn bestimmt. Ich habe, wenn ich weiß, auch abseits mit Herrn Dr. Dix gesprochen.

 

VORSITZENDER: Damit ich Sie recht verstehe, Sie sagen, daß Sie Dr. Dix den wesentlichen Inhalt Ihrer Unterredung mit Göring mitgeteilt haben und erklärten, daß Göring seine Einwendung gegen eine Wiedergabe der Tatsachen zurückziehen würde, wenn der Angeklagte Schacht wünschte, daß über sie ausgesagt werde. Stimmt das?

 

DR. STAHMER: Nein. Göring wäre es gleich, was über ihn gesagt würde. Er möchte nur den toten Blomberg geschont wissen, und er möchte nicht, daß Dinge, die die Ehe des Blomberg beträfen, zur Sprache kämen. Wenn Schacht das nicht verhinderte - ich habe nur von Schacht gesprochen -, dann wolle er seinerseits auch die Rücksicht gegen Schacht fallen lassen, keine Rücksicht mehr auf Schacht nehmen, und das ist das, was ich Herrn Dr. Dix aus kollegialen Gründen mitgeteilt habe.

 

VORSITZENDER: Warten Sie einen Augenblick bitte, ich kann Sie nicht hören. Nun?

 

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14436 (vgl. NP Bd. 12, S. 196 ff.)]

 

DR. STAHMER: Ja, wie gesagt, ist das das, was ich Dr. Dix, und zwar lediglich aus kollegialen Gründen mitgeteilt habe. Damit war das Gespräch beendet, und ich habe Dr. Dix gegenüber ausdrücklich hervorgehoben, ich sage ihm das nur aus kollegialen Gründen.

 

 

VORSITZENDER: Weiteres haben Sie dazu nicht vorzubringen?

 

DR. STAHMER: Nein.

 

DR. RUDOLF DIX, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SCHACHT: Den Vorgang habe ich - und, wie ich glaube, gut und zuverlässig - wie folgt in Erinnerung:

    Ich stand heute früh im Anwaltszimmer im Gespräch mit dem Zeugen Dr. Gisevius, und ich glaube, auch mein Kollege Professor Kraus war mit in diesem Gespräch. Hierauf trat der Kollege Stahmer an mich heran und sagte, er müsse mich sprechen. Darauf sagte ich, ich wäre im Moment in einer wichtigen und eiligen Besprechung mit Gisevius, ob es nicht Zeit hätte. Darauf sagte mir der Kollege Stahmer, nein, er müßte mich sofort sprechen.

    Ich trat darauf vielleicht fünf oder sechs Schritte seitlich von meiner bisherigen Gesprächsgruppe mit dem Kollegen Stahmer. Kollege Stahmer sagte mir folgendes: Es ist durchaus möglich - ich weiß nicht mehr genau, daß er die Worte, was er mir sagte, eingeleitet hat mit den Worten, er sage mir das aus kollegialen Gründen. Wenn er das sagt, so wird es sicher so gewesen sein, ich weiß es nicht mehr. Er sagte mir: »Hören Sie mal, der Göring steht auf dem Standpunkt, daß ihn der Gisevius soviel angreifen kann, wie er will, wenn er aber den Blomberg, den toten Blomberg angreift, dann wird Göring auspacken, und zwar gegen Schacht, denn er weiß eine ganze Menge von Schacht, was Schacht unangenehm sein würde. Er, Göring, habe bei seiner Aussage zurückgehalten; aber wenn, wie gesagt, Blomberg, der tote Blomberg angegriffen werden würde, dann würde er gegen Schacht auspacken.« Das war das - oder dem Sinne nach, würde er Dinge gegen Schacht vorbringen; das war das Gespräch. Ich kann nicht mit völliger Bestimmtheit - oder ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, daß der Kollege mir gesagt hat, ich möge Gisevius darauf aufmerksam machen. Wenn er sagt, er habe es nicht gesagt, dann ist es sicher wahr, und ich glaube ihm. Ich konnte aber diese Mitteilung gar nicht anders auffassen, als daß ich dem Gisevius diese von Göring vorausgesagte Entwicklung mitteilte, ich glaubte - ich hatte nicht den geringsten Zweifel - damit im Sinne und im Auftrage von Göring beziehungsweise des Kollegen Stahmer zu handeln, daß das der Zweck der ganzen Übung war; denn wozu sollte denn sonst Herr Stahmer mir in dem Moment,

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14438 (vgl. NP Bd. 12, S. 197 ff.)]

 

das war unmittelbar vor der Aussprache mit Gisevius, wo ich mit Gisevius im Gespräch stehe, wo er mir sagte, er hätte keine Zeit, ich müßte das Gespräch unterbrechen; wozu sollte er es mir, dann mitteilen, als daß eben dieses von Göring gemeinte und in Aussicht gestellte Unheil eventuell vermieden würde, beziehungsweise daß eben der Zeuge Gisevius, auf den es ankam, sich den Umfang seiner Aussage diesbezüglich überlegen solle. Also ich habe gar keinen Zweifel gehabt, daß es der Zweck der Mitteilung des Herrn Stahmer an mich war, von dieser Mitteilung Gisevius Mitteilung zu machen. Wie gesagt, wenn Herr Stahmer mir nicht gesagt hätte - und er hat sicher die Wahrheit gesagt, wenn er sagt, er hätte mir es nicht ausdrücklich gesagt -, so hätte ich, wenn ich zuerst gefragt worden wäre, wahrscheinlich mit genau demselben guten Gewissen gesagt, er hätte gesagt, sagen Sie es dem Gisevius. Aber auf dies, nein, nein... Auf diesen Wortlaut will ich mich in keiner Weise festlegen. Jedenfalls, daran ist kein Zweifel, so hat die Unterhaltung stattgefunden, und ich habe sofort geglaubt, im Sinne von Dr. Stahmer und Göring zu handeln, wenn ich nun unmittelbar - denn ich trat ja wieder zu Gisevius zurück, er stand ja fünf oder sechs Schritte von mir entfernt, oder noch weniger. Ich habe ihn sogar vorher einleitend verstanden, er hätte Teile davon gehört. Ich weiß nicht, ob ich ihn richtig verstanden habe - ich habe ihm von dem Inhalt dieses Gespräches Mitteilung gemacht. Das ist der Vorgang, wie er sich heute früh abgespielt hat.

 

DR. STAHMER: Darf ich nochmals folgendes erklären: Ich habe selbstverständlich weder Dr. Dix den Auftrag gegeben, das Gisevius mitzuteilen, noch habe ich damit gerechnet, sondern ich bin von folgendem ausgegangen, daß Gisevius heute vormittag noch vernommen würde, und daß der Zeuge von Herrn Dr. Dix nach den Eheverhältnissen von Blomberg gefragt würde. So war es mir nämlich mitgeteilt worden vorher, daß Herr Dr. Dix diese Frage an den Zeugen stellen würde, und deswegen habe ich Herrn Dr. Dix darauf hingewiesen, in der Annahme, daß er dann von einer solchen Frage, die die Eheverhältnisse Blombergs betraf, Abstand nehmen würde. Irgendwie für den Zeugen war das gar nicht bestimmt, und ich weiß mit aller Bestimmtheit, daß ich Herrn Dr. Dix gesagt habe. ich mache aus kollegialen Gründen diese Mitteilung und daß er sich dabei noch bei mir bedankt hat dafür. Er hat noch gesagt: »Ich danke Ihnen sehr.« Jedenfalls, wenn er mir gesagt hätte: »Ich werde das dem Zeugen mitteilen«, dann hätte ich sofort gesagt: »Um Gottes willen, das ist ja nur eine Mitteilung, die für Sie persönlich bestimmt ist.« Und ich bin wirklich etwas überrascht, daß hier Herr Dr. Dix das Vertrauen, das ich ihm entgegengebracht habe, in dieser

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14440 (vgl. NP Bd. 12, S. 198 ff.)]

 

Weise...

 

VORSITZENDER: Herr Dr. Stahmer! Wir haben jetzt gehört, wie sich die Sache abgespielt hat; ich glaube, wir brauchen nicht mehr darüber zu hören, als was wir zur Prüfung der Frage brauchen, ob wir den Zeugen seine Aussage fortsetzen lassen sollen.

 

[Zum Zeugen gewandt:]

 

Herr Zeuge! Hat die eben von Dr. Dix und Dr. Stahmer gegebene Erklärung die Dinge, die Sie in Bezug auf Feldmarschall von Blomberg aussagen wollten, genügend klargestellt? Wollen Sie noch etwas hinzufügen?

 

    GISEVIUS: Ich bitte um Entschuldigung, ich habe vielleicht die Frage nicht richtig verstanden.

    Zu Blomberg, in diesem Punkte wollte ich nicht mehr aussagen; ich wollte nur bei der ersten Gelegenheit, wo der Name Blomberg fiel, bekanntgeben, daß ich mich den ganzen Umständen nach unter Druck gesetzt fühlte, so wie ich die Dinge erlebte; denn ich stand bei der Szene so nahe, daß ich hören mußte, was Dr. Stahmer sagte, und die Form, wie Dr. Dix mir dieses mitteilte, was ich mindestens zur Hälfte gehört hatte, konnte nicht anders aufgefaßt werden, als daß Dr. Dix loyalerweise mich als Zeugen des Angeklagten Schacht unterrichtete, in einem von mir sehr wichtig gehaltenen Punkte mit meiner Aussage zurückzuhalten. Dieser Punkt kommt erst später und bezieht sich keineswegs auf die Ehe des Herrn von Blomberg. Er bezieht sich auf die Rolle, die der Angeklagte Göring dabei gespielt hat, und ich weiß sehr genau, weswegen Göring nicht wünscht, daß ich über diese Sache spreche; denn sie ist das schlimmste Stück, was Göring sich geleistet hat - nach meinem Dafürhalten -, und Göring hängt sich hier nur einen Mantel der Ritterlichkeit um, mit dem er angeblich einen Toten schützen will, in Wirklichkeit aber mich hindern wollte, zu einem wichtigen Punkt, nämlich der Fritsch-Krise, umfassende Aussagen zu machen.

 

VORSITZENDER: [zu Dr. Pannenbecker gewandt] Dann wird der. Gerichtshof die Aussage anhören, und zwar jede Aussage, die Sie von dem Zeugen wünschen.

 

GISEVIUS: Ich bitte um Entschuldigung. Was ich in diesem Zusammenhang zum Fall Blomberg zu sagen habe, ist erledigt; ich wollte nur das erstemal, wo der Name fiel, bereits mich dagegen verwahrt haben, oder durchzusetzen...

 

VORSITZENDER: Dann wird der Verteidiger das Verhör fortsetzen. Sie werden die Dinge, die erheblich sind, aussagen, wenn Sie von Dr. Dix für den An

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14442 (vgl. NP Bd. 12, S. 199 ff.)]

 

geklagten Schacht ins Kreuzverhör genommen werden.

 

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge! War nun nach den Ereignissen des 30. Juni 1934 die Stellung der Gestapo eine so starke geworden, daß irgendwelche Maßnahmen dagegen keinen Erfolg mehr versprachen?

 

GISEVIUS: Ich muß diese Frage verneinen. Die Staatspolizei gewann durch den 30. Juni zweifellos an Macht, aber durch die vielen Ausschreitungen des 30. Juni war auch die Opposition in den verschiedensten Ministerien gegen die Geheime Staatspolizei so groß, daß bei einer zusammengefaßten Aktion die Mehrheit der Minister diesen Anlaß des 30. Juni zur Eliminierung der Staatspolizei hätte benützen können. Ich persönlich habe mich mehrfach in dieser Hinsicht bemüht. Ich bin mit Wissen des Angeklagten Frick bei dem Justizminister Gürtner gewesen und habe mehrfach ihn beschworen, man möge die Anzahl der illegalen Morde als Anlaß zum Einschreiten gegen die Geheime Staatspolizei wählen. Ich bin persönlich bei dem damaligen Chef des Wehrmachtsamtes, von Reichenau, gewesen und habe ihm dasselbe gesagt. Ich weiß, daß mein Freund Oster Akten in dieser Hinsicht Blomberg zur Kenntnis brachte; und so möchte ich hier bezeugen, daß trotz der Exzesse des 30. Juni es sehr wohl möglich gewesen war, damals noch zu Recht und Ordnung zurückzukehren.

 

DR. PANNENBECKER: Was ist nun von der Seite des Reichsministers des Innern, also von der Seite Fricks aus danach noch geschehen, um die Geheime Staatspolizei in legale, gesetzmäßige Bahnen zu bekommen?

 

GISEVIUS: Es begann ein Kampf gegen die Geheime Staatspolizei, in dem wir versuchten, wenigstens Himmler den Weg zu versperren in das Reichsinnenministerium. Kurz bevor Göring das Innenministerium an Frick abgetreten hatte, hatte er Himmler zum Chef der Geheimen Staatspolizei in Preußen gemacht. Himmler hatte versucht, von dieser Machtbasis die Polizeigewalt in den übrigen Ländern zu erhalten. Frick versuchte, dieses zu verhindern, indem er sich auf den Standpunkt stellte, als Reichsinnenminister habe er ein Mitspracherecht bei der Ernennung von Polizeifunktionären im Reich. Desgleichen versuchten wir ein Anwachsen der Geheimen Staatspolizei zu verhindern, indem wir die Anträge der Gestapo auf Vermehrung des Beamtenkörpers systematisch verweigerten. Leider wußte Himmler, wie immer, auch hier einen Umweg. Er ging zu den Finanzministern der Länder und erzählte ihnen, er brauche für die Wachmannschaften der Konzentrationslager, für die

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14444 (vgl. NP Bd. 12, S. 200 ff.)]

 

sogenannten Totenkopfverbände, Geldmittel, und er rechnete sich einen Schlüssel aus, wonach auf jeden Häftling fünf SS-Männer zur Bewachung gehörten. Mit diesen Mitteln finanzierte Himmler seine Geheime Staatspolizei, da es natürlich in seinem Belieben stand, wieviel Menschen er inhaftieren wollte.

    Auch sonst haben wir versucht, vom Reichsinnenministerium aus mit allen möglichen Mitteln der Gestapo den Weg zu verlegen. Aber leider blieben alle die vielen Ersuchen, die wir zur Gestapo schickten unbeantwortet. Wiederum war es Göring, der Himmler verbot, zu antworten, und Himmler deckte, wenn dieser sich weigerte, auf unsere Anfragen Bericht zu erstatten.

    Schließlich kam es zu einem letzten Versuch, der während meiner Amtszeit im Reichsinnenministerium gemacht wurde. Wir versuchten, die Geheime Staatspolizei dadurch wenigstens in großen Zügen lahmzulegen, daß wir ein Beschwerde- und Aufsichtsrecht für die Schutzhaft einführen wollten. Wenn es uns gelungen wäre, ein gesetzliches Nachprüferecht für alle Schutzhaftfälle zu erreichen, dann hätten wir die Möglichkeit gehabt, auch in die einzelnen Aktionen der Gestapo hineinzuleuchten.

    Es wurde ein Gesetz gemacht, und dieses Gesetz wurde zunächst dem Ministerrat des größten Landes, Preußen, vorgelegt. Wiederum war es der Angeklagte Göring, der mit allen Mitteln der Beschlußfassung eines solchen Gesetzes widersprach. Am Ende einer erregten Kabinettssitzung über dieses Thema stand lediglich das Verlangen, daß ich aus dem Innenministerium auszuscheiden hätte.

 

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge! Ich habe Ihnen ein Memorandum gezeigt...

 

VORSITZENDER: Das dürfte ein günstiger Augenblick für eine Unterbrechung sein.

 

 

[Pause von 10 Minuten.]

 

    VORSITZENDER: Herr Justice Jackson! Der Gerichtshof hat mich gebeten, zu erklären, daß er erwartet, daß Sie alle Fragen, die Sie wegen der angeblichen Einschüchterung des Zeugen für notwendig halten, stellen werden, wenn Sie ihn ins Kreuzverhör nehmen.

 

JUSTICE JACKSON: Ja, Herr Vorsitzender, ich danke Ihnen.

 

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge, ich möchte noch auf die Versuche zu sprechen kommen, die seitens des Reichsministeriums des Innern gemacht worden sind, um der willkürlichen Handhabung der Praxis der Gestapo, und insbesondere in Bezug auf die

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14446 (vgl. NP Bd. 12, S. 201 ff.)]

 

Konzentrationslager Einhalt zu gebieten, und ich bitte Sie deshalb, sich ein Memorandum anzusehen, das im Reichs- und Preußischen Ministerium des Innern gemacht worden ist. Es handelt sich um das Dokument 775-PS, das ich heute morgen im Rahmen des Beweisvortrages für Frick als Frick-Exhibit Nummer 9 vorgelegt habe; es ist hier Nummer 34 des Dokumentenbuches. Herr Zeuge, kennen Sie dieses Memorandum?

 

GISEVIUS: Nein, ich kenne es nicht. Augenscheinlich ist das Memorandum nach meinem Ausscheiden aus dem Innenministerium verfaßt worden. Ich schließe das daraus, daß in diesem Memorandum eigentlich der Reichsinnenminister bereits den Kampf aufgibt, denn er schreibt, es solle grundsätzlich geklärt werden, wer die Verantwortung trage, und notfalls müsse die Verantwortung nunmehr... ich zitiere: »... in allen Konsequenzen der Reichsführer-SS« übernehmen, »der ja bereits faktisch die Führung der politischen Polizei... für sich in Anspruch nimmt.«

 

ギゼヴィウスが当時(レーム事件半年後)、試みたこと、・・・ヒムラーが政治警察を握らないようにすること。

    Zu dem Zeitpunkt, zu dem ich im Reichsinnenministerium war, versuchten wir ja gerade diese letzte Möglichkeit, daß Himmler die politische Polizei übernehmen sollte, auszuschließen. Es ist also augenscheinlich ein halbes Jahr später, nachdem die Dinge weiterhin in den Terror abgerutscht waren. Die Tatbestände, die hier zitiert werden, sind mir bekannt.

DR. PANNENBECKER: Können Sie darüber etwas sagen? Es handelt sich um einen Fall Pünder und um einen Fall Esterwege, Oldenburg.

 

GISEVIUS: Der am kürzesten zu schildernde Fall ist der Fall Esterwege. Es ist einer von vielen. Es wurde meiner Erinnerung nach ein SA-Führer oder Ortsgruppenführer von der Gestapo verhaftet, weil er sich über die Zustände in dem Konzentrationslager Papenburg erregt hatte. Auch das war nicht das erstemal. Ich weiß nicht, wieso der Angeklagte Frick diesen Fall besonders aufgegriffen hat. Jedenfalls zeigte mir Daluege eines Tages einen der üblichen handgeschriebenen Zettel von Frick, die er Himmler gesandt hatte. Frick hatte mit grünem Strich in großen Marginalien Himmler geschrieben, hier sei ein SA-Mann oder Ortsgruppenleiter, oder was es war, unrechtmäßig in Haft genommen, dieser Mann müsse sofort entlassen werden, und wenn Himmler noch einmal so etwas täte, würde er, Frick, gegen Himmler ein Strafverfahren wegen Freiheitsberaubung einleiten.

    Ich entsinne mich dieser Geschichte noch sehr genau, weil es ein bißchen merkwürdig angesichts unserer damaligen polizeilichen Zustände war, daß Himmler von Frick mit einem Strafantrag bedroht wurde, und Daluege machte diesbezügliche Äußerungen höhnischer Art über das Verhalten Fricks zu mir.

    Das ist der eine Fall.

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14448 (vgl. NP Bd. 12, S. 202 ff.)]

 

VORSITZENDER: Um welches Datum handelt es sich da?

 

GISEVIUS: Das muß sich abgespielt haben im Frühjahr 1935, ich schätze im März oder April.

 

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge, wissen Sie, wie Himmler auf diese Strafandrohung reagiert hat?

 

GISEVIUS: Ja. Es kam noch ein zweites hinzu. Das ist diese Angelegenheit Pünder, die hier steht. Er hat auf beide gleichermaßen reagiert, und deswegen ist es wohl besser, ich erzähle in diesem Zusammenhang zunächst die Angelegenheit Pünder.

    Bei der Angelegenheit Pünder handelte es sich um einen Berliner Rechtsanwalt, einen sehr angesehenen Anwalt, Vertrauensanwalt der Schwedischen Gesandtschaft. Herr Pünder wurde von der Witwe des am 30. Juni ermordeten Ministerialdirektors Klausner angegangen, zu klagen, damit die Lebensversicherungsgesellschaften ihre Rente auszahlen. Da aber Herr Klausner an diesem Tage angeblich Selbstmord verübt hatte, traute sich kein Versicherungsdirektor, der Witwe das Geld auszuzahlen. Der Rechtsanwalt mußte also klagen. Nun war von den Nazis ein Gesetz gemacht worden, auf Grund dessen alle solche peinlichen, für die Nazis peinlichen Fälle vom Gericht nicht behandelt werden durften. Sie mußten an eine sogenannte Spruchkammer im Reichsministerium des Innern eingereicht werden. Wenn ich nicht irre, lautete das Gesetz: »Gesetz für den Ausgleich zivilrechtlicher Ansprüche«. Um gute Namen, Formulierungen, war man damals nie verlegen. Der Anwalt wurde durch dieses Gesetz gezwungen, seine Klage bei Gericht einzureichen Ihm ahnte Böses. Er ging ins Reichsinnenministerium zu dem Staatssekretär und sagte: »Wenn ich den Forderungen des Gesetzes genüge und klage, dann wird man mich verhaften.« Der Staatssekretär des Innenministeriums zwang ihn, zu klagen. Daraufhin ging der sehr lebenskluge Anwalt ins Justizministerium zum Staatssekretär Freisler und sagte ihm, er wolle nicht klagen, denn er würde bestimmt von der Gestapo verhaftet werden. Der Staatssekretär im Justizministerium belehrte ihn, er habe auf jeden Fall Klage einzureichen; es könne ja auch nichts passieren, weil das Gericht angewiesen sei, die Klage kommentarlos an die Spruchkammer des Innenministeriums weiterzugeben. Nunmehr klagte der Anwalt, und er wurde sofort von der Gestapo wegen Verleumdung verhaftet, weil er behauptet hatte, daß der Ministerialdirektor Klausner nicht durch Selbstmord geendet sei. Dieses war für uns geradezu ein klassisches Schulbeispiel, wohin wir in Deutschland mit dem System der Schutzhaft gekommen waren.

    Ich habe mir erlaubt, diesen Fall nicht unter Hunderten, ich möchte hier sagen, mindestens unter Tau

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14450 (vgl. NP Bd. 12, S. 203 ff.)]

 

senden herauszugreifen und Frick vorzuschlagen, diese Angelegenheit zu einem besonderen Schritt nicht nur bei Göring, sondern diesmal auch bei Hitler zu machen. Ich habe damals mich hingesetzt und habe einen Brief oder Bericht Fricks an Hitler entworfen, der auch an das Justizministerium ging. Es waren mehr als fünf Seiten, und ich habe nach allen erdenkbaren Aspekten den Selbstmord des Ministerialdirektors Klausner unter Assistenz der SS-Leute und die nunmehrige Klage beleuchtet. Dieser Bericht an Hitler endete damit, daß Frick schrieb, es sei nunmehr an der Zeit, das Problem der Schutzhaft von Reichs wegen und gesetzlich aufzugreifen.

    Jetzt beantworte ich Ihre Frage, was darauf geschah. Es war nämlich ungefähr dieselbe Zeit mit dem Schreiben Fricks an Himmler wegen der Freiheitsberaubung. Himmler ging mit diesen beiden Schriftstücken in eine Sitzung der Reichsleiter, das waren die sogenannten Minister der Bewegung, und legte diesen die Frage vor, ob es angemessen sei, daß ein Reichsleiter, also Frick, einem anderen Reichsleiter, also Himmler, solche Schreiben schriebe. Das hohe Gremium verneinte diese Frage und wies Frick zurecht. Dann ging Himmler in die Sitzung des preußischen Kabinetts, in der das von mir erwähnte Schutzhaftgesetz zur Diskussion stand.

    Ich darf darauf aufmerksam machen, daß es zu diesem Zeitpunkt eine Seltenheit war, daß Himmler in eine preußische Ministersitzung gehen durfte. Es hat nämlich einmal in Deutschland eine Zeit gegeben, und sie währte ziemlich lange, wo Himmler nicht der mächtige Mann war, der er später durch die Feigheit und das Zurückweichen der bürgerlichen Minister und der Generale wurde. So war es eine Seltenheit, daß Himmler überhaupt in eine preußische Ministerratssitzung gehen durfte, und am Ende dieser Sitzung stand meine Entlassung aus dem Reichsinnenministerium.

 

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge! Ich möchte Ihnen aus dem Memorandum, das ich Ihnen eben zeigte, also 775-PS, zwei Sätze vorlesen und bitte Sie, mir zu sagen, ob der Sachverhalt insoweit richtig geschildert ist. Ich zitiere:

    »Ich weise auch in diesem Zusammenhang auf den Fall des Rechtsanwalts Pünder hin, der nur deswegen mit seinen Kollegen in Schutzhaft genommen worden ist, weil er nach Erkundigung im Reichsjustizministerium und unserem Ministerium eine Klage eingereicht hat, zu der ihn ein Reichsgesetz zwingt.«

 

    GISEVIUS: Dieser Satz ist richtig.

 

DR. PANNENBECKER: Und der andere Satz. Ich zitiere:

    »Ich führe hier nur den Fall eines Lehrers und Kreisleiters in Esterwege an, der acht Tage in Schutzhaft

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14452 (vgl. NP Bd. 12, S. 204 ff.)]

 

    saß,...«

 

    VORSITZENDER: Dr. Pannenbecker! Wo ist der Satz, den Sie gerade verlesen haben?

 

DR. PANNENBECKER: In dem Dokument Frick- Dokumentenbuch Nummer 34, der zweite Satz.

 

VORSITZENDER: Welche Seite?

 

DR. PANNENBECKER: Es ist in meinem Dokumentenbuch auf Seite 80.

 

VORSITZENDER: Sprechen Sie vom Paragraph 3 auf Seite 70?

 

DR. PANNENBECKER: Nein, Herr Präsident, ich sehe, daß gerade dieser Satz nicht übersetzt worden ist aus dem Dokument. Ich darf dann noch einen weiteren Satz verlesen, der aber anscheinend übersetzt ist, und zwar unter Ziffer 3 des gleichen Dokuments.

    »Ich führe hier nur den Fall eines Lehrers und Kreisleiters in Esterwege an, der acht Tage in Schutzhaft saß, weil er, wie sich nachher herausgestellt hatte, seinem Landrat einen richtigen Bericht über Mißhandlungen seitens der SS übergeben hatte.«

 

    GISEVIUS: Ja, das entspricht den Tatsachen.

