DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Sie haben vorhin auf
die Frage des Kollegen Dix dem Gericht gesagt, daß nach der
Niederlage bei Stalingrad ein Militärputsch organisiert werden sollte.
Sie haben zu diesem Punkt ausgesagt, daß bereits Besprechungen stattgefunden
hätten, und auch Vorbereitungen getroffen worden wären, und daß die
Durchführung des Militärputsches dadurch verhindert worden sei, daß die
Feldmarschälle im Osten die Verschwörergruppe im Stiche gelassen haben.
Ich bitte Sie nun, nähere Angaben über diesen Komplex zu machen, damit
ich Ihrem Schluß folgen kann, nach dem die Feldmarschälle die Verschwörergruppe
im Stich gelassen haben.
GISEVIUS: Seit Kriegsausbruch versuchte
Generaloberst Beck bald mit dem einen, bald mit dem anderen Feldmarschall
Kontakt aufzunehmen. Er schrieb Briefe, er entsandte Boten. Ich entsinne
mich vor allem eines Briefwechsels mit Generalfeldmarschall von Manstein, und
ich habe auch das Antwortschreiben des Generals von
Manstein aus dem Jahre 1942 in meinen Händen gehabt. Auf die streng
militäri
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 14578 (vgl. NP Bd. 12, S. 263 ff.)]
schen Darlegungen Becks,
daß und warum der Krieg verloren sei, wußte Manstein
nur die Antwort zu geben: Ein Krieg sei solange nicht verloren, als man ihn
nicht selber verloren gäbe.
Beck sagte, mit solch einer Antwort eines Feldmarschalls ließen sich
allerdings keine strategischen Fragen erörtern. Ein paar Monate später wurde
wiederum ein Versuch gemacht, den Generalfeldmarschall
von Manstein zu gewinnen: Der General von
Treskow, auch ein Opfer des 20. Juli, fuhr in das
Hauptquartier Mansteins, der Oberstleutnant Graf von der Schulenburg
fuhr in das Hauptquartier Mansteins, aber es gelang
nicht, Herrn von Manstein auf unsere Seite zu ziehen.
Zur Zeit von Stalingrad nahmen wir Fühlung auf mit dem Feldmarschall von
Kluge und dieser wiederum mit Manstein. Und dieses Mal gingen die Gespräche so
weit, daß Kluge uns eine feste Zusicherung gab und daß er uns auch versicherte,
den Generalfeldmarschall von Manstein anläßlich einer ganz bestimmten,
datumsmäßig festgelegten Besprechung im Führerhauptquartier zu gewinnen.
Wegen der Wichtigkeit dieses Tages wurde von dem
General der Nachrichtentruppen, Fellgiebel, eine Sonder-Telephonleitung aus dem
Hauptquartier zu dem General Olbricht in das OKW nach Berlin gelegt. Ich selber
habe diesen Fernspruch mit entgegengenommen - ich sehe heute noch diese
Papierrolle vor mir -, in dem nunmehr mit dürren Worten gesagt war, daß
Manstein, entgegen den von ihm vorher gegebenen Zusicherungen sich von Hitler
habe überreden lassen, weiter im Amte zu bleiben. Und auch Kluge gab sich
damals mit ganz geringen militärischen strategischen Konzessionen zufrieden.
Wir haben dies damals als eine ganz große Enttäuschung empfunden, und ich darf
deshalb nochmals wiederholen, was Beck damals sagte:
»Wir wurden im Stich gelassen.«
DR. LATERNSER: Welche weiteren
Vorbereitungen waren gerade noch in diesem Falle getroffen worden?
GISEVIUS: Wir hatten mit dem Feldmarschall von Witzleben feste Verabredungen getroffen.
Witzleben war Kommandeur des gesamten Westens und deswegen sehr wichtig für die
Auslösung eines Putsches oder für die Sicherung eines Putsches im Westen.
