ワイマール末期における保守派・シュタールヘルムの態度
ギゼヴィウス証言
daß er zweifellos von einem tiefen sittlichen
Ethos durchdrungen war, und daß er nicht nur an Deutschland, sondern daß er
auch an die Ideale der Menschheit dachte. So kam es, daß wir mit ihm gingen,
daß wir ihn zu den Unseren zählten, und wenn Sie mich persönlich fragen, so
kann ich sagen, daß ich meine Zweifel, die ich oft ihm gegenüber gehabt habe,
während der dramatischen Ereignisse, während der Jahre 1938/39, endgültig
begraben habe. Damals hat er wirklich gekämpft, und das werde ich ihm nie
vergessen. Es ist mir eine Freude, dieses auch hier bezeugen zu können.
DR. DIX: Meine Herren Richter! Ich bin nun mit der
Vernehmung dieses Zeugen zu Ende.
VORSITZENDER: Möchte noch ein anderer Verteidiger
Fragen an den Zeugen stellen?
RECHTSANWALT GEORG BOEHM, VERTEIDIGER FÜR DIE SA:
Herr Zeuge! Sie haben gestern erklärt, daß Sie Mitglied des Stahlhelms waren. Von
wann bis wann waren Sie das?
GISEVIUS: Ich glaube, mein Eintritt in den
Stahlhelm erfolgte 1929, und ich trat 1933 aus dem Stahlhelm aus.
RA. BOEHM: Sie kennen die Mentalität der
Stahlhelm-Angehörigen. Sie wissen, daß es fast ausschließlich Leute waren, die
den ersten Weltkrieg mitgemacht hatten, und ich möchte Sie nun fragen, ob die
innenpolitischen und außenpolitischen Ziele, die der Stahlhelm hatte, von den
Stahlhelm-Angehörigen auf legalem oder revolutionärem Wege erreicht werden
wollten?
GISEVIUS: Meines Wissens hat der Stahlhelm immer
den legalen Weg propagiert.
RA. BOEHM: Jawohl. War der Kampf des Stahlhelms
gegen den Friedensvertrag von Versailles, den ja jede Organisation mit
nationalen Tendenzen wohl aufgenommen hat, mit legalen Mitteln oder mit
revolutionären, beziehungsweise Gewaltmitteln gedacht?
GISEVIUS: Das ist natürlich sehr schwer für
mich, für den gesamten Stahlhelm zu antworten; aber ich kann nur sagen, daß mir
und den Stahlhelm-Angehörigen, mit denen ich in Berührung kam, bekannt war, daß
der Stahlhelm den gesetzlichen Weg gehen wollte.
RA. BOEHM: Ist es richtig, daß in den Jahren 1932
und 1933 Hunderttausende, ohne Unterschied von Partei und Rasse, in den
Stahlhelm eingetreten sind?
GISEVIUS: Das ist richtig. Je mehr die Dinge in
Deutschland sich zuspitzten, desto mehr Leute gingen zur Rechten. Und da ich
selber als Versammlungsred
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 14570 (vgl. NP Bd. 12, S. 259 ff.)]
ner dieses Anwachsen des Stahlhelms von 1929
bis 1933 miterlebte, werde ich es so beschreiben, daß diejenigen, die
nicht zur NSDAP und SA gehen wollten, bewußt in den Stahlhelm eintraten, um
innerhalb der deutschen Rechtsbewegung ein Gegengewicht gegen die zunehmende
braune Flut zu schaffen. Das war der Tenor unserer damaligen Werbung für den
Stahlhelm.
RA. BOEHM: Nun ist Ihnen ja bekannt, daß der
Stahlhelm korporativ 1933 in die SA übernommen worden ist, und was ich
Sie fragen wollte, war: War es bei dieser Gelegenheit dem einzelnen Stahlhelm-
Angehörigen möglich nein zu sagen oder zu protestieren gegen seine Übernahme in
die SA?
GISEVIUS: Möglich war das selbstverständlich, wie
alles auch im Dritten Reich möglich war.
RA. BOEHM: Und was wären dann die möglichen Folgen
gewesen?
GISEVIUS: Die möglichen Folgen wären eine heftige
Auseinandersetzung mit den örtlichen Parteiführern oder SA-Führern gewesen. Ich
bin damals nicht mehr Stahlhelmer gewesen und kann nur sagen, daß es zweifellos
für viele Menschen außerordentlich schwierig gewesen sein wird, besonders auf
dem Lande, ihren Übertritt zu verweigern. Nachdem sie von ihrer Führung oben,
dem Minister Seldte, verraten oder, wie es damals gesagt wurde, an die SA
verkauft worden waren, war ein Nichtübertritt in die SA natürlich ein offenes
Mißtrauensvotum gegen den Nationalsozialismus.
RA. BOEHM: Aus meiner Korrespondenz mit den
früheren Stahlhelm-Angehörigen geht hervor, daß die Leute, die als frühere
Stahlhelm-Angehörige in die SA übernommen worden sind, in dieser ein
Fremdkörper geblieben seien und in ständiger Opposition gegen die NSDAP und die
SA geblieben waren. Ist das richtig?