 

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge, haben Sie persönlich Unterstützung durch Frick erfahren - hinsichtlich Ihres persönlichen Schutzes?

GISEVIUS: Ja. Damals war ich bei der Geheimen Staatspolizei natürlich so suspekt, daß allerhand böse Dinge gegen mich geplant wurden. Frick ordnete daher an, daß ich in meiner Wohnung von dem zuständigen Polizeirevier geschützt wurde. Es wurde auch ein direkter Telephonapparat von meiner Wohnung zum Polizeirevier gelegt, damit ich nur den Hörer abnehmen brauchte, um bei plötzlichen Besuchen wenigstens eine Seele unterrichten zu können Weiterhin wurde von der Gestapo die übliche Methode angewandt, gegen mich mit kriminellen Vorwürfen vorzugehen. Diese Akten wurden scheinbar Hitler in die Reichskanzlei gebracht, Frick intervenierte. Es stellte sich sehr schnell heraus, daß es sich um einen Namensvetter handelte, und Frick machte am offenen Telephon darüber kein Hehl, daß diese Kerle, wie er sich ausdrückte, einmal wieder Hitler belogen hätten. Das war für die Gestapo, die dieses Telephongespräch abhörte, ein gewisses Signal, nicht mehr mit solchen Mitteln zu arbeiten.

    Dann kamen wir durch Heydrich einen Schritt weiter. Er hatte die Güte, mir durchs Telephon mitzuteilen, ich hätte wohl vergessen, daß er seine persönlichen und politischen Gegner bis ins Grab verfolgen könne. Ich machte von dieser Bedrohung Trick dienstlich Mitteilung, und Frick hat entweder persönlich oder auf dem Wege über Daluege bei Heydrich inter

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14454 (vgl. NP Bd. 12, S. 205 ff.)]

 

veniert, und zweifellos ist er mir dadurch sehr behilflich gewesen, denn Heydrich schätzte es nie, auf seine mörderischen Absichten offen angesprochen zu werden.

 

DR. PANNENBECKER: Herr Zeuge, konnte denn wenigstens ein Reichsminister hinsichtlich seiner persönlichen Sicherheit beruhigt sein, wenn er versuchte, gegen den Terror der Gestapo und Himmlers anzugehen?

 

GISEVIUS: Wenn Sie mich hinterher fragen, muß ich feststellen, daß lediglich Schacht ins Konzentrationslager gekommen ist. Ich muß aber wahrheitsgemäß bekunden, daß wir uns alle die Frage vorgelegt haben, wie schnell auch ein Reichsminister ins Konzentrationslager wandern könnte. Was Frick betrifft, so hat er bereits im Jahre 1934 mich vertraulich angegangen, ihm sei von dem Reichsstatthalter in Bayern die zuverlässige Nachricht zugekommen, er solle gelegentlich eines Landaufenthaltes in Bayern ermordet werden, und er bat mich, ob ich nicht Näheres eruieren könnte. Ich bin damals mit meinem Freunde Nebe im Auto persönlich nach Bayern gefahren und habe geheime Ermittlungen angestellt, die immerhin so viel ergaben, daß solche Pläne erörtert wurden. Aber, wie gesagt, Frick hat es überlebt.

 

DR. PANNENBECKER: Ich habe keine weiteren Fragen.

 

DR. DIX: Ich bitte, folgende Frage zu entscheiden. Ich habe Gisevius ja auch gerufen. Er ist ein von mir gerufener Zeuge. Es ist also keine Nachfrage, die ich jetzt stelle, sondern ich vernehme ihn, weil er mein Zeuge ist. Ich bin deshalb der Auffassung, daß es richtig und zweckmäßig ist, wenn ich mich jetzt an das Verhör von Kollege Pannenbecker anschließe und die Herren Kollegen, die dann Nachfragen stellen wollen, dann nach uns beiden kommen. Ich bitte das Gericht, diese Frage zu entscheiden.

 

VORSITZENDER: Sie sind der einzige Verteidiger, der den Zeugen für seinen Klienten gerufen hat?

 

DR. DIX: Ich habe ihn gerufen.

 

VORSITZENDER: Ja, ich weiß, aber sind Sie der einzige Verteidiger, der ihn gerufen hat?

 

DR. DIX: Ich glaube, ich bin der einzige, der ihn weiter gerufen hat.

 

VORSITZENDER: Gut, Dr. Dix, dann können Sie ihn als nächster vernehmen.

 

DR. DIX: Herr Dr. Gisevius! Herr Rechtsanwalt Pannenbecker hat es ja schon erwähnt, Sie haben ein Buch veröffentlicht mit dem Titel »Bis zum bitteren Ende«. Von diesem Buch habe ich dem Gericht Zitate

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14456 (vgl. NP Bd. 12, S. 206 ff.)]

 

als Beweisdokumente vorgelegt, und sie sind deshalb auch als urkundliche Beweismittel vom Gericht angenommen worden. Aus diesem Grunde frage ich Sie: Ist der Inhalt dieses Buches historisch getreu, und haben Sie ihn nur nach Ihrer Erinnerung oder auf Grund jeweiliger Aufzeichnung geschrieben?

 

GISEVIUS: Ich kann hier aussagen, daß nach meinem besten Wissen und Gewissen der Inhalt historisch getreu ist. Ich habe mir in Deutschland, soweit es irgend möglich war, fortlaufend Aufzeichnungen gemacht. Ich habe bereits ausgesagt, daß mein toter Freund Oster im Kriegsministerium eine umfangreiche Dokumentensammlung angelegt hatte, auf die ich jederzeit zurückgreifen konnte. Ich habe keine wichtige Angelegenheit, in der ich Freunde aus meiner Oppositionsgruppe zitiere, niedergeschrieben, ohne nicht mehrfach mit ihnen darüber gesprochen zu haben, und seit 1938 bin ich fortlaufend, zunächst besuchsweise, später beruflich, in der Schweiz gewesen und konnte dort in Ruhe meine Aufzeichnungen fortsetzen. Dieser Band, der hier dem Gericht übergeben ist, ist im wesentlichen bereits 1941 abgeschlossen und bereits 1942 verschiedenen auswärtigen Freunden zur Einsicht übergeben worden.

 

VORSITZENDER: Es genügt, wenn er sagt, daß das Buch wahr ist.

DR. DIX: Seit wann kennen Sie den Angeklagten Schacht?

 

GISEVIUS: Ich kenne den Angeklagten Schacht seit Ende 1934.

 

DR. DIX: Aus welchem Anlaß und unter welchen Umständen lernten Sie ihn kennen?

 

GISEVIUS: Es war zu der Zeit, wo ich im Reichsinnenministerium saß und Material gegen die Gestapo sammelte und von verschiedenen Seiten konsultiert wurde, wenn Zwischenfälle mit der Gestapo befürchtet wurden oder stattgefunden hatten. So sandte eines Tages auch der damalige Reichswirtschaftsminister Schacht einen Vertrauten, seinen Generalbevollmächtigten Herbert Göring zu mir mit der Anfrage, ob ich Schacht behilflich sein könne. Er, Schacht, fühle sich seit langem von Himmler und der Gestapo verfolgt und habe neuerdings den begründeten Verdacht, daß Spitzel oder wenigstens ein Mikrophon in seinem eigenen Hause seien. Ich wurde gefragt, ob ich in diesem Falle behilflich sein könnte. Ich bejahte, suchte mir einen Mikrophonsachverständigen der Reichspostverwaltung und suchte am nächsten Morgen die Ministerwohnung Schachts auf. Wir gingen mit dem Mikrophonsachverständigen von Raum zu Raum und brauchten gar nicht lange suchen. Es war damals sehr schlecht gemacht worden von der Gestapo; sie hatten

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14458 (vgl. NP Bd. 12, S. 207 ff.)]

 

das Mikrophon allzu sichtbar angebracht, und überdies hatten sie eine Hausangestellte engagiert, die Schacht bespitzeln sollte und sich eine Abhörvorrichtung auf der Hausapparatur in ihr eigenes Schlafzimmer hatte legen lassen. Das war verhältnismäßig leicht festzustellen, und so konnten wir diese Sache entlarven. Bei dieser Gelegenheit sprach ich das erstemal mit Schacht.

 

DR. DIX: In welchem Sinne haben Sie damals mit ihm gesprochen? Haben Sie sich damals schon politisch mit ihm unterhalten?

 

GISEVIUS: Es ergab sich aus der Materie und der etwas merkwürdigen Situation, mit der ich mit ihm bekannt wurde. Schacht wußte, daß ich sehr stark gegen die Gestapo mich betätigte, ich meinerseits wußte von Schacht, daß er bekannt war durch zahllose Äußerungen gegen die SS und Gestapo; viele bürgerliche Kreise in Deutschland hofften auf ihn als den einzigen starken Minister, der gegebenenfalls sie schützen könnte; besonders die Wirtschaftskreise, die damals sehr wichtig waren, hofften und fanden auch oft seine Unterstützung, so daß nichts näher lag, als daß ich gleich bei diesem ersten Gespräch von mir aus ihm alles sagte, was mich bewegte. Das Kernproblem war damals die Beseitigung der Gestapo und die Beseitigung des Nazi-Regimes. Insofern war unser Gespräch ein hochpolitisches, und Schacht hörte alles an mit dem Freimut, mit dem man ihm alles sagen konnte, was ich ihm vortrug.

 

DR. DIX: Na, und was sagte er?

 

GISEVIUS: Ich sagte Schacht, die Dinge trieben doch unfehlbar einer Radikalisierung zu, ich sei zweifelhaft, ob nicht am Ende des jetzigen Kurses eine Inflation stehen würde und ob es dann nicht besser sei, er selbst führe diese Inflation herbei, weil dann er den Zeitpunkt einer solchen Krise genau vorher wisse und sich rechtzeitig mit den Generalen und den bürgerlichen Ministern auf die krisenhafte Zuspitzung einrichten könne. Ich sagte ihm: »Führen Sie doch die Inflation herbei, dann behalten Sie das Gesetz des Handelns, statt daß es die anderen Ihnen aus der Hand nehmen.« Er antwortete: »Sehen Sie, das ist der Unterschied, der uns trennt: Sie wollen die Katastrophe und ich will sie nicht.«

 

DR. DIX: Daraus würde folgen, daß Schacht damals noch glaubte, die Katastrophe vermeiden zu können. Wie begründete er diese Ansicht?

 

GISEVIUS: Ich glaube, zunächst war ihm überhaupt das Wort von der Katastrophe schon eine zu weitgehende Vorstellung. Schacht dachte in den Bahnen überkommener Regierungsverhältnisse, die er ja zeit

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14460 (vgl. NP Bd. 12, S. 207 ff.)]

 

weise, und zwar schon seit der Zeit Brünings, durch Notverordnungen und gewisse Diktaturmaßnahmen unterbrochen sah. Aber soweit ich bemerken konnte und auch aus allen späteren Gesprächen bemerkt habe, lebte er noch völlig in dem Gedanken einer Reichsregierung, die zusammentrat, Beschlüsse faßte, und wo damals die Mehrheit der Minister bürgerlich war, und zu einem Zeitpunkt, den er früher oder später ansetzen möchte, einen radikalen Kurswechsel beschließen konnte.

 

DR. DIX: Wie war denn damals seine Einstellung zu Hitler?

 

GISEVIUS: Es war für mich kein Zweifel, daß er damals noch über Hitler in sehr guter Weise dachte. Ich möchte beinahe sagen, Hitler war damals noch für ihn ein ganz unantastbarer Mann.

 

VORSITZENDER: Über welchen Zeitpunkt sprechen Sie jetzt?

 

GISEVIUS: Ich spreche jetzt über den Zeitpunkt meiner ersten Begegnungen Ende 1934 und anfangs

 1935.

DR. DIX: Was waren Sie denn damals beruflich? Wo waren Sie, wo arbeiteten Sie?

 

GISEVIUS: Ich hatte inzwischen aus dem Reichsinnenministerium ausscheiden können, war aber versetzt worden an das in Gründung befindliche Reichskriminalamt. Als wir sahen, daß die Gestapo ihren Machtapparat ausbreitete, glaubten wir eine Art Polizeiapparat neben der Gestapo errichten zu können, nämlich die reine Kriminalpolizei, und mein Freund Nebe war von uns auf den Chefposten dieses Reichskriminalamtes gesetzt worden, um von dort aus eine Polizeiapparatur aufzubauen, mit der wir eventuell der Gestapo Widerstand leisten konnten wenn es ernst wurde. Ich wurde nun mit einem Organisationsauftrag des Innenministeriums an diese neu zu bildende Behörde gesandt, um Vorschläge für die Errichtung dieser Behörde zu machen.

 

DR. DIX: Wir kommen nun langsam in das Jahr 1936, in das Jahr der Olympiade. Hatten Sie da einen besonderen Auftrag?

 

GISEVIUS: Ja, anfangs 1936 glaubte man, mir die Leitung des Polizeibefehlsstabes für die Olympiade in Berlin am Polizeipräsidium übertragen zu können. Es war eine völlig unpolitische und technische Angelegenheit, und der damalige Polizeipräsident, Graf Helldorf, glaubte, wegen meiner Beziehungen zum Innenministerium und Justizministerium würde das nützlich sein. Aber dieser Posten wurde mir sehr schnell genommen. Heydrich bemerkte es und intervenierte.

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14462 (vgl. NP Bd. 12, S. 208 ff.)]

 

DR. DIX: Da ist in Ihrem Buch ein Brief von Heydrich abgedruckt, den ich in keiner Weise ganz verlesen möchte, den er gerichtet hat an den Grafen Helldorf, wo er ihn darauf aufmerksam macht, daß Sie während Ihrer Tätigkeit im Reichs- und Preußischen Ministerium des Innern stets der Geheimen Staatspolizei alle erdenklichen Schwierigkeiten bereitet hätten - schreibt er -, und daß das Verhältnis mit Ihnen sehr unerfreulich gewesen war, und er fährt fort:

    »Ich fürchte, daß seine Mitwirkung in der polizeilichen Vorbereitung der Olympiade auch in diesem Rahmen die Zusammenarbeit mit der Geheimen Staatspolizei nicht gerade fördern wird und bitte zu erwägen, ob Gisevius nicht durch einen anderen geeigneten Beamten ersetzt werden kann. Heil Hitler! Ihr Heydrich.«

    Ist das dieser Brief, der Sie da in Ihrer Stellung...

 

GISEVIUS: Jawohl, das war der Grund, weswegen ich auch aus diesem Geschäft entlassen wurde. Ich hatte dann auch nur noch wenige Wochen zu warten, dann wurde Himmler Chef der Polizei im Reich und an dem Tag, wo Himmler Reichspolizeichef wurde, wurde ich völlig aus jedem Polizeidienst entfernt.

 

DR. DIX: Wo kamen Sie dann hin?

 

GISEVIUS: Nach meiner Entlassung aus dem Polizeidienst kam ich an die Regierung in Münster, wo ich der Preisüberwachung zugeteilt wurde.

DR. DIX: Konnten Sie denn in Münster bei diesem Referat Preisüberwachung Ihre politische Arbeit fortsetzen und entsprechende Verbindungen anknüpfen?

 

GISEVIUS: Ja, ich hatte einen ziemlichen Spielraum für Dienstreisen, ich machte eingehende Studien, nicht nur wegen der Preise, sondern wegen der politischen Lage im Rheinland und in Westfalen, und war fast wöchentlich in Berlin, um auch dort mit meinem Freundeskreis Fühlung zu halten.

 

DR. DIX: Haben Sie da mit Schacht Fühlung gehalten?

 

GISEVIUS: Von dieser Zeit an war ich beinahe wöchentlich mit ihm zusammen.

 

DR. DIX: Haben Sie nicht auch noch mit anderen an prominenter Stelle stehenden Männern von Münster aus im Sinne Ihrer Arbeit Verbindungen angeknüpft?

 

GISEVIUS: Ja, mit ein Grund, weswegen ich nach Münster gegangen war, war, daß der dortige Oberpräsident. Freiherr von Lüning, noch ein Mann der alten Schule war, sauber, korrekt, Berufsbeamter, politisch ein Mann für Recht und Ordnung. Auch er ist nach dem 20. Juli am Galgen geendet. Ich habe weiterhin Fühlung genommen mit dem Regierungspräsidenten des größten Bezirks in Düsseldorf, Staatssekretär Schmidt, und vor allem habe ich sofort nach meiner

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14464 (vgl. NP Bd. 12, S. 209 ff.)]

 

Ankunft in Münster alles versucht, um mit dem dortigen Kommandierenden General, dem späteren Feldmarschall von Kluge, Verbindung aufnehmen zu können. Dies gelang. Ich habe auch dort sofort versucht, wieder meine alten politischen Gespräche fortzusetzen.

 

DR. DIX: Wir kommen auf den General Kluge später noch einmal zurück, ich muß nur jetzt fragen: Um diese Zeit, also Ihrer Tätigkeit in Münster, konnten Sie da bei Schacht schon eine Änderung der Einstellung zum Regime und insbesondere zu Hitler feststellen, wie Sie vorhin als im Jahre 1934 noch bestehend dem Tribunal geschildert haben?

 

GISEVIUS: Ja, es war ein stetiger Prozeß, mit dem sich Schacht von den Nazis fort entfernte. Wenn ich die Phasen aufzeigen soll, so würde ich sagen, im Anfang, also 1935, war er der Meinung, nur die Gestapo sei das große Übel, Hitler sei der Mann, der Staatsmann sei oder wenigstens Staatsmann werden könne, und Göring sei der konservative starke Mann, dessen man sich bedienen müsse und bedienen könne, um gegen den Terror von Gestapo und Staat geordnete Zustände herzustellen.

    Ich habe damals Schacht leidenschaftlich bezüglich des Angeklagten Göring widersprochen. Ich habe ihn gewarnt. Ich habe ihm gesagt, daß nach meiner Meinung Göring der Schlimmste sei, gerade weil er sich ein solches bürgerliches und konservatives Mäntelchen umhänge. Ich habe ihn beschworen, seine Wirtschaftspolitik nicht mit Göring zu machen, da dieses ein böses Ende nehmen müsse. Schacht, dem man sehr viel nachsagen kann, nur nicht, daß er eine gute Menschenkenntnis hat, bestritt dieses sehr, und erst, als er im Laufe des Jahres 1936 zunehmend sah, daß Göring ihn nicht gegen die Partei unterstützte, sondern daß Göring die radikalen Elemente gegen ihn unterstützte, erst in diesem Moment trat zunehmend eine Wandlung bei Schacht ein, wonach er nunmehr nicht nur Himmler, sondern auch Göring als eine große Gefahr ansah, nur blieb Hitler weiterhin für ihn der Mann, mit dem man Politik machen könne, sofern es der Mehrheit des Kabinetts gelänge, ihn auf die Seite von Recht und Ordnung hinüberzubringen.

 

DR. DIX: Sprechen Sie jetzt ungefähr von jener Zeit, wo Schacht die Devisenbewirtschaftung an Göring abgab?

 

GISEVIUS: Ja, das war der Moment, wo ich ihn warnte, und wenn ich sage, er wurde wegen Göring stutzig und sah, daß Göring ihn nicht gegen die radikalen Elemente unterstützte, dann ist das dieser Zeitpunkt.

 

DR. DIX: Das wäre nun ein Negativ, dem man nach

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14466 (vgl. NP Bd. 12, S. 210 ff.)]

 

gegeben hätte und die Devisenbewirtschaftung an Göring abgegeben hätte. Aber wenn nun langsam die neue Erkenntnis ihm kam, hat er denn um diese Zeit nicht schon irgendwelche positiven Gedanken im Sinn der Herbeiführung eines Umschwungs betätigt?

 

GISEVIUS: Ja, er lebte ganz in dem Gedankengang, in dem sehr viele Menschen damals in Deutschland lebten, ich möchte beinahe sagen, die Mehrheit in Deutschland; alles hinge davon ab, die bürgerlichen Kreise zu stärken im Kabinett, und vor allem und als Vorbedingung dafür das Kriegsministerium, an der Spitze Blomberg, auf die Seite der bürgerlichen Minister zu bringen. Schacht hatte also, wenn man so will, die durchaus konstruktive Idee, man müsse es auf einen Kampf um Blomberg abstellen, und in diesem Punkte fand ich mich ja gerade mit ihm, weil das derselbe Kampf war, den ich mit meinem Freund Oster zu meinem bescheidenen Teile und auf meinem viel bescheideneren Wege auch versuchte.

 

DR. DIX: Hatte er nun etwas zur Erreichung dieses Kampfzieles bereits damals getan?

 

GISEVIUS: Ja.

 

DR. DIX: Ich gebe Ihnen das Stichwort des Schrittes des Vizepräsidenten der Reichsbank, Dreise.

 

GISEVIUS: Ja, er hat damals zunächst versucht, engen Kontakt mit dem zuständigen Sachbearbeiter im Kriegsministerium, dem späteren Leiter des Wehrwirtschaftsstabes, General Thomas, zu suchen. Thomas war ein Mann, der von Anfang an dem Nationalsozialismus skeptisch oder sogar ablehnend gegenüberstand. Wie durch ein Wunder ist er nachher lebend aus dem Konzentrationslager herausgekommen, und Schacht begann damals einen Kampf um Blomberg auf dem Wege über Thomas. Ich habe an diesem Kampf an meinem Teile teilgenommen, weil Schacht mich auf dem Wege über Oster als Mittelsmann benutzte, teilweise hörte ich über diese Verbindungen von Herbert Göring, teilweise sind mir diese Dinge aus vielen Gesprächen mit Thomas auch vertraut, und ich kann hier bezeugen, daß es damals schon außerordentlich schwer war, eine Verbindung zwischen Schacht und Blomberg herzustellen, denn ich war so naiv, wiederholt Schacht zu sagen, er möge doch einfach Blomberg antelephonieren und um eine Besprechung bitten. Schacht erwiderte mir, Blomberg werde bestimmt ausweichen und es sei nur die Möglichkeit, wenn er zuvor diese Besprechung über Oster und Thomas vorbereite. Dieses geschah. Ich weiß, mit welchen Erwartungen wir den mehrfachen Besprechungen Schachts mit Blomberg entgegensahen. Ich bin natürlich nicht selber als Zeuge zugegengewesen, aber wir haben damals sehr genau über diese Bespre

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14468 (vgl. NP Bd. 12, S. 211 ff.)]

 

chungen gesprochen. Ich habe mir Notizen gemacht, und ich war sehr erfreut, daß sich diese meine Erinnerungen genau decken mit den Erinnerungen Thomas', von dem ich handschriftliche Aufzeichnungen besitze. Thomas wurde wiederholt von Blomberg zurechtgewiesen, ihn doch nicht mit solchen Bedenken Schachts zu belästigen. Schacht wäre ein Querulant und er, Thomas, solle sich...

 

VORSITZENDER: Ist es nötig, in alle diese Einzelheiten zu gehen, Dr. Dix?

 

DR. DIX: Ja, ich glaube, Euer Lordschaft, es wird notwendig sein. Diese Entwicklung von einem überzeugten Anhänger Adolf Hitlers zu einem ausgesprochenen Opponenten und Revolutionär, ja Verschwörer, ist natürlich ein so komplizierter psychologischer Prozeß, daß ich glaube, dem Tribunal die Einzelheiten dieser Entwicklung nicht ersparen zu können. Ich werde in unwesentlichen Dingen bestimmt Ökonomie üben, aber ich wäre dankbar, wenn dem Zeugen - es ist mein einziger Zeuge - zu diesem Punkt doch eine gewisse Freiheit auch hinsichtlich des Details gegeben werden könnte. Aber ich würde Sie bitten...

 

VORSITZENDER: Der Gerichtshof glaubt, daß Sie die Hauptsache wiedergeben können, ohne derart auf Einzelheiten einzugehen. Sie müssen auf jeden Fall versuchen, so wenig unnötige Einzelheiten wie möglich wiederzugeben.

 

DR. DIX: Das will ich gern tun.

 

[Zum Zeugen gewandt:]

 

    Also, Herr Dr. Gisevius, Sie haben ja den Wunsch des Gerichts gehört, Sie werden ja schon selbst in der Lage sein, nur das wirklich Wesentliche hervorzubringen.

    Also war noch zu Affäre Aktion über Thomas an Blomberg etwas Wesentliches zu bekunden, oder können wir dieses Kapitel abschließen?

 

GISEVIUS: Nein, ich will die anderen Wege, die versucht wurden, in Kürze schildern. Ich kann aber nicht sagen, wie weit das Gericht das hören will, ich will aber sagen, daß es Schacht versuchte, an den Oberkommandierenden des Heeres, Freiherrn von Fritsch, heranzukommen; da aber dieser schwer zu kriegen war, schickte er seinen Reichsbankvizepräsidenten Dreise vor, um mit ihm Kontakt zu bekommen, und ebenso machten wir einen großen Versuch, über den General von Kluge an Fritsch und an Blomberg heranzukommen.

 

DR. DIX: Und ganz kurz gesagt, was war das Ziel dieser Aktion? Was sollten die Generale, die genannten Generale?

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14470 (vgl. NP Bd. 12, S. 212 ff.)]

 

GISEVIUS: Das Ziel der Aktion war, Blomberg klarzumachen, daß der Kurs ins Radikale ging, daß wirtschaftlich die Dinge abglitten und daß mit allen Mitteln dem Gestapoterror ein Ende gemacht würde.

 

DR. DIX: Also damals nur wirtschaftliche Erwägungen und Terrorerwägungen, Kriegsgefahr noch nicht?

 

GISEVIUS: Nein, nur die Furcht vor dem Radikalismus.

 

DR. DIX: Nun kommen wir zum Jahre 1937. Sie wissen, daß dies das Jahr der Entlassung Schachts als Reichswirtschaftsminister ist. Hat sich Schacht mit Ihnen darüber unterhalten, warum er denn Reichsbankpräsident geblieben ist damals?

 

GISEVIUS: Ja! Ich habe eingehend den Kampf um seine Entlassung als Wirtschaftsminister miterlebt, und zwar auf der einen Seite seinen Versuch, aus dem Ministerium entlassen zu werden. Wenn ich nicht irre, ging das nicht so glatt; und Schacht teilte eines Tages Lammers mit, wenn er nicht bis zu einem gewissen Zeitpunkt die amtliche Mitteilung seiner Entlassung erhalten habe, würde er sich seinerseits als entlassen betrachten und dieses der Presse mitteilen. Bei dieser Gelegenheit wurde Schacht von vielen Leuten bestürmt, nicht zurückzutreten. Wie in allen diesen Jahren gab es jedesmal, wenn ein Mann in einem wichtigen Amte zurücktreten wollte, die Frage, ob nicht der Nachfolger einen noch viel radikaleren Kurs steuern würde. Schacht wurde beschworen, nicht zu gehen, weil dann der Radikalismus auch in der Wirtschaft überhandnehmen müsse. Ich nenne hier nur den Namen Ley als Führer der Arbeitsfront. Schacht erwiderte, daß er die Verantwortung nicht tragen könne, aber er hoffe, als Reichsbankpräsident, wie er sich ausdrückte, einen Fuß drinnen zu behalten. Damit war gemeint, ihm schwebte vor, im großen ganzen einen Überblick über die wirtschaftlichen Dinge zu behalten und von der Reichsbank aus gewisse wirtschaftspolitische Maßnahmen konterferieren zu können. Ich kann bezeugen, daß Schacht von sehr vielen Männern, die später der Opposition zugehörten, beschworen wurde, diese Haltung einzunehmen und wenigstens diesen einen Fuß drinnen zu behalten.