Wir hatten weitere feste Abreden mit dem
Militärgouverneur von Belgien, dem Generaloberst von Falkenhausen, getroffen;
wir hatten weiterhin, ähnlich wie am 20. Juli 1944, bestimmte Kontingente von
Panzertruppen in der Umgebung von Berlin zusammengezogen; wir hatten weiterhin
diejenigen Truppenkommandeure bereits im OKW versammelt, die bei dieser Aktion
handeln sollten.
DR. LATERNSER: Das war alles in der Zeit nach
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 14580 (vgl. NP Bd. 12, S. 264 ff.)]
Stalingrad?
GISEVIUS: Gelegentlich des Stalingrad-Putsches.
DR. LATERNSER: Wollen Sie bitte fortfahren.
GISEVIUS: Wir hatten sämtliche politischen
Vorbereitungen getroffen, die sonst noch zu treffen waren. Ich kann hier
schlecht die Putschgeschichte des Dritten Reiches ganz erzählen.
DR. LATERNSER: Ja. Und was waren dann die Gründe,
weshalb dieser beabsichtigte Militärputsch nicht durchgeführt worden ist?
GISEVIUS: Was war das?
DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Und was waren denn die
Gründe für die Nichtdurchführung dieses von der Verschwörergruppe
beabsichtigten Putsches?
GISEVIUS: Wider alles Erwarten kapitulierte der
Feldmarschall Paulus. Das ist bekanntlich die erste große Massenkapitulation
von Generalen, während wir erwartet hatten, daß Paulus mit seinen Generalen vor
seiner Kapitulation einen Aufruf an das deutsche Volk und an die Ostfront
erlassen würde, in dem die Strategie Hitlers und die Preisgabe der Stalingrad-
Armee mit gebührenden Worten gebrandmarkt wurde. Auf dieses Stichwort hin
sollte der Generalfeldmarschall von Kluge erklären, daß er in Zukunft keine militärischen
Befehle von Hitler mehr entgegennehme. Wir hofften mit dieser Konstruktion das
Problem des Eides, der uns immer mehr zu schaffen machte, zu umgehen, indem
nacheinander ein Feldmarschall nach dem anderen den militärischen Gehorsam
gegenüber Hitler verweigern sollte, worauf Beck den militärischen Oberbefehl in
Berlin übernehmen wollte.
DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Sie erwähnen
gerade den militärischen Eid. Wissen Sie etwas darüber, ob Blomberg und
Generaloberst Beck Widerstand geleistet haben oder versucht haben zu leisten
gegen die Vereidigung der Wehrmacht auf Hitler?
GISEVIUS: Ich weiß nur, daß Beck bis in die
letzten Tage seines Lebens mir den Tag seiner Eidleistung auf Hitler als den
schwärzesten Tag seines Lebens geschildert hat und mir eine genaue Schilderung
gegeben hat, wie er sich persönlich bei dieser Eidleistung überrumpelt fühlte.
Er hat mir geschildert, daß er zu einem militärischen Appell befohlen worden
sei, daß plötzlich verkündet worden sei, es müsse dem neuen Staatsoberhaupt
geschworen werden, daß unerwarteterweise eine neue Eidesformel vorgetragen
wurde. Und Beck kam nie mehr von dem furchtbaren Gedanken los, daß er
vielleicht damals hätte nicht schwören dürfen, und er sagte mir, er habe beim
Nachhausegehen einem Kameraden gesagt: »Dies ist der schwärze
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 14582 (vgl. NP Bd. 12, S. 265 ff.)]
ste Tag meines Lebens.«
DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Sie haben bei Ihrer
Aussage weiter erwähnt, daß zwischen Polenfeldzug und Westfeldzug, oder mit
Beginn des Westfeldzuges ein weiterer Militärputsch versucht werden sollte, und
daß dieser Putsch gescheitert sei, weil Halder und
Feldmarschall von Brauchitsch ausgewichen seien. Diesen Ausdruck
'ausgewichen' haben Sie in Ihrer Aussage vorhin gebraucht. Ich bitte Sie, mir
nun anzugeben, auf Grund welcher Tatsachen Sie zu diesem Urteil, daß die beiden
Generale ausgewichen seien, gekommen sind.