GISEVIUS: Da ich nicht selber mehr dazu gehört
habe, kann ich nur sagen, daß ich annehme, daß sich diese Stahlhelmer sehr
unwohl gefühlt haben in ihrer neuen Gemeinschaft.
RA. BOEHM: Ist Ihnen bekannt, ob die Stahlhelmer
vor 1934 und ab 1934 in der SA an Verbrechen gegen den Frieden, gegen die
Juden, gegen die Kirche und so weiter teilgenommen haben?
GISEVIUS: Nein, ist mir nicht bekannt.
RA. BOEHM: Ich möchte Sie nun fragen,
insoweit Sie unterrichtet sind und Bescheid wissen über die SA. Bezüglich der
SA-Führer haben Sie sich wenigstens gestern bereits in zweifelsfreier Weise
geäußert.
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 14572 (vgl. NP Bd. 12, S. 260 ff.)]
Ich möchte Sie bitten, die Antwort auf meine
Frage, die ich nun stelle, auf einen Kreis von SA-Angehörigen zu beziehen, der
ungefähr zwischen dem einfachen SA-Mann und dem Standartenführer oder
Brigadeführer liegt. Konnten Sie aus der Einstellung und der Tätigkeit des
SA-Mannes bis zum Standartenführer oder Brigadeführer - ich mache diese
Einschränkung, weil ich Ihre Erklärung von gestern bezüglich der Gruppen- oder
Obergruppenführer in bester Erinnerung habe - entnehmen, daß diese Leute
beabsichtigten, Verbrechen gegen den Frieden zu begehen?
GISEVIUS: Es ist natürlich furchtbar schwer,
solche allgemeinen Fragen zu beantworten. Wenn Sie mich hinsichtlich des Gros
dieser SA-Leute fragen, kann ich natürlich die Frage nur verneinen.
RA. BOEHM: Herr Zeuge! Haben Sie beobachtet, daß
auch SA-Leute eingesperrt wurden und daß auch SA-Leute in das
Konzentrationslager gekommen sind?
GISEVIUS: Das habe ich sehr oft beobachtet; es
wurden sehr viele SA-Leute 1933, 1934 und 1935, also in
diesen Jahren, wo ich dies dienstlich zu bearbeiten hatte, von der Gestapo
verhaftet, totgeschlagen, zumindest gequält und in das Konzentrationslager
gebracht.
RA. BOEHM: Konnte ein Mann, der in der SA war,
oder auch ein Außenstehender aus der Tätigkeit, aus dem Tun der SA-Angehörigen
entnehmen, oder aus Einzelfällen auf die Gesamtheit schließen und so entnehmen,
daß die SA beabsichtigte, Verbrechen gegen den Frieden zu begehen?
GISEVIUS: Nein. Wenn ich denke, mit welchen Mühen
wir allein im Oberkommando der Wehrmacht jeweils in Erfahrung zu bringen
versuchten, ob Hitler einen Krieg plane oder nicht, dann kann ich natürlich
einem einfachen SA-Mann nicht eine Kenntnis über etwas zumuten, was wir noch
nicht einmal positiv wußten.
RA. BOEHM: Die Anklage behauptet, daß die SA die
Jugend und das deutsche Volk zum Kriege gehetzt habe. Haben Sie in dieser
Richtung eine solche Wahrnehmung gemacht? Sie waren Angehöriger der Gestapo,
und es hätte Ihnen doch eine solche Tätigkeit kaum entgehen können?
GISEVIUS: Das ist wiederum eine unerhört allgemeine
Frage, und ich weiß nicht, inwieweit man gewisse Lieder oder andere Dinge
bereits zur Vorbereitung auf den Krieg auffassen wird. Jedenfalls kann ich mir
nicht denken, daß in den Jahren bis 1938 in der Masse der SA eine andere
Stimmung war als in der Masse des deutschen Volkes; und diese Stimmung
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 14574 (vgl. NP Bd. 12, S. 261 ff.)]
war ganz einwandfrei, daß bereits der Gedanke an
Krieg ein purer Wahnsinn sei.
RA. BOEHM: Haben Sie irgendwelche Anhaltspunkte
erkannt, aus denen Sie hätten entnehmen können, daß die SA beabsichtigt hatte,
Kriegsverbrechen zu begehen, oder daß sie solche Kriegsverbrechen begangen hat?
GISEVIUS: Von dem
einfachen SA-Mann muß ich dies wiederum verneinen und auch von der Masse der SA.
Wieweit irgendwelche höheren Führer im Komplott bei all den furchtbaren Dingen,
über die wir jetzt gehört haben, waren, kann ich nicht aussagen; aber die Masse war zweifellos nicht über solche Dinge unterrichtet
und dafür erzogen.
RA. BOEHM: Herr Zeuge! Es ist wohl nicht
hinwegzuleugnen, daß von einer Reihe von SA-Angehörigen Fehler gemacht worden
sind, strafbare Handlungen begangen sind, und daß diese Leute sicher auch
bestraft werden sollten.