 

DR. DIX: Spielte bei diesem seinem Entschluß damals nicht auch seine Einstellung und seine Beurteilung einiger der Generale, insbesondere des Generalobersten Fritsch, eine Rolle?

 

GISEVIUS: Sehr richtig. Eines der größten Verhängnisse war, daß sich so viele Menschen in Deutschland einbildeten, Fritsch wäre ein starker Mann. Ich habe immer wieder erlebt, daß mir von hohen Offizieren, aber auch von hohen Ministerialbeamten gesagt

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14472 (vgl. NP Bd. 12, S. 213 ff.)]

 

wurde, wir könnten ganz beruhigt sein, Fritsch liege auf der Lauer, Fritsch warte nur auf den richtigen Zeitpunkt, Fritsch werde eines schönen Tages durch einen Putsch dem Terror ein Ende machen. Mir ist dieses beispielsweise von dem General von Kluge immer wieder authentisch als einem nahen Freunde von Fritsch gesagt worden. Und so lebten wir alle in der, wie ich nunmehr sagen muß, völlig falschen Vorstellung, es würde eines Tages der große Wehrmachtsputsch gegen die SS kommen. Aber statt dessen kam genau das Gegenteil, es kam nämlich der Putsch, der blutlose Putsch der SS, nämlich die berühmte Fritsch-Krise, an deren Ende nicht nur Fritsch seines Amtes enthoben, sondern die gesamte Wehrmachtsführung politisch geköpft war und nunmehr alle unsere Hoffnungen...

 

DR. DIX: Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Wir kommen nachher ja auf die sogenannte Fritsch-Krise zurück. Ich möchte jetzt... Die ist ja im Jahre 1938?

 

GISEVIUS: Ja.

 

DR. DIX: Um die Bemühungen und Aktionen Schachts im Jahre 1937 zu erschöpfen, möchte ich Sie fragen - es ist in Ihrem Buch behandelt -, spielt da nicht auch eine mißglückte Fühlungnahme mit dem General von Kluge, eine Reise Schachts nach Münster eine Rolle?

 

GISEVIUS: Ja, ich hatte geglaubt, mich da nur kurz fassen zu sollen, obwohl es ein großer Versuch Schachts war, an Fritsch heranzukommen. Es war nicht möglich, ein Gespräch in Berlin zu arrangieren. Es wurde unter geheimnisvollen Umständen in Münster arrangiert, weil der General von Kluge damals zu ängstlich war, Herrn Schacht öffentlich zu sehen. Es war ein deprimierendes Hin und Her; an dessem Ende stand, daß die beiden Herren sich nicht fanden, weil es nicht möglich war, einen Reichsminister und einen Kommandierenden General zusammenzubringen. Es war eine sehr deprimierende Sache.

 

DR. DIX: Wo waren Sie denn um diese Zeit, was taten Sie denn? Wo waren Sie? Waren Sie noch in Münster oder trat eine Änderung ein?

 

GISEVIUS: Um diese Zeit war ich noch in Münster, aber Mitte 1937 wünschte Schacht, daß ich nach Berlin zurückkehrte. Je größere Enttäuschungen er erlebte, desto geneigter war er, meine Warnungen vor einer zunehmenden Radikalisierung und einem SS-Putsch für Ernst zu nehmen. Gegen Herbst 1937 waren die Dinge in Deutschland so gediehen, daß jedermann in der Oppositionsgruppe fühlte, daß böse Dinge sich vorbereiten. Wir dachten damals, es würde ein blutiger zweiter 30. Juni werden, wir wollten uns davor

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14474 (vgl. NP Bd. 12, S. 214 ff.)]

 

schützen, und Schacht war es, der über Oster mit Canaris Fühlung aufnahm und den Wunsch aussprach, ich möchte nach Berlin in irgendeiner Weise zurückgeholt werden. Es fand sich keine amtliche Stelle, die damals mir noch einen Posten gegeben hätte. Es blieb mir nichts anderes übrig, als einen Urlaub aus dem Staatsdienst anzutreten, angeblich zu wirtschaftlichen Studien. Schacht vermittelte im Einverständnis mit Canaris und Oster, daß ich einen solchen Posten in einem Werk bekam, in einem Bremer Werk, aber ich durfte mich dort nicht sehen lassen, und so kam ich nach Berlin, um nunmehr restlos unserem Freundeskreis für die nun kommenden Dinge zur Verfügung zu stehen.

 

DR. DIX: Euer Lordschaft! Wir kommen jetzt zum Januar 1938 und zur Fritsch-Krise. Ich glaube, es ist nicht nützlich, diese Darstellung des Zeugen dann zu unterbrechen. Ich würde also vorschlagen, daß Euer Lordschaft jetzt vertagt, oder aber, wir müßten dann mindestens noch eine halbe Stunde verhandeln.

 

VORSITZENDER: Ja, wir wollen jetzt vertagen.

 

 

[Das Gericht vertagt sich bis

25. April 1946, 10.00 Uhr.]

 

 

Einhundertvierzehnter Tag.

Donnerstag, 25. April 1946.

 

Vormittagssitzung.

 

    DR. DIX: Herr Dr. Gisevius! Wir standen gestern im Jahre 1938. Sie waren nach Berlin in eine von Schacht arrangierte Scheinstellung zurückgekehrt und waren nunmehr in ständigem Kontakt mit Ihren politischen Vertrauten Schacht, Oster, Canaris und Nebe. Und Sie hatten zuletzt weiter bekundet, daß Sie damals in Ihrem Kreise alle das Gefühl hatten, daß irgendein Schlag bevorstände.

    Und wir kommen ja jetzt tatsächlich zur sogenannten Fritsch-Krise, nach meiner Auffassung die entscheidende innenpolitische Vorstufe des Krieges. Schildern Sie bitte, und zwar im Zusammenhang, den gesamten Verlauf und die Hintergründe dieser Krise, Insbesondere auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß in die Geschichte dieser Krise der Einmarsch in Österreich fällt, selbstverständlich alles unter Berücksichtigung der Position und der Handlungen Schachts, auf die es ja ankommt.

 

GISEVIUS: Ich werde zunächst den Ablauf der Krise als solche schildern, von der es richtig ist, daß alle meine Freunde sie als die entscheidende Vorstufe des

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertdreizehnter Tag. Mittwoch, 24. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14476 (vgl. NP Bd. 12, S. 215 ff.)]

 

Krieges aufgefaßt haben.

    Ich werde in getrennter Weise Tatsachen aneinanderreihen und halte es für gut, um das Bild nicht zu verwirren, daß ich zunächst die Person Schachts aus der Schilderung herauslasse, weil der Tatbestand als solcher schon umfangreich genug ist.

    Ich werde auch in meiner Schilderung zunächst nicht auf die Herkunft unserer Informationen und auf meine eigenen Erlebnisse verweisen, sondern warten, bis ich darüber gefragt werde.

    Am 12. Januar 1938 wurde die deutsche Öffentlichkeit von der Meldung überrascht, daß der damalige Reichskriegsminister vor Blomberg geheiratet hätte. Nähere Einzelheiten über seine Frau auch Bilder, wurden nicht gegeben. Nach einigen Tagen erschien als einziges Bild eine Abbildung des Marschalls mit seiner neuen Frau ausgerechnet vor dem Affenzwinger des Leipziger Zoologischen Gartens. Es erhoben sich eine Anzahl Gerüchte in der Reichshaupt Stadt, die über das Vorleben der Marschallin böse Dinge zu berichten wußten. Nach einigen Tagen befand sich auf dem Schreibtisch des Berliner Polizeipräsidenten ein dickes Aktenbündel, aus dem folgendes hervorging:

    Die Frau des Marschalls von Blomberg war eine vorbestrafte Sittendirne, die allein in sieben Sittenakten großer Städte registriert war. Sie befand sich im Berliner Steckbriefregister. Ich selbst habe die Fingerabdrücke und die Bilder gesehen, und endlich war sie wegen Verbreitung unsittlicher Bilder vom Berliner Gericht bestraft worden. Der Berliner Polizeipräsident war verpflichtet, diese Akte auf dem Dienstwege dem Chef der Polizei Himmler zu übergeben.

 

DR. DIX: Entschuldigen Sie bitte, wer war damals Polizeipräsident?

 

GISEVIUS: Polizeipräsident war Graf Helldorf. Graf Helldorf erkannte, daß die Weitergabe dieses Materials an den Reichsführer-SS die Wehrmacht in eine unmögliche Situation bringen würde. Dann würde Himmler das Material gehabt haben, das er zur moralischen Beendigung der Karriere von Blombergs und zu einem Schlage gegen die Wehrmachtsführung benötigte. Helldorf ging mit diesen Akten zu dem engsten Mitarbeiter des Marschalls Blomberg, dem damaligen Chef des Wehrmachtsamts Keitel, der damals gerade in verwandtschaftliche Beziehungen, durch die Eheschließung beider Kinder, zu dem Marschall Blomberg getreten war. Der Marschall Keitel - oder damaliger Generaloberst Keitel - sah sich diese Akten genauestens an und stellte an den Polizeipräsidenten Helldorf das Ansinnen, den ganzen Skandal zu vertuschen und die Akten zu verschweigen.

 

DR. DIX: Vielleicht sagen Sie dem Gericht, woher

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14478 (vgl. NP Bd. 12, S. 216 ff.)]

 

Sie das wissen?

 

GISEVIUS: Ich weiß dies durch den Grafen Helldorf, der mir den ganzen Ablauf der Dinge geschildert hat, und durch den damals im Polizeipräsidium in Berlin sitzenden Oberregierungsrat und späteren Reichskriminaldirektor Nebe.

    Keitel lehnte es ab, von sich aus Blomberg irgendwelche Konsequenzen nahezulegen. Er lehnte es ab, den Chef des Generalstabs, Beck, oder den Chef des Heeres, Generaloberst von Fritsch, zu unterrichten. Er schickte den Grafen Helldorf mit den Akten zu Göring. Helldorf unterbreitete dem Angeklagten Göring das Aktenstück. Göring behauptete, von dem Steckbriefregister und von der Vorstrafe der Frau von Blomberg nichts zu wissen. Dagegen gab er zugleich in diesem ersten Gespräch und dann in späteren Gesprächen zu, daß er folgendes bereits gewußt habe:

    Erstens, daß der Marschall Blomberg bereits vor Monaten Göring gefragt habe, ob es zulässig sei, daß er ein Verhältnis mit einer Dame aus niederer Herkunft habe. Nach einiger Zeit hatte Blomberg Göring gefragt, ob er ihm behilflich sein wolle, einen Heiratsdispens zu erhalten für diese Dame, wie er sich ausdrückte, mit einer Vergangenheit. Nach einiger Zeit kam Blomberg wieder und erzählte Göring, leider habe diese Dame seines Herzens noch einen weiteren Liebhaber, und er müsse Göring bitten, ihm, Blomberg, behilflich zu sein, diesen Liebhaber beiseite zu schaffen.

 

DR. DIX: Entschuldigen Sie, das erzählte Göring damals Helldorf, und Sie haben es erfahren von Helldorf?

 

GISEVIUS: Ja, das erzählte Göring, und wir haben es in dem weiteren Verlauf der Untersuchung auch anderweitig erfahren. Göring schaffte darauf den Liebhaber beiseite, indem er ihm Devisen gab und ihn nach Südamerika verbannte. Trotzdem unterrichtete Göring über dieses Vorspiel Hitler nicht, er ging sogar mit Hitler zusammen als Trauzeuge zu der am 12. Januar stattfindenden Eheschließung des Marschalls Blomberg. Ich möchte hier bemerken, daß...

 

VORSITZENDER: Dr. Dix! Der Gerichtshof möchte gerne wissen, wieso Sie diese Angelegenheit, die so persönlich zu sein scheint, für erheblich zu unserem Fall hier halten, und inwiefern Sie die Angeklagten Schacht, Göring oder Frick betrifft.

 

DR. DIX: Ich vertrete hier nur die Interessen, die berechtigten Interessen des Angeklagten Schacht. Es ist notwendig, diese Krise in ihrer ganzen Schauerlichkeit darzustellen, um zu begreifen, welche Wirkung, welche revolutionäre Wirkung, sie auf Schacht und seinen Kreis gegenüber dem Regime gehabt hat. Ich

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14480 (vgl. NP Bd. 12, S. 217 ff.)]

 

habe schon früher einmal gesagt, in der Entwicklung Schachts vom Anhänger und - bis zu einem gewissen Grade - Bewunderer Hitlers zu einem Todfeind, der ihm nach dem Leben trachtet, ist der Wendepunkt die Fritsch-Krise. Das Gericht kann diesen inneren Umschwung nicht verstehen, wenn das Gericht nicht selbst den gleichen Eindruck empfängt, den damals Schacht empfunden hat. Es kommt mir hier wahrlich in keiner Weise darauf an, unnötig irgendwie schmutzige Wäsche zu waschen. Der Entschluß, diese Fragen zu stellen und den Zeugen zu veranlassen, die Fritsch-Krise in der notwendigsten Einzelheiten zu schildern, beruht eben nur darauf daß man die weitere Entwicklung Schachts und die Entwicklung der Fritsch-Krise, sagen wir, den Kreis Oster-Canaris, zu dem Schach gehörte, gar nicht verstehen kann, wenn man nicht die Ungeheuerlichkeiten dieser Krise kennt, und angesichts dieser Tatsache muß man, so unangenehm es ist, sich dazu entschließen, diese zum Teil sehr persönlichen Dinge zur Kenntnis des Gerichts zu bringen. Ich kann es leider nicht entbehren in meiner Verteidigung. Es ist das A und O meiner Verteidigung.

 

JUSTICE JACKSON: Hoher Gerichtshof! Es wäre jetzt vielleicht von Nutzen, unsere Stellungnahme bezüglich dieser Art von Aussage bekanntzugeben zur Prüfung der Frage, ob sie zulässig ist oder nicht.

    Wenn jetzt über diese Dinge nicht ausgesagt wird, würde ich versuchen, sie im Kreuzverhör herauszubekommen, und zwar aus verschiedenen Gründen:

    Erstens zeigen sie den Hintergrund zu den gestern behandelten Ereignissen, was nach meiner Ansicht wichtig ist, um die Glaubwürdigkeit der Aussagen beurteilen zu können.

    Zweitens hatten sie Einfluß auf die Verschwörung zur Machtergreifung. Es gab verschiedene Männer in Deutschland, die die Verschwörer beseitigen mußten. Einige konnten sie ohne Schwierigkeiten umbringen. Bei der Liquidierung anderer, wie zum Beispiel im Röhm-Putsch, riefen sie einen gewissen Widerstand wach, den sie mit anderen Mitteln niederschlagen mußten. Und die Mittel, die sie gegen Fritsch und Blomberg anwandten, zeigen die Verschwörung zur Machtergreifung und Beseitigung der Männer, die allenfalls einem Angriffskrieg im Wege standen.

    Meiner Ansicht nach gehörten Fritsch und Blomberg wohl zu jenen Leuten, auf die sich das deutsche Volk verlassen hat, als es die Nazis gewähren ließ, im Glauben, daß wenigstens diese beiden Männer ihre Interessen schützen würden; die Art und Weise, in der diese Männer angeschossen und aus dem Wege geräumt wurden, halten wir für einen wichtigen Teil der Verschwörung, und ich würde bitten, beim Kreuzverhör darauf einzugehen.

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14482 (vgl. NP Bd. 12, S. 218 ff.)]

 

    Das mag vielleicht für die Entscheidung des Gerichtshofs über den Fortgang des Verhörs wichtig sein.

 

DR. DIX: Darf ich noch etwas sagen?

 

VORSITZENDER: Jawohl, Herr Dr. Dix. Der Gerichtshof ist angesichts dessen, was Sie und Herr Jackson zur Begründung gesagt haben, der Meinung, daß Sie mit Ihrem Verhör fortfahren sollen. Sie werden sich nur die Mühe geben, es soweit wie möglich auf die politischen Seiten dieser Sache zu beschränken.

 

DR. DIX: Selbstverständlich. Aber das Persönliche ist hier von so großer politischer Wirkung gewesen, daß es hier nicht entbehrt werden kann.

 

[Zum Zeugen gewandt:]

 

    Also, Herr Dr. Gisevius! Sie sehen ja die Schwierigkeit der Situation. Wir wollen hier nur bekunden, Sensationen oder Sonstiges wollen wir hier nicht machen als Selbstzweck. Wenn es aber notwendig ist, derartige Dinge zu sagen, um hier dem Gericht die Entwicklung verständlich zu machen, so bitte ich Sie, sich freimütig zu äußern.

 

GISEVIUS: Ich bitte das Hohe Gericht, auch meine Schwierigkeit in Rücksicht stellen zu wollen; auch ich spreche nicht gerne über diese Dinge. Ich muß hinzufügen, daß Göring der einzige Chef des Forschungsamts war. Das ist jene Institution, die alle Telephonüberwachungen im Dritten Reiche übernahm. Dieses Forschungsamt begnügte sich nicht, wie es hier geschildert worden ist, nur mit telephonischem Abhören und Decodieren, es hatte auch seinen eigenen Nachrichtendienst bis herunter zu eigenen Beamten, die Erkundigungen einziehen konnten, so daß es durchaus möglich war, auch über die Marschallin von Blomberg vertrauliche Erkundigungen einzuziehen. Als Helldorf Göring die Akte übergeben hatte, sah Göring sich gezwungen, diese Akte Hitler zu geben. Hitler erlitt einen Nervenzusammenbruch und entschloß sich, den Marschall Blomberg sofort zu entlassen. Wie Hitler es später auch den Generalen in öffentlicher Sitzung gesagt hat, war sein erster Gedanke, zum Nachfolger Blombergs den Generaloberst von Fritsch zu ernennen. In dem Augenblick, als er diesen Entschluß aussprach, erinnerten ihn Göring und Himmler, daß dieses nicht möglich sei, da Fritsch durch eine Akte aus dem Jahre 1935 aufs schwerste kriminell belastet sei.

 

DR. DIX: Entschuldigen Sie, Herr Doktor! Was ist Ihre Erkenntnisquelle hinsichtlich dieser Unterhaltung zwischen Hitler und den Generalen hinsichtlich der

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14484 (vgl. NP Bd. 12, S. 219 ff.)]

 

Mitteilung Görings?

 

GISEVIUS: Mehrere Generale, die an der Sitzung teilgenommen haben, haben mir dies erzählt, und ich habe es schon gesagt, daß im Laufe der Dinge, die ich noch zu schildern haben werde, auch Hitler viele persönliche Erklärungen abgegeben hat; und wir haben auch die Originaldokumente des später stattfindenden Reichskriegsgerichts bis zum 20. Juli in unserem Besitz gehabt.

    Die Akte aus dem Jahre 1935, die nunmehr im Januar 1938 Hitler vorgelegt wurde, bezog sich darauf, daß die Gestapo im Jahre 1934 auf den Gedanken gekommen war, neben anderen Staatsfeinden auch Homosexuelle als kriminelle Verbrecher zu verfolgen. Auf der Suche nach Material war die Gestapo in Zuchthäuser gegangen und hatte gerichtlich verurteilte Zuchthäusler, die Homosexuelle erpreßt hatten, um Material gebeten und um Namen, wer wohl homosexuell sei. Dabei hatte ein Zuchthäusler eine fürchterliche Geschichte zu Protokoll gegeben, die nun wirklich so scheußlich ist, daß ich sie hier nicht wiedergeben werde. Es genügt, daß dieser Zuchthäusler meinte, der davon Betroffene sei ein gewisser Herr von Fritsch oder Frisch gewesen, des genauen Namens konnte sich der Zuchthäusler nicht entsinnen. Die Gestapo übergab diese Akte im Jahre 1935 Hitler. Hitler war entrüstet über den Inhalt. Er sagte, wie er sich vor den Generalen ausgedrückt hat, er habe von einer solchen Schweinerei nichts wissen wollen. Hitler gab die Anordnung, diese Akte solle unverzügich verbrannt werden. Jetzt, im Jahre 1938, erinnerten Göring und Himmler Hitler an diese Akte, und es war Heydrichs Geschick vorbehalten, diese im Jahre 1935 angeblich verbrannte Akte nunmehr wieder Hitler vorzulegen, und zwar inzwischen vervollständigt um ganz beträchtliche Untersuchungen. Hitler glaubte in diesem Moment, wie er den Generalen gesagt hat, nach der Enttäuschung, die ihm Blomberg bereitet hatte, daß auch bei Fritsch allerhand Böses möglich sei. Der Angeklagte Göring erbot sich, Hitler den Zuchthäusler aus dem Zuchthaus in die Reichskanzlei zu bringen. Göring bedrohte zuvor diesen Zuchthäusler in Karinhall mit dem Tode, wenn er nicht bei seiner Aussage bliebe.

 

    DR. DIX: Woher wissen Sie das?

 

GISEVIUS: Das ist im Reichskriegsgericht zur Sprache gekommen. Und dann wurde Fritsch in die Reichskanzlei bestellt und von Hitler auf die gegen ihn erhobene Beschuldigung aufmerksam gemacht. Fritsch, ein Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle, hatte durch den Adjutanten Hitlers eine vertrauliche Warnung erhalten, sie war aber so unvollständig gewesen, daß Fritsch völlig erschrocken in die Reichs

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14486 (vgl. NP Bd. 12, S. 220 ff.)]

 

kanzlei kam. Er verstand überhaupt nicht, was Hitler ihm vorwarf. Entrüstet stritt er ab, was er verbrochen haben sollte. Er gab Hitler in Gegenwart Görings sein Ehrenwort, daß alle Beschuldigungen falsch seien. Aber Hitler ging zur nächsten Türe, öffnete diese und herein trat dieser Zuchthäusler, erhob den Arm, zeigte auf Fritsch und sagte: »Das ist er.« Fritsch war sprachlos. Er konnte einzig verlangen, daß eine gerichtliche Untersuchung eingeleitet wurde. Hitler verlangte seine sofortige Demission und wollte unter der Bedingung, daß Fritsch schweigend ging, die Angelegenheit auf sich beruhen lassen. Fritsch wandte sich an den Chef des Generalstabs Beck. Der Chef des Generalstabs Beck intervenierte bei Hitler. Es entstand ein großer Kampf darum, daß diese ungeheuerlichen Beschuldigungen gegen Fritsch gerichtlich untersucht werden müssen. Dieser Kampf zog sich ungefähr eine Woche hin. Es gab dramatische Auseinandersetzungen in der Reichskanzlei. Am Ende kam der berühmte 4. Februar, zu dem die Generale nach Berlin bestellt wurden, die bis zu diesem Tage, also noch zehn Tage seit der Entlassung Blombergs und Beurlaubung Fritschs, völlig ahnungslos waren, daß ihre beiden Vorgesetzten nicht mehr ihres Amtes walteten. Hitler persönlich trug den Generalen die Akte vor, in einer Form, daß auch sie vollständig verwirrt waren und sich damit zufrieden gaben, die Angelegenheit sollte gerichtlich untersucht werden. Gleichzeitig überraschte Hitler die Generale...

 

DR. DIX: Sie haben doch nur Kenntnis durch die Teilnehmer an dieser Versammlung?

 

GISEVIUS: Von den Teilnehmern an der Versammlung, ja.

    Gleichzeitig überraschte Hitler die Generale mit der Mitteilung, daß sie einen neuen Oberbefehlshaber, den Generaloberst von Brauchitsch bekommen hätten. Ein Teil der Generale war inzwischen amtsenthoben, und ebenfalls war an jenem Abend zuvor jene Meldung in der Zeitung erschienen, in der Hitler unter dem Vorwand einer Konzentration der Regierungsverhältnisse den Außenminister von Neurath entlassen hatte, den Wechsel im Wirtschaftsministerium perfektiert hatte, eine Anzahl Diplomaten ihres Postens enthoben hatte und dann als Annex zu dieser Meldung den Wechsel im Kriegsministerium und der Heeresführung bekanntgegeben hatte. Es entspann sich nunmehr wiederum ein wochenlanger Kampf um den Zusammentritt des Kriegsgerichts, das über die Rehabilitierung des Generaloberst von Fritsch zu entscheiden hatte. Dieses war für uns alle der Moment, wo wir glaubten, vor einem höchsten deutschen Gericht beweisen zu können, mit welchen Mitteln die Gestapo sich ihrer politischen Gegner entledigte. Hier war die

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14488 (vgl. NP Bd. 12, S. 221 ff.)]

 

einzigartige Gelegenheit, unter Eid Zeugen darüber vernehmen zu können, wie diese ganze Intrige eingefädelt war, und so machten wir uns dann an die Arbeit, diesen Prozeß für unseren Teil vorzubereiten.

 

DR. DIX: Was heißt »wir« in diesem Falle?

 

GISEVIUS: Ich nenne in diesem Zusammenhang vor allem einen Mann, der selber als rechtschaffener Jurist und Richter Teilnehmer bei diesem Reichskriegsgericht war. Es ist der damalige Reichskriegsgerichtsrat und spätere Chefrichter des Heeres, Ministerialdirektor Dr. Sack. Dieser Mann glaubte es dem Gedanken des Rechtes schuldig zu sein, mit allen Mitteln an der Aufdeckung dieser Dinge mitzuwirken. Er hat es getan, und auch er ist nach dem 20. Juli den Weg des Todes gegangen.

    Bei dieser Untersuchung stellte sich nunmehr folgendes heraus:

    Die Richter des Reichskriegsgerichts vernahmen nun ihrerseits die Gestapo-Zeugen. Sie untersuchten die Protokolle der Gestapo sie machten Lokaltermine, und es dauerte nicht lange, bis sie mit Hilfe allerdings des Kriminalisten Nebe genau erkundet hatten, daß es sich bei dieser ganzen Angelegenheit um einen Doppelgänger handelte, nicht um den Generaloberst von Fritsch, sondern um einer längst pensionierten Hauptmann a. D. von Frisch.