JUSTICE JACKSON: Ich erhebe nicht den Einwand, daß
dies uns schaden könnte, falls wir recht viel Zeit hätten, aber das
Beweismaterial für diese Putsche, drohenden Putsche, angeblichen Putsche, wurde
unserer Ansicht nach hier nur im Zusammenhang mit der Haltung des Angeklagten
Schacht zugelassen. Wir führen hier keinen Prozeß gegen diese Generale wegen
ihrer etwaigen Beteiligung oder Nichtbeteiligung an einem Putsch. Uns ist es
ebenso recht, wenn sie an keinem Putsch teilgenommen haben. Ich sehe nicht ein,
zu welchem Zweck dies nochmal vorgebracht wird. Ich weise den Gerichtshof auf
den beschränkten Zweck hin, für den diese historischen Tatsachen zugelassen
wurden. Ich bin der Ansicht, daß es keinen Zweck hat, das in diesem
Zusammenhang zu wiederholen.
VORSITZENDER: Was ist Ihre Antwort darauf, Dr.
Laternser?
DR. LATERNSER: Nachdem der Zeuge über diesen
Komplex gesprochen hat und angegeben hat, daß sowohl Halder als auch
Brauchitsch ausgewichen seien, und ich nicht feststellen kann, ob dieses
Urteil, das dieser Zeuge mit dem Ausdruck »ausgewichen« gefällt hat, richtig
ist, glaube ich, auf Grund der abgelaufenen Tatsachen verpflichtet zu sein,
diesen Punkt näher aufzuklären. Ganz allgemein möchte ich noch weiter anfügen,
daß auch der Anklage gegenüber die Berechtigung besteht, auf diese Punkte
einzugehen. Ich erinnere nur an die Ausführungen, die der Herr Anklagevertreter
der Französischen Republik gemacht hat, in denen er ausgeführt hat, daß bei all
diesen Zuständen es unverständlich sei, daß Halder sich nicht, wie auch das
ganze deutsche Volk, wie ein Mann gegen das Regime erhoben habe. Wenn ich also
von dem Standpunkt der Anklagebehörde ausgehe, dann ist eine Befragung über den
Punkt, wie ich es eben vorgenommen habe, ganz zweifellos von Wichtigkeit. Ich
bitte daher, diese Frage zuzulassen.
VORSITZENDER: Die Anklage gegen das Oberkommando
lautet dahin, daß es im Sinne des Statuts
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess,
S. 14584 (vgl. NP Bd. 12, S. 266 ff.)]
doch für wichtig halte.
VORSITZENDER: Jawohl.
DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Meine Frage lautete:
Können Sie mir die Namen derjenigen Generale angeben, die an dem Attentat vom
20. Juli 1944 beteiligt waren?
GISEVIUS: Der Generaloberst Beck, der
Generalfeldmarschall von Witzleben, der General Olbricht, der General Hoeppner.
DR. LATERNSER: Eine Zwischenfrage; Der General
Hoeppner war vorher Oberbefehlshaber einer Panzerarmee?
GISEVIUS: Ich glaube ja. Der General von Haase und
sicherlich noch eine große Anzahl von Generalen, die ich so schnell nicht
aufzählen kann; ich habe hier nur die Namen derjenigen genannt, die an diesem
Nachmittag in der Bendlerstraße waren.
DR. LATERNSER: Eine Frage, Herr Zeuge: Wissen Sie,
ob Feldmarschall Rommel auch beteiligt war am 20. Juli 1944?