    Bei dieser Untersuchung stellten die Richter ein weiteres fest: Sie konnten den Nachweis erbringen, daß die Gestapo bereits an 15. Januar in der Wohnung dieses Doppelgängers von Frisch gewesen war und seine Haushälterin befragt hatte. Ich darf noch einmal jetzt die beiden Daten gegenüberstellen:

    Am 15. Januar ist für die Gestapo erwiesen, daß Fritsch nicht der Schuldige war. Am 24. Januar bringt der Angeklagte Göring den Zuchthäusler und Belastungszeugen in die Reichskanzlei, um Fritsch, den Generaloberst, seiner Schuld zu überführen. Wir glaubten, daß wir hierbei einem intriganten Stück von geradezu unvorstellbaren Ausmaßen gegenüberstanden, und daß nunmehr auch der skeptischste General sehen mußte, daß sich nicht nur in den unteren Regionen der Gestapo, unsichtbar, verborgen, ohne daß jemand in den Rängen der Minister und Reichskanzlei etwas davon wußte, Dinge abspielten, die jedermann von Ehre und Recht zum Eingreifen zwingen mußten. Dieses war der Grund, daß wir uns nunmehr in einer größeren Gruppe zusammenfanden und daß wir nunmehr sahen, jetzt brauchen wir nicht nur heimlich Material über die Gestapo sammeln. Das war ja die große Schwierigkeit, unter der wir standen. Wir hörten unendlich viel, aber wenn wir dieses Material weitergegeben hätten, dann hätten wir jedesmal diejenigen Männer, die uns dieses Material ausspielten, dem

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14490 (vgl. NP Bd. 12, S. 222 ff.)]

 

Gestapoterror ausliefern müssen. Hier konnten wir auf legalem Wege vorgehen, und so begannen wir unseren Kampf, den Generaloberst von Brauchitsch dazu zu bewegen, in dem Reichskriegsgericht die nötigen Beweisanträge zu stellen.

 

DR. DIX: Was heißt hier »wir«?

 

GISEVIUS: In diesem Moment fand sich eine Gruppe, von der ich Herrn Dr. Schacht hervorheben muß, der damals in höchstem Maße aktiv war, der damals zu Großadmiral Raeder ging, zu Brauchitsch ging, zu Rundstedt ging, zu Gürtner ging, der damals überall versuchte zu sagen: Jetzt ist die große Krise da, jetzt müssen wir handeln, jetzt ist es die Aufgabe der Generale, uns jetzt von diesem Terrorregime zu befreien. Aber ich muß in diesem Zusammenhang noch einen anderen Namen nennen. Bereits im Jahre 1936 hatte mich Schacht mit Dr. Goerdeler zusammengebracht. Ich habe die Ehre gehabt, mit diesem tapferen Manne von da an den Weg gemeinsam bis zum 20. Juli gehen zu dürfen, und ich will auch nicht, daß ich hier seinen Namen zum ersten Male nenne, ohne daß in diesem Saale, wo so viele furchtbare Dinge bekannt werden, auch der Name eines Deutschen genannt wird, der ein tapferer, unerschrockener Kämpfer für Freiheit und Recht und Anstand war, und von dem ich glaube, er wird einstmals nicht nur in Deutschland ein Vorbild sein, daß man seine Pflicht auch unter dem Gestapoterror tun kann, treu bis zum Tode.

    Dieser Dr. Goerdeler, immer schon ein unerschrockener und unermüdlicher Kämpfer, war in diesen Tagen von einer Tapferkeit sondergleichen. Ähnlich Dr. Schacht ging er von einem Ministerium zum anderen, von einem General zum anderen, und er glaubte auch, daß nun die Stunde geschlagen hätte, wo wir die große Front der Anständigen mit den Generalen an der Spitze erreichen könnten. Brauchitsch hat damals nicht abgelehnt, er hat es damals Goerdeler gegenüber nicht abgelehnt zu handeln, er ist Goerdeler gegenüber in seinen Zusicherungen für einen Putsch bis an die Grenze des Religiösen gegangen.

    Ich darf mich als Zeuge dafür anführen, daß auch Brauchitsch mir gegenüber die feierliche Zusicherung abgab, er würde jetzt diese Gelegenheit zum Kampf gegen die Gestapo benutzen. Aber Brauchitsch stellte eine Vorbedingung. Diese Vorbedingung wurde von den Generalen insgesamt übernommen. Brauchitsch sagte: Hitler ist ja noch ein populärer Mann, wir fürchten den Hitler-Mythos. Wir wollen dem deutschen Volke und der Welt den letzten Beweis liefern in Form der Sitzung des Reichskriegsgerichts und dessen Urteilsspruch. Deswegen verschob Brauchitsch seine Handlung auf den Tag des Urteilsspruchs des Reichskriegsgerichts.

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14492 (vgl. NP Bd. 12, S. 223 ff.)]

 

    Das Reichskriegsgericht trat zusammen. Es begann seine Sitzung. Die Sitzung wurde plötzlich unter dramatischen Umständen unterbrochen. Ich muß allerdings noch etwas hinzufügen. Hitler ernannte zum Vorsitzenden dieses Reichskriegsgerichts den Angeklagten Göring. Und nun trat das Reichskriegsgericht unter dem Vorsitz Görings zusammen. Ich weiß von Nebe, daß Göring sich eingehend die Tage vorher mit Himmler und Heydrich über dieses Gericht beriet. Ich weiß, daß Heydrich zu Nebe sagte: Dieses Reichskriegsgericht wird das Ende meiner Laufbahn sein.

 

DR. DIX: Hat Ihnen das Nebe gesagt?

 

GISEVIUS: Jawohl, noch am selben Tage.

    Das Reichskriegsgericht wird die große Gefahr für die Gestapo sein. Und nun trat dieses Reichskriegsgericht zusammen, tagte einige Stunden und wurde unter dramatischen Umständen vertagt. Denn dieses war der Tag, an dem die Entscheidung fiel, die deutschen Armeen nach Österreich einmarschieren zu lassen. Es war uns schon damals kein Zweifel, weswegen der Präsident dieses Kriegsgerichts ein so unerhörtes Interesse hatte, daß an diesem Tage noch die Truppen den Marschbefehl kriegten, der sie nicht in Frontstellung nach innen, sondern mit dem Ziel nach außen marschieren ließ. Erst nach einer Woche konnte das Reichskriegsgericht wieder zusammentreten. Aber dann war Hitler der Triumphaler. Die Generale hatten ihren ersten Blumenfeldzug hinter sich, eine Volksstimmung war angesagt, der Jubel war groß und die Verwirrung bei den Generalen noch größer. Und so ging dieses Kriegsgericht auseinander. Fritschs Unschuld wurde ausdrücklich festgestellt, aber Brauchitsch meinte, in dieser neuen psychologischen Situation, die durch die Annektion Österreichs verursacht war, könne er es nicht mehr verantworten, zu einem Putsch zu schreiten. Dies ist in großen Zügen die Geschichte, die praktisch das Kriegsministerium seiner führenden Männer beraubte, die Generale in eine Verwirrung ohnegleichen brachte und von welchem Augenblick an wir nunmehr den Weg steil abwärts in den Radikalismus hineingingen.

 

DR. DIX: Ich darf vielleicht um die Erlaubnis des Gerichts bitten, in diesem Zusammenhang einen Satz aus einem Dokument verlesen zu dürfen, welches ich unter Schacht Exhibit Nummer 15 überreichen werde. Mein Dokumentenbuch ist noch in der Übersetzung, ich hoffe aber, daß es am Tage der Vernehmung Schachts da sein wird. Es ist nur ein Satz, der in diesem Zusammenhang interessant ist, nämlich aus dem Zweijahresbericht des Generalstabs...

 

VORSITZENDER: Ist dieses Dokument der Anklagevertretung und dem Gerichtshof überhaupt vorge

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14494 (vgl. NP Bd. 12, S. 224 ff.)]

 

legt worden?

 

DR. DIX: Die Dokumente sind ja eingehend, und zwar zweimal mit der Anklage, einmal für die Frage der Übersetzung und dann für die Frage der Zulassung als Beweismittel besprochen worden und dann hier durch Herrn Dodd vor dem offenen Court diskutiert worden. Aber ich habe die feste Überzeugung, daß die Anklagebehörde das Dokument genau kennt; es ist auch nur ein Satz und ich glaube nicht, daß seitens der Anklagevertretung Bedenken bestehen gegen die Verlesung dieses einen Satzes, weil sonst der Zusammenhang mit den Dokumentenbeweisen vielleicht auseinandergerissen wird. Ich will manchesmal, wenn es sich sachlich empfiehlt, schon eine Urkunde hier hineinbringen. Es ist ja nur ein Satz aus dem Zweijahresbericht des Generalstabs der Vereinigten Staaten...

 

JUSTICE JACKSON: Ich weiß nicht, um welches Dokument es sich handelt, Herr Vorsitzender. Ich möchte es gerne wissen, da wir vielleicht auch einige Fragen dazu zu stellen haben. Ich möchte Dr. Dix nicht aufhalten, aber ich habe kein Exemplar dieses Dokuments und weiß noch nicht, um was es sich handelt.

 

DR. DIX: Ich wollte nur das Verfahren abkürzen, aber wenn ich sehe, daß sich Schwierigkeiten ergeben, eine lange Diskussion notwendig ist, dann werde ich es unterlassen und werde es später, wenn ich meine Urkundenbeweise vortrage, tun. Ich werde sonst ja nicht meinen Zweck erreichen.

 

[Zum Zeugen gewandt:]

 

    Sie wollen vielleicht in Ergänzung und zum Verständnis des Gerichts dem Gericht noch eine Bekundung über die Stellung machen, die der Vorsitzende im deutschen Kriegsgerichtsverfahren einnimmt, daß die Kontrolle des Verhörs in seinen Händen liegt, überhaupt der ganze Aufbau in seinen Händen liegt.

 

GISEVIUS: Herr Dr. Dix! Ich zweifle nicht, daß Sie an sich über die Zuständigkeit eines solchen Vorsitzenden besser und juristisch klarer antworten können. Ich möchte Ihnen aber folgendes sagen: Ich habe das Stenogramm dieser Sitzung gelesen, denn es ist eines jener Dokumente, das wir glaubten, einmal der Öffentlichkeit übergeben zu wollen. Auch dieses, hoffe ich, werden wir noch einmal finden; und daraus geht hervor, daß der Angeklagte Göring als Vorsitzender den Tenor der gesamten Verhandlungen und der Fragen bestimmte. Er fragte den Belastungszeugen und er sorgte dafür, daß andere Fragen nicht gestellt wurden, die vielleicht hätten peinlich werden können. Ich muß sagen aus der Lektüre dieses umfangreichen Protokolls, daß Göring es verstanden hat, die wahren Vor

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14496 (vgl. NP Bd. 12, S. 225 ff.)]

 

gänge durch seine Verhandlungsweise zu vertuschen.

 

DR. DIX: Ich habe bei meinen einleitenden Worten anfangs der Sitzung die Fritsch-Krise die entscheidende innenpolitische Vorstufe des Krieges genannt. Sie haben, Herr Doktor, diesen Ausdruck aufgenommen. Wollen Sie sich nach Abschluß der Schilderung der Fritsch-Krise bitte dazu entschließen, die von Ihnen aufgenommene Ansicht zu begründen; und wie war der Eindruck auf Ihre Kreise in dieser Richtung, insbesondere auch auf Schacht?

 

GISEVIUS: Ich muß nochmals darauf hinweisen, daß es bis zu dieser Fritsch-Krise schwer war, innerhalb der deutschen Opposition auch nur den bloßen Gedanken an Krieg laut werden zu lassen. Das kam daher, daß in Deutschland die oppositionellen Kreise so sehr von der Stärke der Armee durchdrungen waren und von der Stärke der führenden Männer, daß sie glaubten, es genüge, einen solchen Ehrenmann, wie Fritsch, an der Spitze der deutschen Armee zu sehen. Der Gedanke schien unvorstellbar, daß Fritsch ein Abgleiten in den Terror dulden würde oder auch ein Hineingleiten in den Krieg. Nur einige wenige hatten darauf hingewiesen, daß es in dem Gesetz jeder Revolution liegt, daß sie eines Tages über die Grenzen eines Volkes hinausgeht. Wir glaubten, daß diese geschichtliche Lehre auch für die nationalistische Revolution als eine drohende Gefahr sprechen werde, und deswegen warnten diejenigen, die von einer Revolution, nicht nur vor einer Diktatur, überzeugt waren, immer wieder davor, daß eines Tages diese Revolutionäre als letztes Mittel zum Kriege schreiten würden. Je mehr nun im Zuge der Fritsch-Krise klar wurde, daß der Radikalismus das Feld behauptete, wurde einem weiteren Kreise klar, daß die Kriegsgefahr nicht mehr von der Hand zu weisen war.

 

DR. DIX: Und gehörte zu diesem Kreise auch der Angeklagte Schacht?

 

GISEVIUS: Ja, in diesen Tagen der Fritsch-Krise haben Schacht wie viele andere gesagt, »das ist der Krieg«, und dieses wurde auch unzweideutig dem damaligen Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst von Brauchitsch, gesagt.

 

DR. DIX: Nun drängt sich die Frage auf, warum finanzierte denn nun Schacht, allerdings vorher, zumindest in den Anfängen die Aufrüstung?

 

GISEVIUS: Schacht hat mir immer zur Begründung angegeben, er habe die Aufrüstung zu defensiven Zwecken mit seinen Mitteln ausgestattet. Schacht war lange Jahre davon durchdrungen, daß ein so großes Volk in der Mitte Europas wenigstens die Mittel für eine Defensive haben müßte.

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14498 (vgl. NP Bd. 12, S. 226 ff.)]

 

    Ich darf darauf hinweisen, daß damals weite Kreise des deutschen Volkes von dem Gedanken durchdrungen waren, es könne etwa aus dem Osten eine offensive Gefahr kommen. Sie dürfen nicht vergessen, mit welcher Propaganda damals das deutsche Volk überschwemmt wurde, und daß besonders diese Gefahr aus dem Osten mit dem Hinweis auf die polnischen Aspirationen auf Ostpreußen begründet wurde.

 

DR. DIX: Hat sich Schacht mit Ihnen damals auch darüber unterhalten, daß er mit dieser Aufrüstung insofern politische Zwecke verfolgte, als er durch sie die Debatte über die allgemeine Abrüstung wieder in Gang setzen wollte?

 

GISEVIUS: Ich bitte um Entschuldigung. Ich habe leider vergessen, von mir aus diesen Punkt hervorzuheben. Schacht war der Meinung, man müsse mit allen Mitteln das Gespräch um die Aufrüstung1 wieder in Gang bringen. Ihm schwebte vor, daß sehr bald schon, ich glaube, daß er diese Meinung seit 1935 hatte, die Gegenseite auf die deutsche Aufrüstung zu verweisen sei; und daß dann Hitler gezwungen werden würde, nunmehr wegen seiner bekanntgewordenen Wiederaufrüstung die Gespräche auf der Abrüstungskonferenz neu zu beginnen.

 

DR. DIX: Ist das, was Sie eben gesagt haben, der Gegenstand Ihrer damaligen Gespräche mit Schacht, oder ist das ein Urteil von Ihnen jetzt?

 

GISEVIUS: Nein, ich entsinne mich dieses Gespräches deswegen sehr genau, da ich dachte, daß Hitler einen anderen Drang hatte, als zu einer Abrüstungskonferenz zu gehen. Ich rechnete meinerseits mit einer ganz anderen Mentalität Hitlers und war etwas erstaunt, daß Schacht solche Gedankengänge Hitlers überhaupt für möglich hielt.

 

DR. DIX: Nun, hatten Sie den Eindruck aus Ihrer Unterhaltung mit Schacht, daß er über Art, Tempo und Ausmaß und so weiter der Aufrüstung im einzelnen orientiert war?

 

GISEVIUS: Ich entsinne mich deutlich, wie oft Schacht Freunde von mir und auch mich persönlich fragte, ob wir ihm nicht behilflich sein könnten, den Umfang der Aufrüstung durch Rückfragen im Kriegsministerium zu eruieren. Ich habe gestern schon die Versuche geschildert, die er unternahm, um über Oster und Thomas Einzelheiten in Erfahrung zu bringen.

 

DR. DIX: Nun, können Sie dem Tribunal etwas darüber sagen, ob überhaupt Schacht sich dann bemüht hat, die Rüstungsausgaben und damit die Rüstung nach Tempo und Ausmaß zu beschränken; und, bejahendenfalls, wann diese Bemühungen Schachts ein

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14500 (vgl. NP Bd. 12, S. 227 ff.)]

 

setzten?

 

GISEVIUS: Diese Bemühungen setzten meines Wissens bereits im Jahre 1936 ein. Unter den erregten Debatten um Schachts Rücktritt als Wirtschaftsminister im Jahre 1937 spielten diese Bemühungen eine besonders große Rolle. Ich entsinne mich, daß eigentlich jedes Gespräch um diesen Punkt kreiste.

 

DR. DIX: Nun wird gesagt - und verständlicherweise auch von der Anklagebehörde -, daß die Begründungen, die Schacht auch in offiziellen Eingaben und so weiter über die Notwendigkeit dieser Einschränkungen gab, hauptsächlich auf finanztechnischem Gebiet gelegen hätten, das heißt, daß er als besorgter Wirtschaftsführer und besorgter Reichsbankpräsident gesprochen hätte und nicht als besorgter Patriot, der befürchtete, daß sein Land in einen Krieg gestürzt werden könnte. Wissen Sie, haben Sie mit Schacht Unterhaltungen geführt, in deren Erinnerung Sie zu diesem meinem Vorhalt dem Tribunal etwas Nützliches sagen können?

 

GISEVIUS: In diesen ganzen Vorbesprechungen gab es von dem Schriftsatz, den Schacht abfaßte, Dutzende von Vorentwürfen. Sie wurden in Freundeskreisen durchgesprochen; um nur ein Beispiel zu nennen, hat Schacht wiederholt solche Schreiben auch mit Goerdeler durchgesprochen. Immer ging es um eine Frage: Was kann man sagen, damit ein solches Schreiben nicht als Provokation empfunden wird, sondern damit es den Zweck erfüllt, die übrigen bürgerlichen Minister und insbesondere den Kriegsminister Blomberg auf die Seite Schachts zu ziehen; denn das war ja gerade der Kampf: wie überzeugt man solche Minister, wie Blomberg, Neurath oder Schwerin-Krosigk, die viel loyaler Hitler gegenüberstanden, daß sie sich Schacht anschließen, statt daß sie sagen, daß Schacht wieder einmal in seiner bekannt bissigen Zunge Hitler und Göring provozierte.

    Alle diese Schreiben sind nur zu verstehen aus den taktischen Gründen, die wie gesagt, eingehendst mit führenden Männern der Opposition beraten wurden.

 

DR. DIX: Nun nach der Fritsch-Krise; wie gestaltete sich denn nun die politische Verschwörerarbeit, die Sie mit Ihren Freunden und Schacht gemeinschaftlich hatten?

 

GISEVIUS: Ich greife das Wort, von der Verschwörung auf. Während ich bis zu diesem Augenblick unsere Tätigkeit mehr oder minder nur oppositionell nennen kann, begann in der Tat jetzt eine Verschwörung; und nunmehr tritt auch in den Vordergrund ein Mann, der später als Haupt dieser Verschwörung eine große Rolle spielen sollte. Der damalige Chef des Generalstabs, Generaloberst Beck, meinte, es sei der

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14502 (vgl. NP Bd. 12, S. 228 ff.)]

 

Zeitpunkt gekommen, wo ein deutscher General das große Alarmsignal für das In- und Ausland zu geben hat. Es ist, wie ich glaube, für das Tribunal wichtig, auch den letzten Grund zu wissen, weswegen Beck sich zu diesem Schritt entschloß. Der Chef des Generalstabs war zugegen, als Hitler im Mai 1938 in Jüterbog vor den Generalen eine große Rede hielt.

    Diese Rede war gedacht als Rehabilitierung Fritschs, mit ein paar Worten wurde auch über Fritsch gesprochen; aber mehr wurde gesprochen und zum erstenmal offen vor deutschen Generalen im großen Kreise von Hitlers Absicht, die Tschechoslowakei mit Krieg zu überziehen. Beck hörte diese Rede, er war entrüstet, daß er als Chef des Generalstabs zum erstenmal von einer solchen Absicht in einem solchen Gremium hörte, ohne vorher auch nur unterrichtet oder befragt worden zu sein. Noch während der Sitzung schickte Beck zu Brauchitsch einen Brief, in dem er diesen um eine sofortige Unterredung bat. Brauchitsch verweigerte diese und ließ Beck ostentativ mehrere Wochen warten. Beck geduldete sich nicht so lange, er verfaßte ein umfangreiches Memorandum, in dem er als Chef des Generalstabs sich dagegen verwahrte, daß das deutsche Volk in Kriegsabenteuer hineingezogen würde. Beck erklärte am Ende dieses Memorandums seinen Rücktritt und hier, glaube ich, ist es Zeit, daß ich auch über diesen Chef des Generalstabs ein Wort sage...

 

DR. DIX: Einen Moment, Herr Doktor; wollen Sie nur noch sagen, von wem haben Sie diese Kenntnis über die Gedanken Becks und die Unterhandlungen zwischen Beck und Brauchitsch?

 

GISEVIUS: Beck schenkte mir sein Vertrauen, und ich habe in den letzten Jahren eng mit ihm zusammengearbeitet, und bis zur letzten Stunde seines Lebens, am 20. Juli, habe ich an der Seite von ihm gestanden und ich kann hier bezeugen, und es ist wichtig für das Gericht, daß Beck immer wieder mit dem Problem gerungen hat, was ein Chef des Generalstabs zu tun hat, wenn er sieht, daß die Dinge in den Krieg treiben; und deswegen bin ich es seinem Andenken und meinem Eide hier schuldig, nicht zu verschweigen, daß Beck die Konsequenz zog, als einziger deutscher General freiwillig von seinem Posten zurückzutreten, um zu zeigen, daß es auch für Generale in führenden Positionen eine Grenze gibt, wo sie unter Einsatz ihrer Position und ihres Lebens zurückzutreten haben und nicht mehr Befehle entgegenzunehmen haben. Beck war der Meinung, daß der Generalstab nicht nur eine Vereinigung von Waffentechnikern sei; Beck sah in dem deutschen Generalstab das Gewissen der deutschen Armee, und so erzog er seine Generalstäbler und litt die späteren Jahre seines Lebens unendlich darunter,

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14504 (vgl. NP Bd. 12, S. 228 ff.)]

 

daß Menschen, die von ihm in diesem Sinne erzogen waren, nicht diesen Weg des Gewissens gingen; und ich bin es diesem Manne schuldig, zu sagen, daß er ein Mann unbeugsamen Charakters.

 

VORSITZENDER: Dr. Dix! Ich glaube, wir sollten lieber das behandeln, was Herr General Beck tatsächlich getan hat.

 

DR. DIX: Das will ich tun, aber Euer Lordschaft...

 

VORSITZENDER: Ich glaube, es wäre jetzt Zeit, eine Pause einzuschalten. Der Zeuge hat gesagt, daß General Beck in einem Memorandum protestiert hat und seinen Rücktritt angeboten hat. Das hat er schon vor einigen Minuten gesagt, er hat dann weitergesprochen, hat uns aber noch nicht gesagt, was General Beck wirklich getan hat.

 

DR. DIX: Ja.

 

VORSITZENDER: Wir werden jetzt eine Pause einschalten.

 

 

[Pause von 10 Minuten.]

 

    VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird morgen, Samstag, keine öffentliche Sitzung abhalten, sondern wird in geschlossener Sitzung tagen.

DR. DIX: Sie hielten nach der Jüterbog-Rede des Generaloberst Beck bei der Durchführung seines Entschlusses, seinen Abschied einzureichen. Was tat er denn nun?

 

GISEVIUS: Beck wurde von Hitler und Brauchitsch dringend ersucht, in seinem Amte zu bleiben. Beck weigerte sich und beharrte auf seinem Rücktritt. Daraufhin drangen Hitler und Brauchitsch in Beck, es möge wenigstens sein Rücktritt nicht publiziert werden und Beck möge formell seinen Rücktritt auf einige Monate später verschieben. Beck, der damals noch nicht den Weg zum Hochverrat gegangen war, glaubte diesem Ansuchen stattgeben zu sollen. Er hat diese loyale Haltung späterhin aufs tiefste bedauert. Tatsache ist, daß bereits Ende Mai oder Anfang Juni sein Nachfolger, der General Halder, die Dienstgeschäfte des Generalstabschefs übernahm und Beck von diesem Augenblick an faktisch seines Amtes nicht gewaltet hat.

 

DR. DIX: Darf ich nochmals fragen: Die Kenntnis dieser Tatsachen gründen Sie auf welche Beobachtungen und Unterhaltungen mit wem?

 

GISEVIUS: Damals auf ständige Gespräche zwischen Beck, Oster, Goerdeler, Schacht und einer ganzen Gruppe, und die Frage, warum Beck seinen Rücktritt nicht publiziert hat, hat ihn später so sehr bedrückt,

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14506 (vgl. NP Bd. 12, S. 229 ff.)]

 

daß es ein ständiges Gespräch bis in die letzten Tage zwischen ihm und mir war.

 

DR. DIX: Das war der Rücktritt von Beck. Nun spukte aber in den Überlegungen wahrscheinlich auch das Problem eines eventuellen Rücktritts von Schacht. Ist diese Frage der Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit eines Rücktritts von Schacht zwischen Beck und Schacht nach Ihrer Kenntnis und Beobachtung besprochen worden?

 

GISEVIUS: Jawohl, es wurde sehr eingehend darüber gesprochen.

    Beck war der Meinung, sein Rücktritt allein würde vielleicht nicht wirksam genug sein. Er trat daher an Schacht mit der Bitte heran, ob Schacht nicht auch seinerseits sich dem Rücktritt Becks anschließen wolle. Es wurde eingehend hierüber gesprochen, einerseits zwischen Beck und Schacht persönlich, andererseits zwischen Oster und mir als den beiden Mittelsmännern. In diesen Gesprächen, gestehe ich ein, war ich ebenfalls der Meinung, Schacht solle unbedingt zurücktreten. Ich habe ihn auch in diesem Sinne beraten. Oster war der Meinung und bat Schacht, er möge unbedingt im Amte bleiben, weil für die Beeinflussung der Generale unbedingt der Schacht mit dem Ministertitel und im Amte notwendig sei.

    Rückblickend muß ich hier aussagen, daß ich mit meinem damaligen Rat an Schacht unrecht hatte; denn die Ereignisse, die ich hernach zu schildern habe, haben bestätigt, wie wichtig es für Oster und andere war, daß Schacht im Amte blieb.

 

DR. DIX: Das war ja nun eine sehr schwere Gewissensfrage für Schacht. Sie haben dem Gericht bekundet, welche Ansicht Sie hatten und welche Ansicht und welche Gründe Oster hatte. Hatte nun Schacht seine Gewissensqualen und seine pros und contras seiner Überlegungen mit Ihnen besprochen in seinem endgültigen Entschluß?

 

GISEVIUS: Jawohl.

 

JUSTICE JACKSON: Herr Vorsitzender! Ich erhebe keine Einwendung gegen die Art und Weise, in der die Angeklagten versuchen, ihre Darstellung von ihrer Sache zu geben. Ich glaube aber, daß wir über die Grenzen eines notwendigen Verhörs hinausgehen. Schacht ist persönlich da, er kann uns über sein Gewissen Auskunft geben. Ich glaube nicht, daß ein anderer Zeuge dazu imstande ist, Aus diesem Grunde denke ich, daß dies nicht eine Frage ist, deren Antwort Beweiskraft hat und ich erlaube mir, Einwand dagegen zu erheben.

 

VORSITZENDER: Dr. Dix! Es ist besser, Sie sagen uns nur, was Schacht getan, das heißt vielmehr, Sie

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14508 (vgl. NP Bd. 12, S. 230 ff.)]

 

lassen den Zeugen aussagen, was Schacht getan hat.

 

DR. DIX: Darf ich dazu kurz eine Bemerkung machen. Es ist natürlich richtig, was Herr Justice Jackson sagte, daß Schacht am besten über seine Gründe Bescheid wissen wird und dem Gericht darüber Bekundung machen kann. Aber bei einer so diffizilen Frage, deren Berechtigung ja auch umstritten ist - die Anklagevertretung, so habe ich sie wenigstens verstanden, neigt ja dazu, die Gedankengänge, die damals Schachts Entschluß leiteten, als nicht berechtigt anzuerkennen - meine ich, daß es doch wenigstens nach unseren Beweisgrundsätzen für das Gericht von Erheblichkeit ist, auch von einem Augen- und Ohrenzeugen zu erfahren, was denn nun die Erwägungen gewesen sind, und ob sie es wirklich damals gewesen sind, oder ob nicht jetzt Schacht auf der Anklagebank, ex post facto, sich eine Erklärung zurechtzimmert, einem Verdacht, unter dem ja ein Angeklagter immer leicht leidet.

 

VORSITZENDER: Herr Dr. Dix! Der Gerichtshof glaubt, daß der Zeuge nur aussagen soll, was Schacht gesagt und getan hat, aber nicht, was Schacht dachte.

 

DR. DIX: Sehr richtig, Euer Lordschaft, er soll ja auch nur sagen, was er dem Zeugen damals über seine Meinung seinerzeit mitgeteilt hat.

 

VORSITZENDER: Ich glaube, daß eine weitere Diskussion darüber überflüssig geworden ist. Der Zeuge hat gehört, was ich gesagt habe, und Sie können ihn fragen, was Schacht sagte, oder was Schacht tat, aber nicht, was Schacht dachte.

 

DR. DIX: Also, was hat Schacht zu Ihnen gesagt über die Gründe seines Rücktritts?

 

GISEVIUS: Schacht sagte mir damals, erstens es sei nach allem, was wir erlebt hätten, kein Verlaß auf die Generale, daß sie wirklich einmal putschen würden. Aus diesem Grunde habe er als Politiker die Pflicht, sich auch auf Möglichkeiten einzurichten, wie man ohne einen Putsch eine Änderung der Zustände in Deutschland herbeiführen könne. Aus diesem Grunde hatte er sich einen Plan zurechtgelegt, den er mir damals entwickelte. Schacht sagte mir wörtlich: »Ich habe Hitler an der Gurgel«, und damit meinte er, wie er mir eingehend begründete, daß nunmehr der Tag nahe, wo die bei der Reichsbank aufgenommenen Schulden von dem Reichsfinanzminister und somit auch von dem gesamten Reichskabinett zurückgezahlt werden müssen. Schacht zweifelte, ob der Finanzminister Schwerin-Krosigk so ohne weiteres bereit sein würde, die moralische und rechtliche Verpflichtung der Zurückzahlung der gegebenen Kredite einzuhalten.

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14510 (vgl. NP Bd. 12, S. 231 ff.)]

 

    Für diesen Augenblick glaubte Schacht mit seinem Rücktritt herauskommen zu sollen, mit einem Kollektivschritt des Reichsbankdirektoriums, und er hoffte, daß in dieser Situation sich die übrigen Reichsminister, die in ihrer Mehrheit damals noch bürgerlich waren, ihm anschließen würden.

    Das meinte er, wenn er mir sagte: »Ich habe hier noch einen Pfeil im Köcher, und dies ist der Moment, wo selbst ein Neurath, Gürtner, Seldte mir die Gefolgschaft nicht versagen können.«

    Ich habe damals Schacht geantwortet, ich zweifelte daran, ob es je zu einer solchen Kabinettsberatung kommen werde. Meines Erachtens würden die Schritte, mit denen man sich seiner entledigen würde, viel brachialer sein. Schacht glaubte mir nicht, und vor allem sagte er mir, eines werde er bestimmt erreichen, es werde über diese Dinge im Kabinett geredet werden müssen, und er werde dann eine ähnliche alarmierende Situation in Deutschland erreichen, wie im Februar 1938 anläßlich der Fritsch-Krise. Er rechnete also mit einer Kabinettsumbildung im radikalen Sinne und einem dadurch psychologisch ermöglichten Eingreifen der Generale.

 

DR. DIX: Sie haben zu Anfang gesagt, Schacht hätte gesagt oder motiviert, er könne der Putschzuverlässigkeit der Generale nicht unbedingt trauen. Welche Generale meinte er da, und was meinte er überhaupt damit?

 

GISEVIUS: Schacht meinte damals jene erste Putschsituation, die sich in Deutschland ergab in den Monaten Mai bis September 1938, als wir in die Krise um den Krieg gegen die Tschechoslowakei hineingingen. Beck hatte uns bei seinem Rücktritt versichert - mit uns meine ich Goerdeler, Schacht und andere Politiker -, daß er uns einen Nachfolger hinterließe, der noch energischer sei als er, und der hart entschlossen sei, einen Putsch auszulösen, wenn Hitler sich zum Kriege entschließen sollte. Dieser Mann, auf den Beck vertraute, und mit dem er uns zusammenbrachte, war der General Halder. In der Tat unternahm der General Halder unverzüglich nach Amtsübernahme Schritte, um mit Schacht, mit Goerdeler, Oster und unserer ganzen Gruppe diesbezügliche Gespräche aufzunehmen. Er ließ sich wenige Tage nach seiner Amtsübernahme Oster kommen, teilte ihm mit, daß die Dinge nach seinem Dafürhalten zum Kriege trieben, und daß er dann einen Staatsstreich unternehmen werde. Er fragte Oster, was von seiner Seite unternommen sei, um nun die Zivilisten in das Komplott einzubeziehen.

 

DR. DIX: Welche Zivilisten kamen da in Frage, außer Goerdeler und Schacht?

 

GISEVIUS: Das fragte Halder Oster und Oster gab in

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14512 (vgl. NP Bd. 12, S. 232 ff.)]

 

der damaligen Situation, wo wir noch ein sehr kleiner Kreis waren, nach bestem Wissen die Auskunft. Er kenne nur zwei Zivilisten, mit denen Halder politische Vorbesprechungen führen könne. Der eine sei Goerdeler, der andere sei Schacht.

    Halder lehnte ab, mit einem so suspekten Manne wie Goerdeler persönlich zu sprechen. Er begründete es, es sei für ihn zu gefährlich, einen Mann, den er noch nicht kenne, jetzt zu empfangen, während er zu einer Besprechung mit Schacht irgendwelche dienstlichen Motivierungen finden könne. Halder bat Oster um Vermittlung einer solchen Unterredung mit Schacht.

    Oster wandte sich durch meine Vermittlungen an Schacht. Schacht war bereit. Es sollte ein Treffpunkt an einem dritten Orte stattfinden. Ich warnte Schacht und sagte ihm: »Lassen Sie Halder in Ihre Wohnung kommen, damit Sie auch der Sache ganz sicher sind.«

    Halder suchte Schacht persönlich Ende Juli 1938 in seiner Wohnung auf, teilte ihm mit, die Dinge stünden unmittelbar vor einem Kriege; er, Halder, wolle dann putschen, und fragte Schacht, ob er bereit sei, ihm dann politisch in führendem Posten zu helfen.

    Das hat mir damals Schacht erzählt, und Halder hat es Oster erzählt.

 

DR. DIX: Und Oster hatte es Ihnen erzählt?

 

GISEVIUS: Ja, ich war ja der ständige Vermittler dieser Gespräche. Schacht antwortete, wie er mir unmittelbar anschließend an diesen Besuch Halders versicherte, er sei zu allem bereit, wenn die Generale sich entschließen würden, Hitler zu beseitigen.

    Halder ließ sich am nächsten Morgen Oster kommen, erzählte ihm von dieser Unterredung und fragte Oster, ob nun auch alles polizeilich vorbereitet sei für diesen Putsch. Oster schlug ihm vor, Halder möge mit mir persönlich über diese Dinge sprechen. Ich hatte ein langes Gespräch in dunkler Nacht mit Halder über diesen Putsch. Ich glaube, es ist wichtig, daß ich hier sage, was Halder mir damals als seine Absichten auseinandergesetzt hat. Zunächst versicherte mir Halder, daß für ihn kein Zweifel sei im Gegensatz zu vielen anderen Generalen, daß Hitler den Krieg wolle. Halder beschrieb mir Hitler als einen Blutsäufer, und Halder verwies auf das Blutbad vom 30. Juni. Aber Halder sagte mir, es sei leider so unendlich schwer, den Generalen und vor allem dem jungen Offizierskorps klarzumachen, was Hitlers eigentliche Absichten seien; denn nach außen hin sei die Parole, mit der das Offizierskorps beeinflußt werde, es handle sich nur um eine große Bluffaktion; die Armee könne völlig sicher sein, daß Hitler nicht zum Kriege schreiten wolle, sondern nur ein diplomatisches Erpressungsmanöver großen Stiles vorbereite.

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14514 (vgl. NP Bd. 12, S. 233 ff.)]

 

    Deswegen glaubte Halder, es sei unbedingt nötig, auch dem letzten Hauptmann den Beweis zu führen, daß Hitler nicht bluffe, sondern tatsächlich den Befehl zum Kriege gegeben habe. Halder war also damals entschlossen, um der Unterrichtung des deutschen Volkes und der Offiziere willen sogar den Ausbruch des Krieges in Kauf zu nehmen. Auch dann fürchtete Halder den Hitler-Mythos. Deswegen schlug er mir vor, man solle am Tage nach Kriegsausbruch Hitler durch ein Bombenattentat beseitigen und dem deutschen Volke möglichst erzählen, Hitler sei durch einen feindlichen Bombenangriff in seinem Führerzuge umgekommen. Ich habe damals Halder geantwortet, daß ich vielleicht noch zu jung sei; aber ich könne nicht verstehen, daß er wenigstens nicht hinterher dem deutschen Volke sagen wolle, was die Generale getan hätten.

    Halder ließ dann einige Wochen nichts von sich hören. Die Pressehetze gegen die Tschechoslowakei nahm immer bedrohlichere Formen an. Wir ahnten, jetzt werde es nur noch wenige Tage oder Wochen dauern, und es würde zum Kriegsausbruch kommen. In diesem Augenblick entschloß sich Schacht, Halder noch einmal in seiner Wohnung aufzusuchen, und ihn bei seinem Worte zu nehmen. Ich hielt es für gut, daß bei dieser Unterredung ein Zeuge zugegen sei, und deswegen schloß ich mich Schacht einfach an. Ich hatte nicht den Eindruck, daß Halder über diese Zeugengegenwart sehr erfreut war. Halder bestätigte abermals, er sei hart entschlossen, einen Putsch auszulösen. Wiederum aber wollte er warten, bis das deutsche Volk den Beweis von Hitlers Kriegsabsichten durch einen endgültigen Kriegsbefehl erhalten hätte. Schacht wies Halder auf die unerhörten Gefahren eines solchen Experiments hin. Er machte Halder klar daß es doch nicht anginge, einen Krieg auszulösen, nur um dem deutschen Volke die Hitler-Legende zu zerstören.

    In einem eingehenden und sehr erregten Gespräch erklärte sich nunmehr Halder bereit, den Putsch auszulösen, nicht nach offiziellem Kriegsausbruch, sondern in dem Augenblick, wo Hitler den endgültigen Befehl an die Armee zum Marsch gegeben hätte.

    Wir fragten Halder, ob er dann der Dinge noch mächtig sei, oder ob dann Hitler ihn nicht durch einen Blitz überraschen würde Halder erwiderte uns wörtlich: »Nein, mich kann er nicht betrügen. Ich habe meine Generalstabspläne so angelegt, daß ich es 48 Stunden vorher wissen muß.«

    Ich glaube, dieses ist wichtig, weil im späteren Ablauf der Dinge die Frist zwischen Marschbefehl und endgültigem Marsch erheblich verkürzt wurde.

    Halder versicherte uns, daß er außer der Berliner Aktion auch noch eine Panzerdivision in Thüringen

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14516 (vgl. NP Bd. 12, S. 234 ff.)]

 

bereitgestellt habe, unter dem Kommando des Generals von Höppner, die eventuell die Leibstandarte, die in München war, auf dem Marsch nach Berlin aufzuhalten habe.

    Trotzdem Halder uns dies alles gesagt hatte, blieb bei Schacht und mir von dieser Unterredung ein gewisser bitterer Beigeschmack. Halder hatte nämlich Schacht gesagt, er, Schacht, schiene Halder zu pressen, den Putsch vorzeitig auszulösen, und Schacht und ich waren der Meinung, daß Halder vielleicht im letzten Augenblick ausbrechen könnte. Wir unterrichteten sofort Oster von unserem schlechten Eindruck und sagten Oster, es müsse unbedingt etwas getan werden, noch einen weiteren General zu gewinnen, falls Halder im letzten Augenblick nicht handeln sollte. Oster sah dies ein, und dies ist die Vorgeschichte, wie nunmehr der spätere Generalfeldmarschall von Witzleben zum ersten Male in unseren Verschwörerkreis eintrat.

 

DR. DIX: Wer gewann von Witzleben?

 

GISEVIUS: Schacht gewann Witzleben.

 

DR. DIX: Wie bitte?

 

GISEVIUS: Schacht gewann Witzleben.

    Oster ging zu Witzleben, erzählte ihm alles, was sich abgespielt hatte. Daraufhin bestellte Witzleben mich zu sich. Ich erzählte ihm, daß meines Erachtens die polizeilichen Dinge so lagen, daß er als kommandierender General des Berliner Armeekorps einen Putsch getrost wagen könne, und Witzleben stellte mir nun daraufhin die Frage, die jeder General damals uns stellte, ob es denn wahr sei, daß es wirklich wegen eines diplomatischen Zwischenfalls im Osten zum Krieg kommen werde, oder ob nicht wahr sei, was Hitler und Ribbentrop vertraulich den Generalen immer wieder sagten, es bestehe ein stillschweigendes Agreement mit den Westmächten, daß Deutschland freie Hand im Osten habe. Witzleben sagte in diesem Falle, wenn wirklich ein solches Agreement bestünde, dann könne er selbstverständlich nicht putschen. Ich erklärte Witzleben, hierüber könne zweifellos Schacht mit seiner guten Kenntnis der angelsächsischen Mentalität umfassend Auskunft geben.

    Es wurde eine Zusammenkunft zwischen Schacht und Witzleben vereinbart, Witzleben nahm seinen Divisions-General von Brockdorf, der den Putsch im einzelnen durchführen sollte, zu diesem Gespräch mit. Witzleben, Brockdorf und ich fuhren gemeinsam auf das Landhaus von Schacht zu einer stundenlangen Besprechung; die endete damit, daß Witzleben sich von Schacht überzeugt fühlte, daß die Westmächte auf keinen Fall Deutschland den Weg nach Osten freigeben würden, sondern daß es nunmehr mit der Hit

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14518 (vgl. NP Bd. 12, S. 235 ff.)]

 

lerschen Politik der Überraschungen zu Ende sei. Witzleben entschloß sich darauf, seinerseits und unabhängig von Halder, alle Vorbereitungen zu treffen, die notwendig waren, wenn er handeln sollte.

    Er gab mir falsche Papiere und baute mich in seinem Wehrkreiskommando ein, damit ich dort unter seinem persönlichen Schutze alle polizeilichen und politischen Vorbereitungen ausarbeiten konnte, die notwendig werden konnten. Er delegierte den General von Brockdorf, und ich fuhr mit diesem in Berlin alle Örtlichkeiten ab, die Brockdorf mit seiner Potsdamer Division zu besetzen hatte Frau Strünck saß am Steuer, und als Touristen machten wir genaue Feststellungen, was im einzelnen nötig sei.

 

DR. DIX: Das ist die Zeugin Strünck.

    Bitte, entschuldigen Sie.

 

GISEVIUS: Ich bin, glaube ich, noch eine kurze Erklärung schuldig, weshalb die Mitarbeit Witzlebens so unbedingt nötig war. Es war nicht so einfach, einen General zu finden, der die faktische Gewalt hat, seine Truppen marschieren zu lassen. Beispielsweise konnten manche Generale in der Provinz nicht die Truppen marschieren lassen.

 

VORSITZENDER: Dr. Dix! Ist es notwendig, in solchen Einzelheiten darzulegen, warum General von Witzlebens Mitwirkung gewünscht wurde?

DR. DIX: All die Gründe für die Notwendigkeit des Generals Witzleben auszuführen, ist vielleicht für unseren Fall nicht notwendig.

    Wir können dann dieses Thema fallen lassen.

 

[Zum Zeugen gewandt:]

 

    Wollen Sie mir bitte nun sagen, Dr. Gisevius, war über die polizeilichen und militärischen Vorbereitungsmaßnahmen, die Sie geschildert haben, Schacht immer laufend orientiert?

 

GISEVIUS: Schacht war über all diese Dinge laufend orientiert. Wir trafen uns des Abends in Witzlebens Wohnung, und ich zeigte dort alles, was ich am Tage schriftlich ausgearbeitet hatte. Es wurde dann in allen Einzelheiten durchgesprochen.

 

DR. DIX: Spielten auch neben diesen militärischen und polizeilichen Maßnahmen, die Sie erwähnt haben, politische Maßnahmen eine Rolle?

 

GISEVIUS: Ja, selbstverständlich. Wir mußten ja sehr eingehend vorbereiten, was in diesem Falle dem deutschen Volk innenpolitisch zu sagen war, und ebenso gab es natürlich auch gewisse Vorbereitungen, die wir nach außen hin treffen mußten.

 

DR. DIX: Was heißt das nach außen hin? Außenpoli

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14520 (vgl. NP Bd. 12, S. 236 ff.)]

 

tisch?

 

GISEVIUS: Außenpolitisch, natürlich.

 

DR. DIX: Warum natürlich? War das Auswärtige Amt eingebaut, oder was heißt hier außenpolitisch?

 

GISEVIUS: Es ist sehr schwer, über diese Dinge zu antworten, weil über die Zusammenarbeit mit dem Ausland in Zeiten des Krieges, oder unmittelbar vor einem Kriege, es sehr schwer ist, zu sprechen, denn wir befinden uns hier auf sehr umstrittenen Grenzgebieten. Wenn ich darüber sprechen soll, so ist es mindestens ebenso wichtig, wie Termine und Daten, daß ich aussage, was diejenigen geleitet hat, solche Besprechungen mit dem Ausland zu führen.

 

DR. DIX: Ich glaube sicher, daß das Tribunal Ihnen dies erlauben wird, daß die Motive...

 

VORSITZENDER: Ich glaube, der Gerichtshof ist der Meinung, daß Sie viel zu sehr auf Einzelheiten darüber eingehen. Wenn der Gerichtshof die Aussagen dieses Zeugen als wahr annimmt, zeigen sie, daß Schacht mit ihm und General Witzleben damals Verhandlungen geführt hat, um den Krieg zu verhindern. Ich sage, wenn der Gerichtshof es annimmt; und das können Sie sicher nicht dadurch beweisen, daß Sie diese, wie mir scheint unwichtigen Einzelheiten über die Verhandlungen vortragen lassen.

DR. DIX: Ja, ich muß aber meiner Meinung nach die Ernstlichkeit und die Intensität dieser Verschwörertätigkeit im einzelnen substantiieren. Es genügt meines Erachtens nicht, daß jemand solche Pläne...

 

VORSITZENDER: Aber Sie sprechen davon seit heute 10.00 Uhr früh.

 

DR. DIX: Euer Lordschaft! Ich gehe jetzt vom Schachtschen Standpunkt aus, ob ich den Zeugen eine Geschichte, eine politische Geschichte Schachts und damit...

 

VORSITZENDER: Man sagt mir, Sie haben gestern abend zugesagt, daß Sie nur noch eine halbe Stunde benötigen. Erinnern Sie sich, das gesagt zu haben? Vielleicht war es ein Fehler in der Übersetzung.

 

DR. DIX: Nein, oh, das ist ein schweres Mißverständnis. Ich habe gesagt, wenn ich die Fritschsche Krise noch anschneiden und vollenden soll, dann würde das noch eine halbe Stunde dauern; also die Fritschsche Krise. Meine Herren Richter! Es ist doch so: Es wird doch jetzt dargestellt die Geschichte der politischen Opposition, in der Schacht eine führende Rolle hatte, und wenn der Angeklagte Göring oder jemand anderer Zeit hatte, eine Darstellung des gesamten Geschehens von ihrem Standpunkt aus zu geben, tagelang, so glaube ich, ist es ein Gebot der Gerech

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14522 (vgl. NP Bd. 12, S. 237 ff.)]

 

tigkeit, daß auch die Männer, repräsentiert hier im Saale durch den Angeklagten Schacht, die gegen dieses System unter schwersten Terrorverhältnissen gekämpft haben, die Geschichte ihrer Oppositionsbewegung im einzelnen dartun können.

    Ich würde also das Gericht sehr bitten, ich bin kein Freund von Überflüssigkeiten, ich würde das Gericht sehr bitten, mir zu erlauben, daß der Zeuge noch über die jetzt angeschnittenen Maßnahmen der Verschwörergruppe Beck, Schacht, Canaris und so fort, Bekundungen macht. Ich bitte, davon überzeugt zu sein, ich halte es für außerordentlich wichtig, und ich nehme an, Euer Lordschaft, daß, wenn es nicht jetzt geschieht, daß sich die Prosecution in der Cross-Examination dafür interessieren wird, und ich glaube, da es jetzt im Zusammenhang geschieht, wird es weniger Zeit in Anspruch nehmen, als wenn wir abwarten, bis die Cross-Examination kommt.

 

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat nicht die Absicht, Ihnen zu sagen, wie Sie Ihren Beweis führen sollen; aber er hofft, daß Sie sich so kurz als möglich fassen und keine unnötige Einzelheit bringen.

 

DR. DIX: Ich bitte davon überzeugt zu sein.

    Also, Herr Zeuge, Sie ließen das Stichwort »Außenpolitische Maßnahmen« fallen und wollten gerade die Motive darlegen, die einzelne von Ihnen dazu veranlaßt haben, mit dem Auslande zur Unterstützung ihrer Opposition Fäden zu knüpfen. Wollen Sie bitte damit fortfahren?

 

GISEVIUS: Ich möchte mich einfach nur auf die Erklärung beschränken, daß von diesem Augenblick an sehr ausführliche und substantiierte Gespräche mit dem Auslande stattgefunden haben, um alles zu versuchen, den Kriegsausbruch oder die Kriegsverlängerung oder die Kriegsausbreitung zu verhindern. Solange ich aber nicht in der Lage bin, auch über die Motive in einer so heiklen Sache mich zu äußern, wo mindestens in Deutschland unsereinem der Vorwurf des Landesverrats gemacht wird, solange werde ich nicht mehr sagen, als nur die Tatsache, daß diese Gespräche stattgefunden haben.

 

DR. DIX: Ich habe das Gericht nicht dahin verstanden, daß es Ihnen verwehren will, die Motive darzulegen, die Sie angeführt haben. Sie können also die Motive darlegen.

 

GISEVIUS: Ich bin es meinem Gewissen und vor allem auch den hieran beteiligten Toten schuldig, hier zu sagen, daß in den Dingen, die ich geschildert habe, sie unter einem unerhörten Gewissensdruck standen. Wir wußten, daß man uns vorwerfen würde, mit dem Auslande zu konspirieren.

 

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14524 (vgl. NP Bd. 12, S. 238 ff.)]

 

VORSITZENDER: Der Gerichtshof weiß natürlich, daß diese Dinge nicht ohne Gefahr durchgeführt wurden; aber wir sind wirklich nicht hier, um uns ein Urteil zu bilden über Leute, die unglücklicherweise ihr Leben eingebüßt haben. Wir verhandeln derzeit die Sache gegen den Angeklagten Schacht.

 

DR. DIX: Die Absicht des Zeugen ist mißverstanden worden. Er will nicht über die Leute sprechen, die ihr Leben dabei verloren haben, und er will auch nicht sprechen über die Gefahren, sondern er will darüber sprechen, welche Gewissenskonflikte diejenigen, die diese Schritte inaugurierten und unternahmen, durchmachen mußten, und ich glaube, dieses Recht muß man dem Zeugen gewähren, wenn er zu dieser sehr delikaten Angelegenheit hier in aller Öffentlichkeit aussagen soll. Ich würde sehr darum bitten; sonst begnügt sich der Zeuge mit allgemeinen Andeutungen, die meiner Verteidigerarbeit nicht genügen, und ich nehme an, es wird die Prosecution in der Cross-Examination diese Dinge fragen.

 

VORSITZENDER: Wollen Sie bitte versuchen, den Zeugen zur eigentlichen Sache zu bringen? Wir können natürlich nicht sagen, worüber er zu sprechen wünscht, sondern wir können nur sagen, worüber er spricht.

 

DR. DIX: Also, Sie wollen kurz die Erwägungen schildern, die diejenigen gehabt haben, die diese Verbindungen aufgenommen haben, und dann die Verbindungen selbst schildern.

 

GISEVIUS: Herr Präsident! Es ging nicht nur um die Frage des Gewissens, es ging darum, daß heute noch Angehörige leben, die eventuell falschen Anschuldigungen ausgesetzt werden können, und deswegen mußte ich sagen, in Bezug auf die Gespräche im Ausland, die ich schildern werde, daß auch unser enger Freundeskreis sich über das Ausmaß des Zulässigen nicht in allem schlüssig war. Der eine ging hierin weiter und der andere zog engere Grenzen. Zum Beispiel bin ich dem Andenken des toten Admirals Canaris schuldig, hier angesichts vieler falscher Pressemeldungen richtigzustellen, daß er Konspirationen mit dem Auslande ablehnte, und ich muß mich dagegen verwahren, daß etwas, was ich aussage, jetzt auf Männer bezogen wird, deren Namen ich vorher genannt habe. Das war der Grund, weswegen ich die Erklärung abgeben wollte, und ich wollte gleichzeitig sagen, daß unsere Freunde, die so etwas machten, für sich den Vorwurf des Landesverrates ablehnten, weil wir uns menschlich zu diesem Schritt verpflichtet fühlten.