GISEVIUS: Ich kann nicht nur mit Ja antworten,
denn es ist Tatsache, daß ebenso Rommel, wie auch der Feldmarschall von Kluge
beteiligt waren. Es würde aber doch ein falsches Bild entstehen, wenn nun der
Feldmarschall Rommel plötzlich in der Kategorie derer erschiene, die gegen
Hitler gekämpft hätten. Herr Rommel suchte als typischer Parteigeneral sehr
spät Anschluß, und wir hatten einen sehr peinlichen Beigeschmack, als plötzlich
Herr Rommel im Angesicht seiner persönlichen militärischen Katastrophe uns den
Vorschlag machte, wir sollten Hitler umbringen lassen, dann aber möglichst auch
Göring und Himmler dazu. Und selbst dann wünsche er nicht, sofort bei der ersten
Gelegenheit dabei zu sein, sondern er wolle sich in einer gewissen Reserve
halten, um uns seine Popularität später zur Verfügung zu stellen. Also, es ist
eben immer ein sehr großes Problem, ob diese Herren unserer Gruppe beitraten
als geschlagene Größen, wann diese Herren kamen, ob als Leute, die ihre Pension
retten wollten, oder als Leute, die von Anfang an sich für Anstand und Ehre
einsetzten.
DR. LATERNSER: Haben Sie selbst mal mit
Feldmarschall Rommel über diesen Punkt gesprochen?
GISEVIUS: Nein, ich habe nie Wert darauf gelegt,
seine Bekanntschaft zu machen.
DR. LATERNSER: Eine weitere Frage: Waren auch
Generalstabsoffiziere am 20. Juli beteiligt?
GISEVIUS: Ja, eine große Menge.
DR. LATERNSER: Wieviel der Zahl nach schätzen
[Der Nürnberger Prozeß:
Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess,
S. 14589 (vgl. NP Bd. 12, S. 268 ff.)]
Sie?
GISEVIUS: Das kann ich nicht, weil ich damals
nicht informiert war, wieviel Generalstäbler Stauffenberg auf seiner Seite
hatte. Ich zweifle nicht, daß Stauffenberg, Oberst Hansen und manche andere
mutige Männer eine Anzahl sauberer, mutiger Generalstabsoffiziere vorgefunden
hatten, und daß sie auf die Gefolgschaft sehr vieler anständiger Generalstäbler
zählen konnten, die sie natürlich vorher nicht in ihre Pläne einweihen konnten.
DR. LATERNSER: Ja, das wird genügen zu diesem
Punkt. Nun ist mir noch eine Frage eingefallen. Sie erwähnten vorher General
von Treskow. Kannten Sie General von Treskow persönlich?
GISEVIUS: Ja.
DR. LATERNSER: Wissen Sie etwas darüber, daß
General von Treskow, nachdem er von der Herausgabe des Kommissarbefehls
erfahren hatte, Vorstellungen bei Rundstedt gemacht hat, und daß diese
Vorstellungen mit dazu beigetragen haben, daß der Kommissarbefehl im Bereich
des Generalfeldmarschalls von Rundstedt nicht weitergegeben wurde?
GISEVIUS: Treskow gehörte seit Jahren zu unserer
Gruppe. Es gab keine Aktion, die uns so beschämte wie diese, und er machte von
Anfang an mutig seine Vorgesetzten auf das Unzulässige solcher furchtbaren
Befehle aufmerksam. Ich weiß, wie damals der berühmte Kommissarerlaß bei uns
zunächst vom Hörensagen bekannt wurde, und wie wir sofort einen Kurier zu
Treskow schickten und ihm zunächst von der bloßen Absicht einer solchen Schändlichkeit
Mitteilung machten, und wie dann auf ein gegebenes Stichwort hin Treskow nach
Erscheinen des Erlasses beim Generalfeldmarschall von Rundstedt in dem von
Ihnen geschilderten Sinne vorstellig wurde.
VORSITZENDER: Sie sagten vor kurzem, daß Sie im
Begriffe seien, eine letzte Frage zu stellen.
DR. LATERNSER: Herr Präsident! Es tut mir leid,
ich konnte das nicht einhalten. Eine Anzahl Fragen ergab sich aus den Aussagen
des Zeugen. Aber das war meine letzte Frage.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich jetzt
zurückziehen.
[Pause von 10 Minuten.]
VORSITZENDER: Möchte noch irgendein Verteidiger Fragen an den Zeugen
richten?
[Keine Antwort.]
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 14591 (vgl. NP Bd. 12, S. 269 ff.)]
Will die Anklagebehörde den Zeugen im Kreuzverhör vernehmen?
JUSTICE JACKSON: Mit Erlaubnis des Gerichtshofs
habe ich einige Fragen an Sie zu richten, Dr. Gisevius. Falls Sie diese, soweit
möglich, mit Ja oder Nein beantworten, sofern Ihnen dies eine wahrheitsgetreue
Antwort erlaubt, werden wir viel Zeit sparen.
Der Gerichtshof wird
vielleicht wissen, welche Beziehungen Sie zur Anklagebehörde haben. Stimmt es,
daß wir uns zwei Monate nach der Kapitulation Deutschlands in Wiesbaden trafen,
und Sie mir Ihre Erlebnisse bei der Verschwörung schilderten, die Sie hier beschrieben
haben?
GISEVIUS: Jawohl.
JUSTICE JACKSON: Und später wurden Sie hierher
gebracht und von der Anklagebehörde sowie auch von Fricks und Schachts
Verteidiger verhört?
GISEVIUS: Jawohl.
JUSTICE JACKSON: Nun, Ihre Ansicht, Ihre Meinung
ist, wenn ich Sie richtig verstehe, die eines Deutschen, der glaubte, daß Treue
zum deutschen Volke eine ständige Opposition gegen das Nazi-Regime verlangt.
Ist das eine richtige Wiedergabe Ihres Standpunktes?
GISEVIUS: Jawohl.
JUSTICE JACKSON: Und Sie hatten große Erfahrung in
Polizeiangelegenheiten in Deutschland?
GISEVIUS: Jawohl.
JUSTICE JACKSON: Wenn Ihre Putsche oder anderen
Unternehmungen zur Erringung der Macht in Deutschland erfolgreich gewesen wären,
hätte man Sie bei dem Neuaufbau mit der Führung der Polizei beauftragt, nicht
wahr?
GISEVIUS: Jawohl, tatsächlich.
JUSTICE JACKSON: Entweder als Innenminister oder
als Polizeikommissar oder wie man es auch genannt haben würde?
GISEVIUS: Jawohl, sicherlich.
JUSTICE JACKSON: Sie vertraten den Standpunkt, daß
es nicht notwendig sei, Deutschland mit Konzentrationslagern und
Gestapomethoden zu regieren, stimmt das?
GISEVIUS: Jawohl.
JUSTICE JACKSON: Und Sie sahen alle Mittel und
Wege, durch welche Sie dem deutschen Volk Ihre Ansichten darlegen wollten,
durch die Gestapomethoden - die das Nazi-Regime anwandte - zunichte ge
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 14593 (vgl. NP Bd. 12, S. 270 ff.)]
macht, ist das tatsächlich so?
GISEVIUS: Jawohl.
JUSTICE JACKSON: Mit anderen Worten, es gab
keine Möglichkeit für Sie, irgendeine Änderung in der deutschen Politik
herbeizuführen, außer durch Aufstand, Mord oder dergleichen?
GISEVIUS: Nein, ich bin der Überzeugung, daß bis
1937 oder Anfang 1938 durchaus die Möglichkeit bestanden hätte, mit einem
Mehrheitsbeschluß des Reichskabinetts oder durch einen Druck der Wehrmacht eine
Änderung der Zustände in Deutschland herbeizuführen.
JUSTICE JACKSON: Sie bezeichnen 1937 als den
Zeitpunkt, zu dem die Möglichkeit geschwunden ist, eine Änderung in Deutschland
auf friedliche Weise herbeizuführen. Ist das richtig?
GISEVIUS: So würde ich es beurteilen.
JUSTICE JACKSON: Und es war erst nach 1937, daß
Schacht Ihrer Gruppe beigetreten ist. Stimmt das?
GISEVIUS: Ja, soweit ich gesagt habe, hat die
Gruppe sich erst 1937/38 formiert, aber Schacht hat mich beispielsweise 1936
schon mit Goerdeler zusammengebracht, und die Bekanntschaft zwischen Schacht
und Oster bestand schon seit 1936. Und ebenso kannte Schacht viele andere
Mitglieder der Gruppe natürlich seit langer Zeit.