 

DR. DIX: Also, was geschah nun?

 

GISEVIUS: Es geschah folgendes: Sofort als Hitler

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14526 (vgl. NP Bd. 12, S. 239 ff.)]

 

seine Absicht bekundete, die Tschechoslowakei mit Krieg zu überziehen, haben Freunde fortlaufend die Englische Regierung zu unterrichten versucht von der ersten Absicht bis zum letzten Entschluß. Die Kette dieser Schritte begann mit einer Reise Goerdelers im Frühjahr 1938 nach London, wo er von dem Vorhandensein einer solchen oppositionellen Gruppe Mitteilung machte, die zum Letzten entschlossen sei. Es wurde dann im Namen dieser Gruppe die Englische Regierung fortlaufend unterrichtet, was sich anbahnte, und daß es unbedingt nötig sei, Klarheit zu schaffen vor dem deutschen Volke und vor den Generalen, daß jeder Schritt über die tschechische Grenze für die Westmächte ein Kriegsgrund sei. Als die Krise sich dem Höhepunkt näherte, und als wir unsere Putschvorbereitungen bis ins Letzte vorbereitet hatten, unternahmen wir einen nach Form und Inhalt ungewöhnlichen Schritt und ließen die Englische Regierung wissen, daß es in den kommenden diplomatischen Verhandlungen nicht, wie Hitler behauptete, um die Sudetenlande ginge, sondern daß Hitler die gesamte Tschechoslowakei mit Krieg zu überziehen gedenke, und daß, wenn die Englische Regierung ihrerseits fest bleibe, wir die Zusicherung geben könnten, es würde nicht zum Kriege kommen.

    Das waren damals unsere Versuche, auch von außen her eine gewisse Hilfe in unserem Kampfe zur psychologischen Vorbereitung eines Putsches zu erhalten.

 

DR. DIX: Wir eilen nun in den September 1938 und zur Krise, die dann zu München führte. Wie war in dieser Zeit die Tätigkeit Ihrer Verschwörergruppe?

 

GISEVIUS: Je mehr die Krise nach München führte, versuchten wir, Halder zu überzeugen, er solle unverzüglich den Putsch auslösen. Als Halder nicht ganz klar war, bereitete Witzleben alles im einzelnen vor. Ich schildere jetzt nur die letzten beiden dramatischen Tage. Am 27. September war es klar, daß Hitler auf das Ganze gehen wolle. Um das deutsche Volk kriegslustig zu machen, ordnete er einen Umzug der Berliner Armee durch Berlin an. Witzleben hatte ihn durchzuführen. Der Umzug hatte eine völlig gegenteilige Wirkung. Die Bevölkerung, die annahm, die Truppen sollten in den Krieg ziehen, zeigte ihr offenes Mißfallen. Die Truppe sah keinen Jubel, sondern geballte Fäuste, und Hitler, der sich vom Fenster der Reichskanzlei diesen Umzug ansah, erhielt einen Wutanfall, trat zurück von seinem Fenster, erklärte, mit so einem Volke kann ich keinen Krieg führen, und Witzleben kam entrüstet nach Hause und sagte, am liebsten hätte er sofort vor der Reichskanzlei abprotzen lassen. Am nächsten Morgen...

 

DR. DIX: Einen Moment, das hat Witzleben Ihnen

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14528 (vgl. NP Bd. 12, S. 240 ff.)]

 

gesagt, »am liebsten hätte er vor der Reichskanzlei abprotzen lassen«?

 

GISEVIUS: Jawohl.

 

DR. DIX: Und woher leiten Sie Ihre Kenntnis der Bemerkung Hitlers her, als er vom Balkon zurücktrat?

 

GISEVIUS: Das wurde uns von verschiedenen Seiten aus der Reichskanzlei gesagt.

 

DR. DIX: Also nun weiter.

 

GISEVIUS: Am nächsten Morgen glaubten wir - das war der 28. -, es sei nunmehr die Gelegenheit zur Ausführung des Putsches da. An diesem Morgen wurde uns auch bekannt, daß Hitler das letzte Angebot des englischen Premierministers Chamberlain abgelehnt und den Vermittler Wilson mit einem negativen Bescheid zurückgeschickt hatte. Witzleben bekam diesen Brief und fuhr mit diesem Brief zu Halder. Er glaubte, daß nunmehr der Beweis für Hitlers Kriegswillen erbracht sei. Halder stimmte diesem zu. Halder ging zu Brauchitsch, während Witzleben in Halders Zimmer wartete. Nach einigen Momenten kam Halder zurück und erklärte, auch Brauchitsch sehe nunmehr ein, es müsse nun gehandelt werden. Er wolle nur noch zur Reichskanzlei hinüberfahren und sich vergewissern, ob Witzlebens und Halders Schilderung richtig sei. Brauchitsch fuhr in die Reichskanzlei, nachdem Witzleben ihm noch telephonisch gesagt hatte, alles sei bereit - und dies ist jene Mittagsstunde des 28. September, in der plötzlich und wider Erwarten in der Reichskanzlei die Intervention Mussolinis erfolgte, und wo Hitler dann unter dem Eindruck von Mussolinis Schritt einwilligte, nach München zu gehen, so daß wirklich im letzten Augenblick die Aktion eliminiert wurde.

 

DR. DIX: Letzten Endes durch München, meinen Sie?

 

GISEVIUS: Selbstverständlich.

 

DR. DIX: Nun war München vorbei; wie sah es nun in Ihrer Verschwörergruppe aus?

 

GISEVIUS: Wir waren außerordentlich deprimiert, und wir waren überzeugt, daß nunmehr Hitler in kurzer Frist aufs Ganze gehen würde. Wir haben nicht gezweifelt, daß München das Signal zum Weltkrieg war. Ein Teil unserer Freunde überlegte, ob wir emigrieren sollten. Mit Goerdeler und Schacht wurde dies besprochen. Goerdeler schrieb damals in dieser Überlegung einen Brief an einen politischen Freund nach Amerika, in dem ausdrücklich diese Frage gerichtet wurde, ob denn nun die Oppositionellen emigrieren sollten, Goerdeler sagte: »Es gibt sonst nur eine andere Möglichkeit, nämlich, daß wir Talleyrandsche Me

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14530 (vgl. NP Bd. 12, S. 241 ff.)]

 

thoden annehmen, um uns überhaupt in Deutschland in Zukunft in unserer politischen Arbeit halten zu können.« Wir entschlossen uns auszuharren, und dann eilten die Dinge über die Judenpogrome der Eroberung Prags zu.

 

DR. DIX: Bevor wir zu Prag kommen: Sie erwähnten die Judenpogrome und meinen offenbar den November 1938. Wissen Sie oder erinnern Sie sich, wie sich Schacht aus Anlaß dieser Vorfälle verhalten hat?

 

GISEVIUS: Schacht war entrüstet über die Judenpogrome. Er hat dies auch in einer öffentlichen Rede vor dem Reichsbankpersonal bekanntgegeben.

 

DR. DIX: Ich werde diese Rede später im Urkundenbeweis verlesen. Nun, wie ging es nun weiter? Wir sind jetzt am Ende des Jahres 1938. Waren neue politische Ereignisse am Horizont, die auf Ihre Verschwörergruppe stimulierend wirkten?

 

GISEVIUS: Es kam zunächst zu der schroffen Entlassung von Schacht aus dem Reichsbankdirektorium. Der Wunsch Schachts, das Kabinett werde in dieser Geschichte beraten, erfüllte sich nicht, und unsere Hoffnung, eine Kabinettskrise auslösen zu können, war eitel. So hatte unsere Oppositionsgruppe keinen Ansatzpunkt. Wir mußten warten, wie die Dinge sich anläßlich der Eroberung Prags abspielen würden.

DR. DIX: Einen Moment, Sie erwähnen hier die Entlassung Schachts als Reichsbankpräsident. Wissen Sie etwas über dieses Geschehen, seine Begleitumstände, die Wirkung auf Schacht und so weiter?

 

GISEVIUS: Ich habe es miterlebt, wie die verschiedenen Briefe oder Memoranden des Reichsbankdirektoriums entworfen wurden, wie sie immer mehr abgemildert wurden und wie dann die Entlassung kam. Wenige Minuten nach dem Empfang des Entlassungsschreibens von Hitler las Schacht es mir vor und war entrüstet über den Inhalt. Er wiederholte mir jenen Passus, in dem Hitler ihn lobend erwähnte, wegen seiner Mitwirkung bei der deutschen Wiederaufrüstung, und Schacht sagte: »Jetzt will er mich auch noch auf diese Mitwirkung öffentlich festlegen, jetzt will er mich auch noch auf seine Kriegspolitik festlegen.«

 

DR. DIX: Nun blieb aber doch Schacht Minister ohne Portefeuille. Ist dieses Problem, ob er das tun sollte oder anders handeln konnte, zwischen Schacht und Ihnen damals besprochen worden?

 

GISEVIUS: Ja, aber soviel ich weiß, war es dasselbe Gespräch wie immer, wenn er zurücktreten sollte. Er hat mit Lammers gesprochen, und ich nehme an, daß Lammers ihm die übliche Antwort gegeben hat.

 

DR. DIX: Also, er glaubte, bleiben zu müssen, ge

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14532 (vgl. NP Bd. 12, S. 242 ff.)]

 

zwungen zusein, zu bleiben?

 

GISEVIUS: Ja.

 

DR. DIX: Nun wollten Sie schon ein paarmal ansetzen - ich unterbrach Sie - mit Prag. Wollen Sie dies bitte in seiner Auswirkung auf Ihre Verschwörergruppe, soweit Schacht beteiligt war, schildern?

 

GISEVIUS: Seit Dezember hatte unsere Gruppe feste Beweismittel, daß Hitler im März Prag überfallen wollte. Zynisch wurde diese neue Aktion der »Märzwirbel« genannt. Da sehr offen in Berliner Kreisen darüber gesprochen wurde, hofften wir, es würden Nachrichten davon auch in die Englische und Französische Botschaft dringen. Wir waren fest davon überzeugt, daß es diesmal keinen Überraschungserfolg geben würde; aber Halder war bereits anderer Meinung. Er meinte, es sei Hitler auch der Weg nach Prag von den Westmächten freigegeben. Er lehnte vorherige Besprechungen ab und wollte warten, ob diese Prager Aktion kampflos über die Bühne geht. Und dieses geschah.

 

DR. DIX: Nun, in welcher Richtung? Sie haben das schon bekundet, diese Schritte bei der Englischen und Französischen Botschaft.

 

GISEVIUS: Nein, es waren keine Schritte bei der Englischen und Französischen Botschaft.

DR. DIX: Wollen Sie darüber noch etwas sagen? Hatten Sie noch etwas dazu zu sagen?

 

GISEVIUS: Nein, ich habe gesagt, daß wir keine Schritte unternommen haben.

 

DR. DIX: Also jetzt ist Prag vorbei und nun, glaube ich, sind Sie gemeinschaftlich mit Schacht im Dienst Ihrer Gruppe nach der Schweiz gefahren. Ist das richtig?

 

GISEVIUS: Nicht nur mit Schacht, sondern auch mit Goerdeler. Wir waren der Meinung, daß Schacht in Deutschland - entschuldigen Sie - daß Prag in Deutschland von einer unerhörten psychologischen Auswirkung gewesen sei. Für das Ausland war Prag das Signal, daß mit Hitler kein Friede und kein Vertrag zu halten sei. In Deutschland mußten wir leider feststellen, daß nunmehr die Generale und das Volk davon überzeugt waren: dieser Hitler kann machen, was er will, niemand wird ihm in den Arm fallen, er ist von der Vorsehung geschützt. Dies alarmierte uns. Wir sahen auf der einen Seite, daß die Westmächte nunmehr die Dinge sich nicht mehr weiter bieten lassen würden. Wir sahen auf der anderen Seite, daß in Deutschland die Illusion wuchs, die Westmächte würden nicht zum Kriege schreiten. Wir sahen, ein Krieg ist nur zu verhindern, wenn die Westmächte unzweideutig nicht nur dem Außenminister, nicht nur Hitler,

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14534 (vgl. NP Bd. 12, S. 243 ff.)]

 

sondern mit allen Mitteln der Propaganda dem deutschen Volke klarmachen, daß nunmehr jeder weitere Schritt nach dem Osten den Krieg bedeute. Dies schien uns die einzige Möglichkeit, die Generale zu warnen und sie zu einem Putsche zu bewegen, und dieser Möglichkeit dienten die Gespräche, die Schacht, Goerdeler und ich unmittelbar nach Prag in der Schweiz führten.

 

DR. DIX: Mit wem?

 

GISEVIUS: Wir trafen uns mit einem Mann, der sehr gute Beziehungen zur Englischen und Französischen Regierung hatte. Dieser Mann hat auch sehr genau berichtet, zumindest der Französischen Regierung. Ich kann dies deswegen bezeugen, weil wir die Abschrift seiner Berichte später nach der Eroberung von Paris in den Geheimpapieren Daladiers finden konnten. Dieser Mann wurde von uns genauestens darüber unterrichtet, daß spätestens im Herbst der Streit um Danzig beginnen würde. Wir sagten, daß wir als gute Deutsche zweifellos der Ansicht seien, Danzig sei eine deutsche Stadt, und eines Tages müsse über diesen Punkt friedlich gesprochen werden. Wir warnten aber davor, daß jetzt diese Gespräche um Danzig isoliert geführt würden, weil Hitler nicht Danzig wollte, sondern ganz Polen, weil er nicht Polen wollte, sondern die Ukraine, daß es deswegen darauf ankam, auch in der Propaganda des Auslandes nach Deutschland hin unbedingt klarzustellen, daß jetzt das Limit erreicht sei, und daß die Westmächte einschreiten würden. Wir sagten, daß wir nur dann die Möglichkeit zu einem Putsch hätten.

 

DR. DIX: Und in diesem Sinne hatte der genannte Vertrauensmann berichtet, wie Sie festgestellt haben?

 

GISEVIUS: Er hat berichtet, und ich muß auch sagen, daß sehr bald von englischer Seite durch öffentliche Erklärungen - sei es im Radio, sei es in der Presse, sei es im Unterhaus - damit begonnen wurde, diese Zweifel bei der deutschen Generalität und beim deutschen Volke zu beheben. Es ist von nun an zunehmend von englischer Seite alles geschehen, was geschehen konnte, um die deutschen Generale zu alarmieren.

 

DR. DIX: Traf damals in der Schweiz Schacht nicht auch seinen Freund Montague-Norman und hat im gleichen Sinne mit ihm gesprochen? Das wissen Sie, da waren Sie dabei?

 

GISEVIUS: Jawohl. Wir dachten, wir sollten diese Gelegenheit, daß Schacht mit einem engen Vertrauten des englischen Prime-Ministers Chamberlain sprechen konnte, nicht entgehen lassen, und Schacht hat sehr eingehende Gespräche mit Montague-Norman

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14536 (vgl. NP Bd. 12, S. 244 ff.)]

 

gehabt, um auch diesem die psychologische Situation in Deutschland nach Prag zu schildern und ihn zu beschwören, die Englische Regierung solle nunmehr die notwendigen Klarstellungen unternehmen.

 

DR. DIX: Stand Ihre Sprachregelung damals nicht unter dem Schlagwort dem Ausland gegenüber: »Ihr müßt Nazis gegen Deutsche ausspielen«?

 

GISEVIUS: Jawohl, das war der Tenor aller unserer Gespräche. Wir wollten, daß dem deutschen Volke klargemacht würde, daß die Westmächte nicht gegen Deutschland seien, sondern nur gegen diese Nazi- Überraschungspolitik und gegen die Nazi-Terrormethode im Innern, wie nach außen.

 

DR. DIX: Nun kamen Sie von der Schweiz zurück und was geschah nun mit Schacht insbesondere?

 

GISEVIUS: Wir sahen, daß in Deutschland die Dinge immer schneller der Augustkrise zutrieben; daß die Generale nicht davon abzubringen wären, Hitler bluffe nur, und es werde ein neues München oder Prag geben. Und nun begannen alle jene verzweifelten Bemühungen, die wir unternahmen, um auf die führenden Generale, insbesondere auf Keitel, einzuwirken, daß der entscheidende Marschbefehl gegen Polen nicht gegeben würde.

 

DR. DIX: Kehren wir zu Schacht zurück. Rückkehr von der Schweizer Reise, also im Frühjahr 1939. Sie wissen, daß Schacht dann aus Deutschland weggegangen ist und eine Reise nach Indien gemacht hat?

 

GISEVIUS: Er ging nach Indien und hoffte möglichst lange dort bleiben zu können, um nach China zu kommen. Aber unterwegs erreichte ihn der Befehl Hitlers, er dürfe chinesischen Boden nicht betreten, und er mußte zurückkehren und kam dann wenige Tage vor dem Kriegsausbruch, soweit ich mich erinnere, wieder zurück.

 

DR. DIX: Sie sagten China; sympathisierte denn Schacht auch mit Chiang-Kai-Chek trotz des Bündnisses mit Japan?

 

GISEVIUS: Jawohl. Er sympathisierte außerordentlich mit der Chinesischen Regierung, wie auch unser ganzer Kreis. Wir alle hatten sehr gute, liebe chinesische Freunde, mit denen wir uns bemühten, die Fühlung aufrechtzuhalten trotz des japanischen Bündnisses.

 

DR. DIX: Wann kam Schacht ungefähr von Indien zurück?

 

GISEVIUS: Ich denke anfangs August, ich kann mich aber...

 

DR. DIX: Nun eilen ja die Dinge zum Krieg. Hat nun

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14538 (vgl. NP Bd. 12, S. 245 ff.)]

 

Schacht vor Ausbruch des Krieges noch irgendwelche Schritte unternommen, um den Ausbruch des Krieges zu verhindern?

 

GISEVIUS: Er hat eine große Anzahl von Schritten unternommen, aber diese Schritte sind überhaupt nicht isoliert zu schildern, weil ja sonst der Eindruck entstehen würde, nur Schacht habe diese Schritte unternommen. In Wirklichkeit war die Sache so, daß eine große Gruppe nunmehr kämpfte, und daß jeder die Schritte tat, die für ihn am nächsten lagen, und daß jeder den anderen unterrichtete, was er getan hatte, und was für den anderen zweckmäßig sei. Aus diesem Grunde fürchte ich, es würde ein völlig falsches Bild entstehen, wenn ich isoliert und lediglich auf die Person Schachts zugespitzt alle diese verzweifelten Versuche vom August 1939 bis zum Einfall in Holland und Belgien schildern würde.

 

DR. DIX: Das Tribunal hat davon Kenntnis genommen, daß es nicht heißen soll, daß nur Schacht das getan hat; aber hier steht nun einmal der Fall Schacht zur Verhandlung. Also ich würde Sie schon bitten, nur die Schilderung der Bemühungen von Schacht zu geben.

 

GISEVIUS: Dann muß ich vorausschicken, daß Schacht von all den vielen anderen Dingen Mitwisser war und im gewissen Zusammenhang auch Mittäter. Von ihm selber kann ich in diesem Augenblick nur sagen, daß Schacht Mitverfasser war der Thomasschen Denkschrift an den General Keitel, oder der beiden Denkschriften, in denen Schacht mit unserer Gruppe Keitel die Gefahren des Krieges darlegte, und daß Schacht weiterhin dann über Thomas und Canaris Schritte unternahm, um an Brauchitsch und Halder mit seiner Intervention heranzukommen. Ich möchte aber ausdrücklich betonen, daß alle die Schritte, die Beck unternahm, die Goerdeler unternahm, mit Wissen von Schacht und auch mit seiner Mitarbeit erfolgt sind. Es handelte sich hierbei um eine ganz große Aktion.

 

DR. DIX: Ein Kollektiv? Spielt da nicht ein Versuch Schachts eine Rolle, noch im letzten Moment, Ende August, im Hauptquartier über Canaris bei Brauchitsch vorstellig zu werden?

 

GISEVIUS: Jawohl. Nachdem der General Thomas mit seinen beiden Denkschriften gescheitert war und nachdem auch die Anregung des Generals Thomas bei Keitel, Goerdeler oder Schacht zu empfangen, gescheitert war, versuchte Schacht an Brauchitsch oder Halder heranzukommen. Thomas suchte zu diesem Zwecke wiederholt den General Halder auf; aber es war typisch, daß er in diesen kritischen Tagen nicht über das Vorzimmer des Generals Halder, über den

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14540 (vgl. NP Bd. 12, S. 246 ff.)]

 

General von Stülpnagel, hinwegkam. Halder ließ sich verleugnen und ließ nur bestellen, er wolle Schacht nicht sehen. Daraufhin unternahmen wir an dem dramatischen 25. August einen weiteren Schritt. Es ist dies jener Tag, an dem Hitler bereits einmal den Marschbefehl gegeben hatte. Sobald uns die Nachricht erreicht hatte, daß Hitler Halder zum Marsche angewiesen hatte, versuchten Schacht und ich, zunächst Thomas zu erreichen, und wir fuhren dann gemeinsam mit Thomas zum Admiral Canaris, damit beide, Thomas und Canaris, Schacht begleiteten, wenn er, ohne vorherige Anmeldung, ins Hauptquartier nach Zossen fuhr, um dort Brauchitsch und Halder vor das fait accompli seiner Anwesenheit zu stellen. Schacht beabsichtigte, Brauchitsch und Halder darauf aufmerksam zu machen, daß nach der geltenden Verfassung vor einem Kriegsausbruch das Reichskabinett gehört werden müsse. Brauchitsch und Halder würden sich des Eidbruches schuldig machen, wenn sie ohne Wissen der zuständigen politischen Instanzen einem Kriegsbefehl Folge leisten würden. Dies war in großen Zügen das, was Schacht sagen wollte, um seinen Schritt zu motivieren. Als Thomas und Schacht in der Bendlerstraße ankamen, ging Thomas zu Canaris. Es war gegen 6.00 Uhr oder...

 

DR. DIX: In der Bendlerstraße liegt das OKW. Das Gericht muß das wissen. Bendlerstraße heißt OKW.... OKH.

 

GISEVIUS: Als wir im OKW ankamen und unten auf der Straße an einer Ecke warteten, sandte Canaris uns Oster; und das war der Augenblick, wo Hitler plötzlich zwischen 6.00 und 7.00 Uhr den Widerruf seines Marschbefehles an Halder gegeben hatte. Das Hohe Gericht wird sich entsinnen, daß Hitler, beeindruckt durch die neue Intervention Mussolinis, plötzlich den bereits gegebenen Marschbefehl widerrief. Und leider standen nunmehr Canaris und Thomas und unser ganzer Freundeskreis unter dem Eindruck, daß dieser Widerruf eines Marschbefehls ein unerhörter Prestigeverlust von Hitler sei. Oster meinte noch, es sei in der Kriegsgeschichte nicht dagewesen, daß ein Oberbefehlshaber einen so einschneidenden Befehl im Zuge eines Nervenzusammenbruches zurücknahm. Canaris sagte mir: »Jetzt ist der Friede Europas für 50 Jahre gerettet, denn jetzt hat Hitler alles Ansehen bei den Generalen verloren.« Und leider kam im Zuge dieser psychologischen Wende über uns alle das Gefühl, wir könnten den nächsten Tagen mit Ruhe entgegensehen. So kommt es, daß, als Hitler dann doch, drei Tage später, den entscheidenden Marschbefehl gab, dieses auch für unsere. Gruppe völlig überraschend kam. Ich wurde von Oster ins OKW gerufen. Schacht begleitete mich. Wiederum fragten wir Canaris, ob er nicht eine neue Unterredung mit Brauchitsch und Halder

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14542 (vgl. NP Bd. 12, S. 246 ff.)]

 

vermitteln könnte. Aber Canaris sagte mir: »Jetzt ist es zu spät.« In seinen Augen standen Tränen und er sagte mir: »Dies ist das Ende Deutschlands.«

 

DR. DIX: Euer Lordschaft! Jetzt kommen wir zum Kriege und ich glaube, den Krieg werden wir besser nach Tisch erledigen.

 

 

[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]

 

 

1  Gisevius sagte vor dem Gerichtshof tatsächlich »Aufrüstung«, während er eindeutig »Abrüstung« meinte.

 

 

Nachmittagssitzung.

 

    DR. DIX: Herr Dr. Gisevius! Wir waren vor der Mittagspause beim Ausbruch des Krieges angelangt, und ich muß zunächst, damit man das Spätere versteht, Sie fragen, wie denn Ihre Kriegsverwendung war?

 

GISEVIUS: Ich bin am Tage des Kriegsausbruches mit einem gefälschten Einberufungsbefehl von General Oster in die Abwehr einberufen worden. Da es aber eine Vorschrift war, daß alle Offiziere oder sonstigen Mitglieder der Abwehr von der Gestapo überprüft wurden, und da ich niemals die Erlaubnis bekommen hätte, Mitglied der Abwehr zu sein, wurde zunächst das Mittel angewandt, mir einfach einen gefälschten Einberufungsbefehl zu geben, und dann blieb ich zur Verfügung von Oster und Canaris, ohne irgendwelche direkten Dienste zu tun.

 

DR. DIX: Wie war denn nun zunächst die Verschwörertätigkeit Ihrer Gruppe, deren Zusammensetzung Sie ja schilderten, nach Kriegsausbruch? Wer übernahm da die Führung, wer wirkte mit und was geschah?

 

GISEVIUS: Sofort nach Kriegsausbruch stand Generaloberst Beck an der Spitze aller oppositionellen Bewegungen, die überhaupt in Deutschland tätig waren, mit Ausnahme der Kommunisten, zu denen wir da

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14544 (vgl. NP Bd. 12, S. 247 ff.)]

 

 

mals keine Fühlung hatten. Wir gingen davon aus, daß nur ein General im Zeitpunkt eines Krieges die Führung haben könne, und Beck war andererseits soweit über das rein Militärische hinausgewachsen, daß er der geeignete Mann war, alle Gruppen von rechts bis links zu einigen. Beck berief als seinen engsten Mitarbeiter Dr. Goerdeler.

 

DR. DIX: So daß also die Zivilisten, die in dieser Verschwörergruppe mitwirkten, nach wie vor nur Schacht und Goerdeler waren?

 

GISEVIUS: Nein, ich muß ergänzen. Im Gegenteil, jetzt kamen alle oppositionellen Gruppen, die bislang nur lose Fühlung miteinander hatten, unter dem Eindruck des Krieges zusammen Besonders die Linke, die in den ersten Jahren stark dezimiert worden war, weil ihre Führer alle verhaftet waren, besonders diese Linke stieß nun auch zu unserer zivilen Front. Ich nenne da nur Leuschner und Dr. Karl Mühlendorf. Aber ich muß ebenso die christlichen Gewerkschaften nennen, Dr. Habermann und Dr. Jakob Kaiser. Ich muß weiter katholische Kreise nennen, die Führer der Bekenntniskirche oder solche einzelnen Politiker, wie den Botschafter von Hassel, den Staatssekretär Planck, den Minister Popitz und viele, viele andere.

 

DR. DIX: Wie war denn nun die Einstellung dieser Linkskreise speziell zur Frage eines Putsches, einer gewaltsamen Beseitigung Hitlers oder gar eines Attentates? Beschäftigten die sich auch mit dem Gedanken eventuell eines Attentates, wie es ja später in Ihrer Gruppe vorgetragen wurde?

 

GISEVIUS: Nein. Die Linkskreise standen sehr stark unter dem Eindruck, daß die Dolchstoßlegende unerhörten Schaden in Deutschland angerichtet hatte, und die Linkskreise glaubten sich nicht noch einmal der Gefahr aussetzen zu dürfen, daß man hinterher sagte, Hitler oder die deutsche Armee sei nicht im Felde besiegt worden. Die Linke war jahrelang der Meinung, es müsse unbedingt nun dem deutschen Volk bewiesen werden, daß der Militarismus sich in Deutschland selber mordete, so bitter auch diese Erfahrungen dem deutschen Volke zu stehen kommen würden.

 

DR. DIX: Ich habe nun hier dem Gericht bereits einen Brief angeboten, den Sie, Herr Doktor, ungefähr um diese Zeit, Ende 1939, für Schacht nach der Schweiz geschmuggelt haben. Es ist ein Brief an den früheren Präsidenten der Internationalen Bank in Basel und späteren Präsidenten der First National Bank in Neuyork. Ein Mann von Einfluß und der wohl auch Zutritt bei dem Präsidenten Roosevelt hatte.

    Ich hatte an sich die Absicht, meine Herren Richter, in Vorwegnahme des diesbezüglichen Urkundenbeweises diesen Brief jetzt vorzutragen. Da ich ihn

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14546 (vgl. NP Bd. 12, S. 248 ff.)]

 

aber bei der Diskussion über die Zulassung der Beweismittel in wesentlichen Punkten dem Gericht mitgeteilt habe und Herr Justice Jackson das Dokumentenbuch Schacht noch nicht vor sich liegen haben kann und vorhin bemerkte, daß er es nicht gern hätte, wenn ich in diesem Momente den Urkundenbeweis antrete, möchte ich davon absehen, meine ursprüngliche Absicht auszuführen und den Inhalt des Briefes im ganzen vorzutragen. Ich werde dann das nachholen bei meinem Dokumentenbeweis. Nur um dem Zeugen den Brief in Erinnerung zurückzurufen, schildere ich die Hintergründe des Briefes dahin, daß Schacht an den Präsidenten Fraser den Vorschlag machte, daß jetzt der Moment...

 

JUSTICE JACKSON: Ich erhebe keinen Einspruch gegen die Verwendung des Briefes Schacht an Léon Fraser - eines Briefes von einem Bankier an einen anderen. Wenn Sie jetzt behaupten wollen, daß Herr Fraser Einfluß auf Präsident Roosevelt hatte, so bitte ich Sie, das zu beweisen. Ich erhebe jedoch keinen Einspruch gegen den Brief.

 

DR. DIX: Also, das ist ein Brief vom 14. Januar 1946. Ich trage ihn nicht ganz vor. Er ist immerhin 6 Folioseiten lang. Sein Inhalt ist der...

 

VORSITZENDER: Von welchem Datum ist er?

 

DR. DIX: Ich hatte einen falschen Brief. 16. Oktober 1939. Er wird Exhibit Nummer 31 meines Dokumentenbuches. Also er schreibt an ihn, daß jetzt doch ein prächtiger Moment wäre, mit dem Präsidenten Roosevelt der Welt den Frieden zu geben - das wäre ein Sieg, auch ein Sieg Deutschlands...

 

VORSITZENDER: Ist dieser Brief von Schacht geschrieben?

 

DR. DIX: Jawohl. Von Schacht an Fraser.

 

VORSITZENDER: Haben Sie einen Beweis für den Brief?

 

DR. DIX: Wenn es dem Gericht lieber ist, kann auch Schacht den Brief behandeln. Dann werde ich nur den Zeugen fragen, ob es richtig ist, daß er diesen Brief nach der Schweiz geschmuggelt hat.

 

[Zum Zeugen gewandt:]

 

    Bitte schön, beantworten Sie die Frage, Herr Zeuge.

 

GISEVIUS: Ja, ich habe diesen Brief seinerzeit in die Schweiz gebracht und dort zur Post gegeben.

 

DR. DIX: Gut. Was geschah nun im Sinne der Herbeiführung eines Friedens oder eines Kampfes gegen

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14548 (vgl. NP Bd. 12, S. 249 ff.)]

 

Kriegsausweitung weiter von Ihrer Gruppe? Haben Sie weiter von Ihrer Oppositionsbeziehungsweise Verschwörergruppe aus außenpolitische Aktionen in dieser Richtung unternommen?

 

GISEVIUS: Das Entscheidende für uns war, eine Kriegsausweitung mit allen Mitteln zu verhindern. Diese Kriegsausweitung konnte nur in Richtung nach Holland und Belgien oder Norwegen gehen. Wir erkannten klar, daß, wenn ein Schritt in dieser Richtung erfolge, ungeheure Konsequenzen nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa sich daraus ergeben müßten. So wollten wir mit allen Mitteln diese Auslösung des Krieges im Westen verhindern.

    Gleich nach dem Polenfeldzug entschied sich Hitler, seine Truppen vom Osten nach Westen zu werfen und den Überfall unter Neutralitätsbruch auf Holland und Belgien zu wagen.

    Wir glaubten, wenn es uns gelingen würde, diesen Überfall im November zu verhindern, dann würden wir in den kommenden Wintermonaten soviel Zeit gewinnen, um einzelne Generale, an der Spitze Brauchitsch und Halder, und die Führer der Armeegruppen zu überzeugen, daß sie wenigstens der Kriegsausweitung widerstehen müssen.

    Halder und Brauchitsch wichen aber nunmehr aus und meinten es sei zu spät, nunmehr werde die Gegenseite Deutschland bis zum letzten bekämpfen und vernichten. Wir waren nicht dieser Meinung. Wir glaubten, es sei noch ein Friede in Ehre möglich, wobei ich unter Ehre verstehe, daß wir selbstverständlich die Nazi-Herrschaft bis aufs letzte eliminieren. Zu dem Zwecke, den Generalen den Beweis zu liefern, daß das Ausland das deutsche Volk nicht vernichten wollte, sondern sich nur vor dem Nazi-Terror sichern wollte, für diesen Beweis unternahmen wir nun alle möglichen Schritte im Ausland; und der Auftakt dazu oder ein kleines Bruchstück in diesen Versuchen war jener Brief von Schacht an Fraser, in dem es darum ging, anzudeuten, daß gewisse innenpolitische Entwicklungen bevorstanden, und daß, wenn wir Zeit gewännen, also wenn wir über den Winter hinüberkämen, wir dann vielleicht die Generale zu einem Putsch bewegen konnten.

 

DR. DIX: Ich danke Ihnen. Darf ich Sie mal einen Moment unterbrechen. Ich darf das Gericht schon jetzt darauf hinweisen, der Zeuge bezieht sich auf eine Stelle, auf eine Andeutung dieses Briefes; der Brief ist englisch geschrieben, ich habe keine deutsche Übersetzung, ich muß also den einen Satz englisch lesen: »My feeling is, that the earlier discussions be opened, the easier it will be to influence the development of certain existing conditions.«- (»Ich glaube, je früher die Besprechungen anfangen, desto leichter wird es sein, die Entwicklung bestimmter vorhandener Tatbe

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14550 (vgl. NP Bd. 12, S. 250 ff.)]

 

stände zu beeinflussen.«)

    Die Frage ist nun...

    Nun frage ich Sie, meinte Schacht mit den »... certain existing conditions«, die beeinflußt werden sollten, diese Ihre Bestrebungen?

 

JUSTICE JACKSON: Ich muß hier einen Einwand erheben. Ich weiß nicht genau, ob Sie es nicht mißverstanden haben. Ich glaube, das, was Schacht meinte, ist keine Frage, die an diesen Zeugen gestellt werden sollte. Ich erhebe keinen Einspruch dagegen, daß Dr. Schacht uns sagt, was er mit seinen kryptischen Worten meinte; aber ich glaube, daß dieser Zeuge keine Auslegung der Ideen Schachts geben kann, es sei denn, daß er andere als die hier ersichtlichen Informationen hat. Ich möchte in dieser Angelegenheit nicht kleinlich sein; aber es scheint mir, daß diese Frage für Dr. Schacht selbst vorbehalten werden sollte.

 

DR. DIX: Herr Justice Jackson hat natürlich recht; aber dieser Zeuge hat gesagt, daß dieser Brief von ihm hinübergeschmuggelt wurde in die Schweiz, und ich nehme an, daß er den Inhalt des Briefes mit Schacht besprochen hat und darum in einer Stellung war, wo er die kryptischen Worte auslegen konnte.

 

VORSITZENDER: Noch hat er es nicht gesagt. Er hat nicht gesagt, daß er den Brief jemals gesehen hat, nur den Umschlag. Er hat nicht gesagt, daß er den Brief jemals gesehen hat.

 

DR. DIX: Ich bitte Sie, sich dazu zu äußern, ob Sie den Brief gesehen haben und den Inhalt kannten.

 

GISEVIUS: Ich bitte um Entschuldigung, daß ich es nicht klar gesagt habe, aber ich habe an der Ausarbeitung des Briefes mitgearbeitet. Ich bin bei dem Schreiben und bei dem Formulieren dabei gewesen.

 

DR. DIX: Ich glaube, dann wird Herr Jackson seinen Einwand zurücknehmen.

 

JUSTICE JACKSON: Ja.

 

DR. DIX: Also, dann wollen Sie bitte die Frage beantworten, was mit diesen kryptischen Worten gemeint ist?

 

GISEVIUS: Wir wollten andeuten, daß wir in Deutschland gewisse Entwicklungen zu forcieren bemüht waren, und daß wir nun ein ermunterndes Wort von der Gegenseite erhofften. Ich möchte aber hier keine Mißverständnisse aufkommen lassen. Auch in diesem Briete ist klar herausgearbeitet, daß der Präsident Roosevelt inzwischen sehr viele Enttäuschungen von deutscher Seite erlebt hatte, so daß wir ihn also direkt bitten mußten - es ihm nahelegen mußten -, einen solchen Schritt zu wagen. Es waren ja von Prä

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14552 (vgl. NP Bd. 12, S. 251 ff.)]

 

 

sident Roosevelt verschiedene Friedensschritte unternommen worden.

 

DR. DIX: Nun weiter: Wenn ich Ihnen als Stichwort »Vatikan-Aktion« geben werde?

 

GISEVIUS: Neben diesem Versuch, nach Amerika hin ins Gespräch zu kommen, glaubten wir, eine Erklärung der Englischen Regierung erbitten zu sollen. Es war wiederum unser Bemühen einzig und allein...

 

VORSITZENDER: Ist das Original dieses Briefes vorhanden, oder wird das nur aus dem Gedächtnis wiedergegeben?

 

DR. DIX: Die Originalkopie, ja, das heißt eine von Schacht eigenhändig unterschriebene Kopie ist hier. Sie ist während des Krieges in der Schweiz aufgehoben und uns jetzt von diesem Zeugen aus der Schweiz mit zurückgebracht worden.

 

[Zum Zeugen gewandt:]

 

    Also »Vatikan-Aktion«.

 

GISEVIUS: Wir suchten mit allen Mitteln dem General Halder und dem General Olbricht den Beweis zu liefern, daß ihre These falsch sei, es sei mit einer anständigen Deutschen Regierung nicht mehr zu verhandeln. Wir glaubten, einen besonders wichtigen und sicheren Weg einschlagen zu sollen. Der Heilige Vater bemühte sich persönlich um diese Dinge, da die Englische Regierung mit Recht unsicher geworden war, ob überhaupt eine vertrauenswürdige Gruppe in Deutschland existierte, mit der man sprechen könne. Ich erinnere, daß kurz darauf der Venloer Zwischenfall sich ereignete, bei dem unter dem Vorwand, es gäbe eine deutsche Oppositionsgruppe, Beauftragte des englischen Secret Service an der holländischen Grenze gekidnapped wurden. Es lag uns also daran, den Nachweis zu führen, daß hier eine Gruppe war, die sich ehrlich bemühte, und die auch gegebenenfalls zu ihrem Wort stehen würde, positiv und negativ. Ich glaube, wir haben unsererseits gehalten, was wir in Aussicht stellten, indem wir ebenso offen gesagt haben, daß wir nicht den Putsch herbeiführen könnten, als wie wir vorher gesagt haben, was unsere Hoffnung war.

    Diese Verhandlungen liefen im Oktober-November 1939 an. Sie sind nachher erst im Frühjahr zu einem Abschluß gekommen und, falls ich gefragt werde, werde ich das beantworten.

 

DR. DIX: Ja, bitte wollen Sie den Abschluß schildern?

 

GISEVIUS: Ich glaube, ich muß zunächst hinzufügen, daß im November 1939 tatsächlich der General

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14554 (vgl. NP Bd. 12, S. 252 ff.)]

 

Halder sich mit Putschabsichten trug, und daß diese Putschabsichten wieder scheiterten, weil Hitler im letzten Augenblick die Westoffensive absagte. Bestärkt durch die damalige Haltung Halders glaubten wir, diese Gespräche im Vatikan fortsetzen zu sollen. Es kam zu einer Art gentlemen-agreement, auf Grund dessen ich hier mich zu der Feststellung berechtigt fühle, daß wir den Generalen unzweideutige Beweise geben konnten, daß im Falle eines Sturzes des Hitler- Regimes zu einer Verständigung mit einer anständigen zivilen Deutschen Regierung zu kommen war.

 

DR. DIX: Haben Sie die Unterlagen selbst gesehen, Herr Doktor?

 

GISEVIUS: Es wurden mündliche Gespräche geführt, die dann in einem umfangreichen Bericht niedergelegt wurden. Dieser Bericht wurde von dem Botschafter von Hassel und Dr. Schacht eingesehen, bevor er Halder durch den General Thomas überreicht wurde. Halder war durch den Inhalt so betroffen, daß er das umfangreiche Schriftstück dem Generaloberst von Brauchitsch übergab. Brauchitsch war entrüstet und drohte dem Mittelsmann, General Thomas zu verhaften, und so scheiterte dann diese Aktion, die alle Aussichten auf Erfolg hatte.

 

DR. DIX: Sie haben, Herr Doktor, schon bekundet...

 

VORSITZENDER: Herr Dr. Dix! Die letzten Notizen, die ich in mein Notizbuch niedergeschrieben habe, lauten: »Wir wußten, falls Holland, Belgien und die anderen Länder angegriffen würden, dieses sehr schwere Folgen haben würde, und wir verhandelten deshalb mit Halder und Brauchitsch; sie waren jedoch zu jener Zeit nicht bereit, uns zu helfen, den Krieg aufzuhalten. Wir wollten einen Frieden mit Ehre haben, die Politik ausschalten. Wir unternahmen alle möglichen Schritte.«

    Seitdem ich diese Notizen gemacht habe, haben wir beinahe zehn Minuten Zeit mit Einzelheiten vertan, die für die weitere Verhandlung absolut unerheblich sind. Wenn sie alle nötigen Schritte unternommen haben, weshalb werden uns dann noch diese Einzelheiten angegeben?

 

DR. DIX: Ja, Euer Lordschaft! Wenn ein Zeuge in einer so bedeutungsvollen Angelegenheit, wo er, ebenso der Verteidiger des Angeklagten, immer damit rechnen muß, daß Menschen, die anderer Ansicht sind, sagen: »Das sind ja nur allgemeine Redensarten; Tatsachen, Einzelheiten wollen wir wissen!«, dann kann ich nicht darauf verzichten, daß der Zeuge wenigstens in großen Zügen zum Beispiel bekundet, daß eine eingehende Aktion über Seine Heiligkeit im Vatikan vorgenommen wurde, und wenn er dann nur sagt, daß das Ergebnis dieser Aktion ein großer Be

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14556 (vgl. NP Bd. 12, S. 253 ff.)]

 

richt war, wenn er mit Halder und Brauchitsch in den oben erwähnten...

 

VORSITZENDER: Ich stimme mit Ihnen überein, daß der eine Satz über Verhandlungen mit dem Vatikan wohl am Platze war; aber das übrige waren nur unnötige Einzelheiten.

 

DR. DIX: Wir sind auch mit diesem Kapitel schon fertig, Euer Lordschaft.

 

[Zum Zeugen gewandt:]

 

    Sie haben ja schon bekundet, daß der für November vorgesehene Putsch unterblieb, weil die Westoffensive unterblieb. Wir brauchen darauf also nicht mehr einzugehen. Ich möchte jetzt nur fragen: Blieb Ihre Verschwörergruppe nun den Winter über, und insbesondere auch während des Frühjahrs, tatenlos oder wurden weitere Pläne verfolgt und betrieben?

 

GISEVIUS: Es wurde ununterbrochen versucht, auf alle erreichbaren Generale einzuwirken. Außer mit Halder und Brauchitsch versuchten wir an die Panzergenerale im Westen heranzukommen. Ich erinnere an eine Unterredung zwischen Schacht und dem General Hoeppner.

 

DR. DIX: Hoeppner?

GISEVIUS: Hoeppner; und ebenso versuchten wir auf die Feldmarschälle Rundstedt, Bock und Leeb einzuwirken. Auch hier haben der General Thomas und Admiral Canaris als Vermittler gewirkt.

 

DR. DIX: Und wie reagierten die Generale?

 

GISEVIUS: Als es soweit war, marschierten sie nicht.

 

DR. DIX: Nun kommen wir zum Sommer 1941. Hitler steht in Paris. Die Luftwaffenoffensive gegen England steht bevor. Erzählen Sie uns etwas über Ihre Verschwörergruppe und deren Tätigkeit in diesem und dem darauffolgenden Zeitraum.

 

GISEVIUS: Nach Paris war unsere Gruppe monatelang völlig einflußlos. Der Erfolg Hitlers hatte alle betört und es kostete groß Mühe, auf allen uns zur Verfügung stehenden Wegen wenigstens die Versuche zu unternehmen, die Bombardements auf England zu verhindern. Auch hier wieder hat die Gruppe geschlossen gearbeitet und wir haben versucht, durch General Thomas und Admiral Canaris und andere, dieses Unheil zu verhindern.

 

DR. DIX: Ich verstehe doch richtig, wenn Sie von der »Gruppe« sprechen, dann meinen Sie doch die Gruppe, die von Beck geführt wurde, und in der Schacht mit tätig war?

 

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14558 (vgl. NP Bd. 12, S. 254 ff.)]

 

 

GISEVIUS: Jawohl.

 

DR. DIX: Nun, sind in jener Zeit nicht wiederum einige oder ein Gespräch von Schacht in der Schweiz in gleicher Richtung geführt worden?

 

GISEVIUS: Das war ein bißchen später. Wir sind mittlerweile schon bei 1941, und bei dieser Reise Schachts in die Schweiz versuchte er nunmehr, dafür zu plädieren, daß man so schnell wie möglich in ein Friedensgespräch kam. Wir wußten, daß Hitler sich mit dem Überfall auf Rußland herumtrug, und wir glaubten alles tun zu sollen, wenigstens noch dieses Unglück zu verhindern. Von diesem Gedanken waren Schachts Gespräche in der Schweiz damals getragen. Ich selber habe an der Vermittlung eines Essens teilgenommen, das dann in Basel mit dem Präsidenten der B.I.Z., Mr. McKittrick, einem Amerikaner, stattfand, und ich war mit anwesend, als Schacht versuchte, wenigstens diese Gedanken auszusprechen, es müsse alles getan werden, nunmehr in Verhandlungen zu kommen.

 

DR. DIX: Ich darf das Gericht respektvoll in diesem Zusammenhang an diesen Artikel in den »Basler Nachrichten« erinnern, den ich in seinem wesentlichen Inhalt vorgetragen habe, als wir hier diskutierten über die Zulassung des Dokumentenbeweises. Es handelt sich da um eine gleichliegende Unterhaltung Schachts mit einem amerikanischen Ökonomen. Das ist dieselbe Reise, von der der Zeuge jetzt spricht. Ich werde mir erlauben, im Dokumentenbeweis nochmals auf diesen Artikel zurückzukommen.

 

[Zum Zeugen gewandt:]

 

    Nun also, der Krieg ging weiter. Zu Rußland haben Sie nichts weiter zu sagen, zum bevorstehenden Rußlandkrieg?

 

GISEVIUS: Ich kann nur sagen, daß Schacht wiederum Mitwisser all der vielen Versuche war, die wir unternahmen, um diese Katastrophe zu verhindern.

 

DR. DIX: Nun gehen wir weiter und kommen zum Zeitpunkt Stalingrad. Was geschah von Ihrer Verschwörergruppe aus nach diesem kritischen Zeitpunkt des Krieges?

 

GISEVIUS: Nachdem es uns nicht gelungen war, die »siegreichen« Generale zu einem Putsch zu bewegen, versuchten wir, sie nunmehr wenigstens zum Putsch zu bewegen, als sie offenkundig in ihre große Katastrophe hineinrannten. Diese Katastrophe, die in Stalingrad ihren ersten sichtbaren Ausdruck fand, wurde von Generaloberst Beck in allen Einzelheiten seit Dezember 1942 vorausgesehen. Sofort trafen wir alle Vorbereitungen, um nunmehr zu dem Zeitpunkt, der

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14560 (vgl. NP Bd. 12, S. 255 ff.)]

 

beinahe mit mathematischer Genauigkeit vorauszusehen war, wo eben die Armee Paulus restlos besiegt kapitulieren mußte, um nunmehr wenigstens zu diesem Zeitpunkt einen Militärputsch zu organisieren. Ich selber bin damals aus der Schweiz zurückgeholt worden und habe an allen Gesprächen und Vorbereitungen teilgenommen. Ich kann nur das eine bezeugen, daß dieses Mal wirklich sehr viel vorbereitet war, auch die Fühlung zu den Feldmarschällen im Osten aufgenommen war, zu Witzleben im Westen; aber wiederum kamen die Dinge anders, indem der Feldmarschall Paulus kapitulierte, statt uns das Stichwort zu geben, daß abredegemäß dann Kluge auftreten sollte, um vom Osten aus den Putsch auszulösen.

 

DR. DIX: In diese Zeit fällt dann wohl auch das sogenannte Attentat Schlabrendorff?

 

GISEVIUS: Nein, ein wenig später.

 

DR. DIX: Dann möchte ich eine Zwischenfrage stellen: Bisher haben uns die Ziele der von Generaloberst Beck mit Unterstützung von Schacht, Goerdeler und so weiter geführten Gruppe immer als eine Putschbewegung geschildert, das heißt, als eine Bewegung, die die Regierung stürzen will. Versteift und erhöht sich jetzt nicht das Ziel auf ein Attentat?

 

GISEVIUS: Ja, von diesem Moment an, als die Generale uns abermals im Stiche gelassen hatten, sahen wir ein, ein Putsch war nicht mehr zu erhoffen, und von diesem Augenblick an unternahmen wir alle Schritte, um nunmehr zu einem Attentat zu kommen.

 

DR. HANS LATERNSER, VERTEIDIGER FÜR GENERALSTAB UND OBERKOMMANDO: Herr Präsident! Ich muß hier zu diesem Punkt eine Einwendung gegen die Aussagen des Zeugen machen. Der Zeuge Dr. Gisevius hat durch Aussagen die von mir vertretene Gruppe belastet. Diese Aussagen sind aber teilweise so allgemein gehalten, daß man auf Tatsachen nicht schließen kann. Ferner hat er eben ausgeführt, daß die Feldmarschälle im Osten die Verschwörergruppe »im Stich gelassen« haben. Diese Ausführungen sind Urteile, die der Zeuge abgibt, aber nicht Tatsachen, auf die der Zeuge sein Zeugnis beschränken muß, und ich bitte daher... Herr Präsident! Ich bin noch nicht fertig; ich wollte enden damit, daß ich beantrage und bitte, das Gericht wolle beschließen, die Ausführungen des Zeugen, die er vorhin gemacht hat, und in denen er behauptet hat, die Generale haben die Verschwörergruppe »im Stich gelassen«, aus dem Protokoll zu streichen.

 

DR. DIX: Darf ich kurz darauf antworten? Ich kann der Ansicht meines sehr verehrten Kollegen Dr. Laternser nicht zustimmen, daß eine Ausführung »die

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14562 (vgl. NP Bd. 12, S. 256 ff.)]

 

Generale haben uns im Stich gelassen« nicht die Bekundung einer Tatsache...

 

VORSITZENDER: Ich bin der Ansicht, daß wir weitere Argumente darüber nicht zu hören brauchen. Es wird bestimmt nicht aus dein Protokoll gestrichen werden, bis wir Zeit gehabt haben, es zu prüfen. Herr Dr. Laternser wird ebenfalls Gelegenheit haben, diesen Zeugen zu befragen. Er kann dann alles gewünschte Beweismaterial erläutern.

 

DR. LATERNSER: Herr Präsident! Wenn ich aber den Antrag stelle mit der Begründung: Der Zeuge macht Ausführungen, die nicht unter seine Aufgabe als Zeuge fallen, daß er also Urteile abgibt, dann ist das insoweit eine unzulässige Zeugenaussage, die aus dem Protokoll gestrichen werden müßte.

 

VORSITZENDER: Falls Sie meinen, daß diese Aussage auf Hörensagen beruht, so möchte ich hierzu erklären, daß das dem Gerichtshof völlig klar ist. Dadurch wird die Aussage nicht unzulässig; Sie können den Zeugen später ins Kreuzverhör nehmen.

 

DR. LATERNSER: Herr Präsident! Ich bin nicht richtig verstanden worden. Ich sagte nicht und begründe den Antrag auf Streichung nicht darauf, daß der Zeuge nunmehr Angaben gemacht hat, die er vom Hörensagen kennt, sondern ich sage: Es ist keine Bekundung von Tatsachen, sondern ein Urteil, das der Zeuge abgibt, wenn er behauptet, »die Generale im Osten haben die Verschwörergruppe im Stich gelassen«.