JUSTICE JACKSON: Aber Schacht war erst nach 1937,
erst nach der Putschgeschichte davon überzeugt, so wie ich Ihre Aussage uns
gegenüber verstehe, daß er nicht imstande sein würde, Hitler auf friedliche
Weise zu beseitigen. Stimmt das?
GISEVIUS: Auf welche Weise, auf friedliche Weise
oder...
JUSTICE JACKSON: Auf friedliche Weise.
GISEVIUS: Doch, Schacht glaubte ja bis Ende 1937,
es müsse eine solche legale Beseitigung Hitlers möglich sein.
JUSTICE JACKSON: Aber Ende 1937, wie Sie eben
selber sagen, war die Möglichkeit einer friedlichen Beseitigung Hitlers
unmöglich geworden. Stimmt das?
GISEVIUS: Nach unserem Dafürhalten, ja.
JUSTICE JACKSON: Wenn ich Sie nun recht verstanden
habe, wandten Sie sich an die Generale, weil es außer der Armee keine andere
Macht in Deutschland gab, die mit der Gestapo fertig werden konnte. Stimmt das?
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 14595 (vgl. NP Bd. 12, S. 271 ff.)]
GISEVIUS: Ja, ich
würde diese Frage bejahen.
JUSTICE JACKSON:
Das heißt, außer der Gestapo hatte dieses Nazi-Regime auch eine Privatarmee in
Form der SS und zeitweise auch in Form der SA, nicht wahr?
GISEVIUS: Ja.
JUSTICE JACKSON:
Und wenn Sie nun die Nazi- Regierung mit Erfolg zu bekämpfen hatten, dann
brauchten Sie Leute, die nur in der Wehrmacht zu finden waren. Ist das richtig?
GISEVIUS: Ja, nur
Leute, die in der Armee zu finden waren, aber wir bemühten uns ja gleichzeitig
auch um gewisse Leute in der Polizei, und wir brauchten all die vielen
anständigen Ministerialbeamten und überhaupt die breite Masse des Volkes.
JUSTICE JACKSON:
Aber die Wehrmacht war die Machtquelle die imstande gewesen wäre, mit der SS
und der Gestapo fertig zu werden, wenn die Generale damit einverstanden gewesen
wären?
GISEVIUS: Das war
unsere Überzeugung.
JUSTICE JACKSON:
Und aus diesem Grunde versuchten Sie, sich der Unterstützung der Generale zu
versichern und fühlten sich im Stich gelassen, als diese Ihnen schließlich ihren
Beistand versagten?
GISEVIUS: Jawohl.
JUSTICE JACKSON:
Und dann kam ein Zeitpunkt, da jeder, der Ihrer Gruppe angehörte, wußte, daß
der Krieg verloren war. Stimmt das?
GISEVIUS: Jawohl.
JUSTICE JACKSON:
Und das war vor den Anschlägen auf Hitlers Leben und anscheinend vor dem
Schlabrendorff-Attentat und vor dem 20. Juli, daß der Krieg verloren war.
Stimmt das?
GISEVIUS: Ich
möchte klar herausstellen, daß in unserer Gruppe niemand war, der nicht bereits
bei Kriegsausbruch wußte, daß dieser Krieg niemals von Hitler gewonnen werden
würde.
JUSTICE JACKSON:
Aber es wurde im Laufe der Zeit noch viel deutlicher, daß Deutschland nicht nur
den Krieg nicht gewinnen konnte, sondern daß es materiell, als Folge des
Krieges, zerstört werden würde. Nicht wahr?
GISEVIUS: Jawohl.
JUSTICE JACKSON:
Sie hatten jedoch unter dem von der Nazi-Regierung geschaffenen System keine
Möglichkeit, den Ablauf der Ereignisse in Deutschland durch etwas anderes als
durch Mord oder Aufstand zu ändern. Ist das richtig?
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 14597 (vgl. NP Bd. 12, S. 272 ff.)]