 

DR. DIX: Darf ich kurz antworten mit einem Satz. Wenn ich einer Gruppe von Generalen nahelege zu putschen, und sie putschen nicht, so ist das eine Tatsache, und ich kann mit den Worten bekunden »sie haben uns im Stich gelassen«. Ich kann natürlich auch sagen: »Sie haben nicht geputscht«, aber das ist eine Sache des Ausdrucks. Beides ist eine Tatsache und kein Urteil. Er bewertet ja die Handlungsweise der Generale nicht ethisch, nicht militärisch oder politisch, sondern er stellt fest: »Sie haben nicht gewollt«.

 

VORSITZENDER: Fahren Sie fort.

 

DR. DIX: [zum Zeugen gewandt] Also, wenn ich mich recht entsinne, waren Sie gerade dabei zu bekunden, daß nunmehr die Politik der Verschwörergruppe sich vom Putsch zum Attentat steigert. Habe ich das so recht in Erinnerung?

 

GISEVIUS: Ja.

 

DR. DIX: Wollten Sie dazu noch etwas bekunden?

 

GISEVIUS: Sie hatten mich nach dem ersten Schritt in dieser Richtung gefragt, seit der Generaloberst

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14564 (vgl. NP Bd. 12, S. 257 ff.)]

 

Beck alle Hoffnung aufgegeben hatte, noch einen General zum Putsch gewinnen zu können. Damals wurde gesagt, nunmehr bleibt nichts anderes übrig, als Deutschland und Europa und die Welt durch ein Bombenattentat von dem Tyrannen zu befreien. Unverzüglich wurde nach diesem Entschluß die Vorbereitungsarbeit aufgenommen. Oster sprach mit Lahousen, Lahousen gab aus seinem Arsenal die Bomben, die Bomben wurden ins Hauptquartier Kluges nach Smolensk gebracht, und es wurde mit allen Mitteln versucht, ein Attentat durchzuführen, das nur dadurch gescheitert ist, daß anläßlich eines Frontbesuches Hitlers die bereits in sein Flugzeug gelegte Bombe nicht explodierte. Dies war im Frühjahr 1943.

 

DR. DIX: Nun passierte in der Abwehr OKW ein Ereignis, welches durch die weitere Entwicklung der Dinge und auf das weitere Verhalten Schachts, auch auf Ihr weiteres Verbleiben in Deutschland, von bedeutendem Einfluß war. Wollen Sie das schildern?

 

GISEVIUS: Allmählich war auch Himmler nicht entgangen, was sich im OKW abspielte, und auf Drängen des SS-Generals Schellenberg wurde nunmehr eine große Untersuchung gegen die Canarisgruppe eingeleitet. Es wurde ein Sonderkommissar eingesetzt. Schon am ersten Tage der Untersuchung wurde Oster seines Amtes enthoben und eine Anzahl seiner Mitarbeiter verhaftet. Wenige Zeit darauf war auch Canaris seines Postens enthoben. Ich selber konnte seit dieser Zeit Deutschland nicht mehr betreten, und damit war diese Gruppe, die bisher gewissermaßen die Geschäftsführung aller Konspirationen trug, eliminiert.

 

DR. DIX: In diese Zeit, nämlich Januar 1943, fällt auch die Entlassung Schachts als Reichsminister ohne Portefeuille. Waren Sie seit diesem Vorgang mit Schacht zusammen?

 

GISEVIUS: Ja. Ich war zufällig an diesem Tag in Berlin und erlebte dann, wie dieser Entlassungsbrief kam. Es war ein ungewöhnlich scharfes Schreiben. Ich weiß noch, daß ich in der Nacht in das Landhaus von Schacht hinausgebeten wurde, und da in diesem Schreiben nur angegeben war, daß Schacht entlassen werde, berieten wir, ob er seine Verhaftung zu gewärtigen habe.

 

DR. DIX: Ich darf die Herren Richter daran erinnern, daß ich dieses Schreiben bei der Vernehmung Lammers zu Protokoll verlesen und Lammers vorgehalten habe. Das Schreiben ist also bereits - ich meine das Entlassungsschreiben Schachts, unterzeichnet von Lammers - zu Protokoll verlesen und wird auch in meinem Dokumentenbuch enthalten sein.

 

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14566 (vgl. NP Bd. 12, S. 258 ff.)]

 

[Zum Zeugen gewandt:]

 

    Sie waren also jetzt in der Schweiz. Aber am 20. Juli waren Sie in Berlin. Wie kommt das?

 

VORSITZENDER: Meinen Sie den 20. Juli 1944?

 

DR. DIX: Ja, den bekannten 20. Juli. Wir eilen jetzt zum Ende.

 

GISEVIUS: Ein paar Monate nach der Eliminierung des Canaris-Oster-Kreises wurde um den General Olbricht herum eine neue Stelle von uns gegründet. Damals trat der Oberst Graf von Stauffenberg in Aktion. Er ersetzte Oster in allen Aktivitäten, und als es dann nach Monaten und nach vielen vergeblichen Versuchen und Besprechungen im Juli 1944 soweit war, bin ich dann heimlich nach Berlin zurückgekehrt, um an diesen Ereignissen teilzunehmen.

 

DR. DIX: Aber bei diesem Attentatsversuch hatten Sie keine direkte Verbindung mit Schacht?

 

GISEVIUS: Nein. Ich selber war heimlich in Berlin und sah nur Goerdeler, Beck und Stauffenberg, und es wurde ausdrücklich abgemacht, daß dieses Mal kein anderer Zivilist außer Goerdeler und Leuschner und meiner Person unterrichtet werden sollte. Wir hofften, dadurch Leben zu schützen, indem wir sie nicht in unnützer Weise mit der Mitwisserschaft belasteten.

DR. DIX: Ich komme nun zu meiner letzten Frage: Ich möchte Ihnen vorhalten, daß Schacht immerhin unter der Hitler-Regierung erste Staatsstellungen innehatte. Sie, Herr Doktor, waren, wie sich aus Ihrer Bekundung ja heute zweifelsfrei ergibt, ein Todfeind des Hitler-Regimes. Trotzdem hatten Sie, wie sich ebenfalls aus Ihrer heutigen Bekundung ergibt, besonders Vertrauen zu Schacht. Wie erklären Sie diese prima vista an sich widerspruchsvolle Tatsache?

 

GISEVIUS: Ich kann zur Antwort natürlich nur ein persönliches Urteil abgeben und werde dieses so kurz wie möglich fassen, möchte aber betonen, daß über das Problem Schacht nicht nur ich mir den Kopf zerbrochen habe, sondern meine Freunde desgleichen, und es war für uns immer eine Frage und ein Rätsel, das Schacht uns aufgab; vielleicht läßt es sich nur aus dem Widerspruchsvollen in dem Wesen dieses Mannes erklären, daß er diese Position in der Hitler-Regierung so lange aufrechterhielt. Zweifellos ging er hinein in die Hitler-Regierung aus patriotischen Erwägungen, und ich möchte hier bezeugen, daß er im Augenblick, als die Enttäuschung bei ihm sichtbar wurde, aus denselben patriotischen Erwägungen nunmehr entschlossen zur Opposition überging. Was mich und meine Freunde trotz vieler Widersprüche und Rätsel, die Schacht uns aufgab, an ihn fesselte, war, daß er eine ungewöhnliche Zivilcourage hatte,

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14568 (vgl. NP Bd. 12, S. 259 ff.)]

 

 

daß er zweifellos von einem tiefen sittlichen Ethos durchdrungen war, und daß er nicht nur an Deutschland, sondern daß er auch an die Ideale der Menschheit dachte. So kam es, daß wir mit ihm gingen, daß wir ihn zu den Unseren zählten, und wenn Sie mich persönlich fragen, so kann ich sagen, daß ich meine Zweifel, die ich oft ihm gegenüber gehabt habe, während der dramatischen Ereignisse, während der Jahre 1938/39, endgültig begraben habe. Damals hat er wirklich gekämpft, und das werde ich ihm nie vergessen. Es ist mir eine Freude, dieses auch hier bezeugen zu können.

 

DR. DIX: Meine Herren Richter! Ich bin nun mit der Vernehmung dieses Zeugen zu Ende.

 

VORSITZENDER: Möchte noch ein anderer Verteidiger Fragen an den Zeugen stellen?

 

RECHTSANWALT GEORG BOEHM, VERTEIDIGER FÜR DIE SA: Herr Zeuge! Sie haben gestern erklärt, daß Sie Mitglied des Stahlhelms waren. Von wann bis wann waren Sie das?

 

GISEVIUS: Ich glaube, mein Eintritt in den Stahlhelm erfolgte 1929, und ich trat 1933 aus dem Stahlhelm aus.

 

RA. BOEHM: Sie kennen die Mentalität der Stahlhelm-Angehörigen. Sie wissen, daß es fast ausschließlich Leute waren, die den ersten Weltkrieg mitgemacht hatten, und ich möchte Sie nun fragen, ob die innenpolitischen und außenpolitischen Ziele, die der Stahlhelm hatte, von den Stahlhelm-Angehörigen auf legalem oder revolutionärem Wege erreicht werden wollten?

 

GISEVIUS: Meines Wissens hat der Stahlhelm immer den legalen Weg propagiert.

 

RA. BOEHM: Jawohl. War der Kampf des Stahlhelms gegen den Friedensvertrag von Versailles, den ja jede Organisation mit nationalen Tendenzen wohl aufgenommen hat, mit legalen Mitteln oder mit revolutionären, beziehungsweise Gewaltmitteln gedacht?

 

GISEVIUS: Das ist natürlich sehr schwer für mich, für den gesamten Stahlhelm zu antworten; aber ich kann nur sagen, daß mir und den Stahlhelm-Angehörigen, mit denen ich in Berührung kam, bekannt war, daß der Stahlhelm den gesetzlichen Weg gehen wollte.

 

RA. BOEHM: Ist es richtig, daß in den Jahren 1932 und 1933 Hunderttausende, ohne Unterschied von Partei und Rasse, in den Stahlhelm eingetreten sind?

 

GISEVIUS: Das ist richtig. Je mehr die Dinge in Deutschland sich zuspitzten, desto mehr Leute gingen zur Rechten. Und da ich selber als Versammlungsred

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14570 (vgl. NP Bd. 12, S. 259 ff.)]

 

ner dieses Anwachsen des Stahlhelms von 1929 bis 1933 miterlebte, werde ich es so beschreiben, daß diejenigen, die nicht zur NSDAP und SA gehen wollten, bewußt in den Stahlhelm eintraten, um innerhalb der deutschen Rechtsbewegung ein Gegengewicht gegen die zunehmende braune Flut zu schaffen. Das war der Tenor unserer damaligen Werbung für den Stahlhelm.

 

RA. BOEHM: Nun ist Ihnen ja bekannt, daß der Stahlhelm korporativ 1933 in die SA übernommen worden ist, und was ich Sie fragen wollte, war: War es bei dieser Gelegenheit dem einzelnen Stahlhelm- Angehörigen möglich nein zu sagen oder zu protestieren gegen seine Übernahme in die SA?

 

GISEVIUS: Möglich war das selbstverständlich, wie alles auch im Dritten Reich möglich war.

 

RA. BOEHM: Und was wären dann die möglichen Folgen gewesen?

 

GISEVIUS: Die möglichen Folgen wären eine heftige Auseinandersetzung mit den örtlichen Parteiführern oder SA-Führern gewesen. Ich bin damals nicht mehr Stahlhelmer gewesen und kann nur sagen, daß es zweifellos für viele Menschen außerordentlich schwierig gewesen sein wird, besonders auf dem Lande, ihren Übertritt zu verweigern. Nachdem sie von ihrer Führung oben, dem Minister Seldte, verraten oder, wie es damals gesagt wurde, an die SA verkauft worden waren, war ein Nichtübertritt in die SA natürlich ein offenes Mißtrauensvotum gegen den Nationalsozialismus.

 

RA. BOEHM: Aus meiner Korrespondenz mit den früheren Stahlhelm-Angehörigen geht hervor, daß die Leute, die als frühere Stahlhelm-Angehörige in die SA übernommen worden sind, in dieser ein Fremdkörper geblieben seien und in ständiger Opposition gegen die NSDAP und die SA geblieben waren. Ist das richtig?

 

GISEVIUS: Da ich nicht selber mehr dazu gehört habe, kann ich nur sagen, daß ich annehme, daß sich diese Stahlhelmer sehr unwohl gefühlt haben in ihrer neuen Gemeinschaft.

 

RA. BOEHM: Ist Ihnen bekannt, ob die Stahlhelmer vor 1934 und ab 1934 in der SA an Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Juden, gegen die Kirche und so weiter teilgenommen haben?

 

GISEVIUS: Nein, ist mir nicht bekannt.

 

RA. BOEHM: Ich möchte Sie nun fragen, insoweit Sie unterrichtet sind und Bescheid wissen über die SA. Bezüglich der SA-Führer haben Sie sich wenigstens gestern bereits in zweifelsfreier Weise geäußert.

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14572 (vgl. NP Bd. 12, S. 260 ff.)]

 

Ich möchte Sie bitten, die Antwort auf meine Frage, die ich nun stelle, auf einen Kreis von SA-Angehörigen zu beziehen, der ungefähr zwischen dem einfachen SA-Mann und dem Standartenführer oder Brigadeführer liegt. Konnten Sie aus der Einstellung und der Tätigkeit des SA-Mannes bis zum Standartenführer oder Brigadeführer - ich mache diese Einschränkung, weil ich Ihre Erklärung von gestern bezüglich der Gruppen- oder Obergruppenführer in bester Erinnerung habe - entnehmen, daß diese Leute beabsichtigten, Verbrechen gegen den Frieden zu begehen?

 

GISEVIUS: Es ist natürlich furchtbar schwer, solche allgemeinen Fragen zu beantworten. Wenn Sie mich hinsichtlich des Gros dieser SA-Leute fragen, kann ich natürlich die Frage nur verneinen.

 

RA. BOEHM: Herr Zeuge! Haben Sie beobachtet, daß auch SA-Leute eingesperrt wurden und daß auch SA-Leute in das Konzentrationslager gekommen sind?

 

GISEVIUS: Das habe ich sehr oft beobachtet; es wurden sehr viele SA-Leute 1933, 1934 und 1935, also in diesen Jahren, wo ich dies dienstlich zu bearbeiten hatte, von der Gestapo verhaftet, totgeschlagen, zumindest gequält und in das Konzentrationslager gebracht.

 

RA. BOEHM: Konnte ein Mann, der in der SA war, oder auch ein Außenstehender aus der Tätigkeit, aus dem Tun der SA-Angehörigen entnehmen, oder aus Einzelfällen auf die Gesamtheit schließen und so entnehmen, daß die SA beabsichtigte, Verbrechen gegen den Frieden zu begehen?

 

GISEVIUS: Nein. Wenn ich denke, mit welchen Mühen wir allein im Oberkommando der Wehrmacht jeweils in Erfahrung zu bringen versuchten, ob Hitler einen Krieg plane oder nicht, dann kann ich natürlich einem einfachen SA-Mann nicht eine Kenntnis über etwas zumuten, was wir noch nicht einmal positiv wußten.

 

RA. BOEHM: Die Anklage behauptet, daß die SA die Jugend und das deutsche Volk zum Kriege gehetzt habe. Haben Sie in dieser Richtung eine solche Wahrnehmung gemacht? Sie waren Angehöriger der Gestapo, und es hätte Ihnen doch eine solche Tätigkeit kaum entgehen können?

 

GISEVIUS: Das ist wiederum eine unerhört allgemeine Frage, und ich weiß nicht, inwieweit man gewisse Lieder oder andere Dinge bereits zur Vorbereitung auf den Krieg auffassen wird. Jedenfalls kann ich mir nicht denken, daß in den Jahren bis 1938 in der Masse der SA eine andere Stimmung war als in der Masse des deutschen Volkes; und diese Stimmung

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14574 (vgl. NP Bd. 12, S. 261 ff.)]

 

war ganz einwandfrei, daß bereits der Gedanke an Krieg ein purer Wahnsinn sei.

 

RA. BOEHM: Haben Sie irgendwelche Anhaltspunkte erkannt, aus denen Sie hätten entnehmen können, daß die SA beabsichtigt hatte, Kriegsverbrechen zu begehen, oder daß sie solche Kriegsverbrechen begangen hat?

 

GISEVIUS: Von dem einfachen SA-Mann muß ich dies wiederum verneinen und auch von der Masse der SA. Wieweit irgendwelche höheren Führer im Komplott bei all den furchtbaren Dingen, über die wir jetzt gehört haben, waren, kann ich nicht aussagen; aber die Masse war zweifellos nicht über solche Dinge unterrichtet und dafür erzogen.

 

RA. BOEHM: Herr Zeuge! Es ist wohl nicht hinwegzuleugnen, daß von einer Reihe von SA-Angehörigen Fehler gemacht worden sind, strafbare Handlungen begangen sind, und daß diese Leute sicher auch bestraft werden sollten.

    Sie kennen nun die SA und wissen, was sich in Revolutionszeiten und danach zugetragen hat. Sind Sie in der Lage, zu schätzen oder prozentual zum Ausdruck zu bringen, welcher Prozentsatz von den vielen Angehörigen der SA sich strafbar vergangen haben? Dabei möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die SA ungefähr bis zum Jahre 1932/1933...

VORSITZENDER: Einen Augenblick, Herr Dr. Boehm! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß es nicht zulässig ist, den Zeugen zu fragen, welcher Prozentsatz einer solchen Gruppe, zu der Hunderttausende von Menschen gehören, eine bestimmte Ansicht vertritt.

 

RA. BOEHM: Die Aufklärung dieser Frage wäre aber für mich sehr wichtig, Herr Präsident. Es dreht sich hier um einen Zeugen, der außerhalb der SA gestanden hat, der als Gestapo-Angehöriger vielleicht einer von den wenigen war, der in die Tätigkeit der SA hineinsehen konnte und auch hineingesehen hat, und um einen Menschen, dem vor Gericht sicher auch Glauben geschenkt wird, der auch wußte, welche Strafverfahren ungefähr durchgeführt wurden, der auch - und das will ich sagen - die Zahl der SA-Angehörigen gekannt hat, und der als einer von den wenigen in der Lage ist, dem Gericht dazu eine Aussage zu machen. Und ich glaube, daß, wenn der Zeuge in der Lage ist, sich dazu zu äußern, diese Aufklärung, die er gibt, auch für das Gericht sehr wichtig sein wird.

 

VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat bereits entschieden, daß weder dieser noch andere Zeugen derartige Aussagen machen können. Diese Frage wird daher abgelehnt.

 

RA. BOEHM: Herr Zeuge! Sind Ihnen Fälle bekannt, in denen SA-Angehörige in der SA Opposition getrie

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14576 (vgl. NP Bd. 12, S. 262 ff.)]

 

ben haben?

 

GISEVIUS: Ich habe diese Frage dadurch beantwortet, daß ich gesagt habe, daß eine ganze Anzahl von SA-Angehörigen von der Gestapo verhaftet worden ist.

 

RA. BOEHM: Jawohl. Ist Ihnen bekannt, welche Strafverfahren gegen Angehörige der SA eingeleitet worden sind und möglicherweise in welcher Menge?

 

GISEVIUS: Leider viel zu wenig, wenn Sie so fragen.

 

RA. BOEHM: Jawohl.

 

GISEVIUS: Leider gab es genug Übeltäter in der SA, die ja völlig frei herumliefen. Entschuldigen Sie, daß ich so antworten muß.

 

RA. BOEHM: Gewiß. Und in welchem Verhältnis stehen Sie zur Gesamt-SA?

 

GISEVIUS: Ja, damit sind wir wieder bei der Frage angelangt...

 

VORSITZENDER: Das ist genau dieselbe Frage noch einmal.

 

RA. BOEHM: Ist Ihnen bekannt, unter welchen Umständen man aus der SA austreten konnte?

 

GISEVIUS: So, wie man aus allen Organisationen der Partei austreten konnte. Das war natürlich dann ein mannhafter Entschluß.

 

RA. BOEHM: Danke schön, ich habe weiter keine Fragen.

 

DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Sie haben vorhin auf die Frage des Kollegen Dix dem Gericht gesagt, daß nach der Niederlage bei Stalingrad ein Militärputsch organisiert werden sollte. Sie haben zu diesem Punkt ausgesagt, daß bereits Besprechungen stattgefunden hätten, und auch Vorbereitungen getroffen worden wären, und daß die Durchführung des Militärputsches dadurch verhindert worden sei, daß die Feldmarschälle im Osten die Verschwörergruppe im Stiche gelassen haben.

    Ich bitte Sie nun, nähere Angaben über diesen Komplex zu machen, damit ich Ihrem Schluß folgen kann, nach dem die Feldmarschälle die Verschwörergruppe im Stich gelassen haben.

 

GISEVIUS: Seit Kriegsausbruch versuchte Generaloberst Beck bald mit dem einen, bald mit dem anderen Feldmarschall Kontakt aufzunehmen. Er schrieb Briefe, er entsandte Boten. Ich entsinne mich vor allem eines Briefwechsels mit Generalfeldmarschall von Manstein, und ich habe auch das Antwortschreiben des Generals von Manstein aus dem Jahre 1942 in meinen Händen gehabt. Auf die streng militäri

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14578 (vgl. NP Bd. 12, S. 263 ff.)]

 

schen Darlegungen Becks, daß und warum der Krieg verloren sei, wußte Manstein nur die Antwort zu geben: Ein Krieg sei solange nicht verloren, als man ihn nicht selber verloren gäbe.

    Beck sagte, mit solch einer Antwort eines Feldmarschalls ließen sich allerdings keine strategischen Fragen erörtern. Ein paar Monate später wurde wiederum ein Versuch gemacht, den Generalfeldmarschall von Manstein zu gewinnen: Der General von Treskow, auch ein Opfer des 20. Juli, fuhr in das Hauptquartier Mansteins, der Oberstleutnant Graf von der Schulenburg fuhr in das Hauptquartier Mansteins, aber es gelang nicht, Herrn von Manstein auf unsere Seite zu ziehen.

    Zur Zeit von Stalingrad nahmen wir Fühlung auf mit dem Feldmarschall von Kluge und dieser wiederum mit Manstein. Und dieses Mal gingen die Gespräche so weit, daß Kluge uns eine feste Zusicherung gab und daß er uns auch versicherte, den Generalfeldmarschall von Manstein anläßlich einer ganz bestimmten, datumsmäßig festgelegten Besprechung im Führerhauptquartier zu gewinnen. Wegen der Wichtigkeit dieses Tages wurde von dem General der Nachrichtentruppen, Fellgiebel, eine Sonder-Telephonleitung aus dem Hauptquartier zu dem General Olbricht in das OKW nach Berlin gelegt. Ich selber habe diesen Fernspruch mit entgegengenommen - ich sehe heute noch diese Papierrolle vor mir -, in dem nunmehr mit dürren Worten gesagt war, daß Manstein, entgegen den von ihm vorher gegebenen Zusicherungen sich von Hitler habe überreden lassen, weiter im Amte zu bleiben. Und auch Kluge gab sich damals mit ganz geringen militärischen strategischen Konzessionen zufrieden. Wir haben dies damals als eine ganz große Enttäuschung empfunden, und ich darf deshalb nochmals wiederholen, was Beck damals sagte: »Wir wurden im Stich gelassen.«

 

DR. LATERNSER: Welche weiteren Vorbereitungen waren gerade noch in diesem Falle getroffen worden?

 

GISEVIUS: Wir hatten mit dem Feldmarschall von Witzleben feste Verabredungen getroffen. Witzleben war Kommandeur des gesamten Westens und deswegen sehr wichtig für die Auslösung eines Putsches oder für die Sicherung eines Putsches im Westen. Wir hatten weitere feste Abreden mit dem Militärgouverneur von Belgien, dem Generaloberst von Falkenhausen, getroffen; wir hatten weiterhin, ähnlich wie am 20. Juli 1944, bestimmte Kontingente von Panzertruppen in der Umgebung von Berlin zusammengezogen; wir hatten weiterhin diejenigen Truppenkommandeure bereits im OKW versammelt, die bei dieser Aktion handeln sollten.

 

DR. LATERNSER: Das war alles in der Zeit nach

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14580 (vgl. NP Bd. 12, S. 264 ff.)]

 

Stalingrad?

 

GISEVIUS: Gelegentlich des Stalingrad-Putsches.

 

DR. LATERNSER: Wollen Sie bitte fortfahren.

 

GISEVIUS: Wir hatten sämtliche politischen Vorbereitungen getroffen, die sonst noch zu treffen waren. Ich kann hier schlecht die Putschgeschichte des Dritten Reiches ganz erzählen.

 

DR. LATERNSER: Ja. Und was waren dann die Gründe, weshalb dieser beabsichtigte Militärputsch nicht durchgeführt worden ist?

 

GISEVIUS: Was war das?

 

DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Und was waren denn die Gründe für die Nichtdurchführung dieses von der Verschwörergruppe beabsichtigten Putsches?

 

GISEVIUS: Wider alles Erwarten kapitulierte der Feldmarschall Paulus. Das ist bekanntlich die erste große Massenkapitulation von Generalen, während wir erwartet hatten, daß Paulus mit seinen Generalen vor seiner Kapitulation einen Aufruf an das deutsche Volk und an die Ostfront erlassen würde, in dem die Strategie Hitlers und die Preisgabe der Stalingrad- Armee mit gebührenden Worten gebrandmarkt wurde. Auf dieses Stichwort hin sollte der Generalfeldmarschall von Kluge erklären, daß er in Zukunft keine militärischen Befehle von Hitler mehr entgegennehme. Wir hofften mit dieser Konstruktion das Problem des Eides, der uns immer mehr zu schaffen machte, zu umgehen, indem nacheinander ein Feldmarschall nach dem anderen den militärischen Gehorsam gegenüber Hitler verweigern sollte, worauf Beck den militärischen Oberbefehl in Berlin übernehmen wollte.

 

DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Sie erwähnen gerade den militärischen Eid. Wissen Sie etwas darüber, ob Blomberg und Generaloberst Beck Widerstand geleistet haben oder versucht haben zu leisten gegen die Vereidigung der Wehrmacht auf Hitler?

 

GISEVIUS: Ich weiß nur, daß Beck bis in die letzten Tage seines Lebens mir den Tag seiner Eidleistung auf Hitler als den schwärzesten Tag seines Lebens geschildert hat und mir eine genaue Schilderung gegeben hat, wie er sich persönlich bei dieser Eidleistung überrumpelt fühlte. Er hat mir geschildert, daß er zu einem militärischen Appell befohlen worden sei, daß plötzlich verkündet worden sei, es müsse dem neuen Staatsoberhaupt geschworen werden, daß unerwarteterweise eine neue Eidesformel vorgetragen wurde. Und Beck kam nie mehr von dem furchtbaren Gedanken los, daß er vielleicht damals hätte nicht schwören dürfen, und er sagte mir, er habe beim Nachhausegehen einem Kameraden gesagt: »Dies ist der schwärze

[Der Nürnberger Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess, S. 14582 (vgl. NP Bd. 12, S. 265 ff.)]