Sie kennen nun die SA und wissen, was sich in Revolutionszeiten und
danach zugetragen hat. Sind Sie in der Lage, zu schätzen oder prozentual zum
Ausdruck zu bringen, welcher Prozentsatz von den vielen Angehörigen der SA sich
strafbar vergangen haben? Dabei möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß
die SA ungefähr bis zum Jahre 1932/1933...
VORSITZENDER: Einen Augenblick, Herr Dr. Boehm!
Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß es nicht zulässig ist, den Zeugen zu
fragen, welcher Prozentsatz einer solchen Gruppe, zu der Hunderttausende von
Menschen gehören, eine bestimmte Ansicht vertritt.
RA. BOEHM: Die Aufklärung dieser Frage wäre aber
für mich sehr wichtig, Herr Präsident. Es dreht sich hier um einen Zeugen, der
außerhalb der SA gestanden hat, der als Gestapo-Angehöriger vielleicht einer
von den wenigen war, der in die Tätigkeit der SA hineinsehen konnte und auch
hineingesehen hat, und um einen Menschen, dem vor Gericht sicher auch Glauben
geschenkt wird, der auch wußte, welche Strafverfahren ungefähr durchgeführt
wurden, der auch - und das will ich sagen - die Zahl der SA-Angehörigen gekannt
hat, und der als einer von den wenigen in der Lage ist, dem Gericht dazu eine
Aussage zu machen. Und ich glaube, daß, wenn der Zeuge in der Lage ist, sich
dazu zu äußern, diese Aufklärung, die er gibt, auch für das Gericht sehr
wichtig sein wird.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat bereits
entschieden, daß weder dieser noch andere Zeugen derartige Aussagen machen
können. Diese Frage wird daher abgelehnt.
RA. BOEHM: Herr Zeuge! Sind Ihnen Fälle
bekannt, in denen SA-Angehörige in der SA Opposition getrie
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 14576 (vgl. NP Bd. 12, S. 262 ff.)]
ben haben?
GISEVIUS: Ich habe diese Frage dadurch
beantwortet, daß ich gesagt habe, daß eine ganze Anzahl von SA-Angehörigen von
der Gestapo verhaftet worden ist.
RA. BOEHM: Jawohl. Ist Ihnen bekannt, welche
Strafverfahren gegen Angehörige der SA eingeleitet worden sind und
möglicherweise in welcher Menge?
GISEVIUS: Leider viel zu wenig, wenn Sie so
fragen.
RA. BOEHM: Jawohl.
GISEVIUS: Leider gab es genug Übeltäter in der SA,
die ja völlig frei herumliefen. Entschuldigen Sie, daß ich so antworten muß.
RA. BOEHM: Gewiß. Und in welchem Verhältnis stehen
Sie zur Gesamt-SA?
GISEVIUS: Ja, damit sind wir wieder bei der Frage
angelangt...
VORSITZENDER: Das ist genau dieselbe Frage noch
einmal.
RA. BOEHM: Ist Ihnen bekannt, unter welchen
Umständen man aus der SA austreten konnte?
GISEVIUS: So, wie man aus allen Organisationen der
Partei austreten konnte. Das war natürlich dann ein mannhafter Entschluß.
RA. BOEHM: Danke schön, ich habe weiter keine
Fragen.
DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Sie haben vorhin auf
die Frage des Kollegen Dix dem Gericht gesagt, daß nach der
Niederlage bei Stalingrad ein Militärputsch organisiert werden sollte.
Sie haben zu diesem Punkt ausgesagt, daß bereits Besprechungen stattgefunden
hätten, und auch Vorbereitungen getroffen worden wären, und daß die
Durchführung des Militärputsches dadurch verhindert worden sei, daß die
Feldmarschälle im Osten die Verschwörergruppe im Stiche gelassen haben.
Ich bitte Sie nun, nähere Angaben über diesen Komplex zu machen, damit
ich Ihrem Schluß folgen kann, nach dem die Feldmarschälle die Verschwörergruppe
im Stich gelassen haben.
GISEVIUS: Seit Kriegsausbruch versuchte
Generaloberst Beck bald mit dem einen, bald mit dem anderen Feldmarschall
Kontakt aufzunehmen. Er schrieb Briefe, er entsandte Boten. Ich entsinne
mich vor allem eines Briefwechsels mit Generalfeldmarschall von Manstein, und
ich habe auch das Antwortschreiben des Generals von
Manstein aus dem Jahre 1942 in meinen Händen gehabt. Auf die streng
militäri
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 14578 (vgl. NP Bd. 12, S. 263 ff.)]
schen Darlegungen Becks,
daß und warum der Krieg verloren sei, wußte Manstein
nur die Antwort zu geben: Ein Krieg sei solange nicht verloren, als man ihn
nicht selber verloren gäbe.
Beck sagte, mit solch einer Antwort eines Feldmarschalls ließen sich
allerdings keine strategischen Fragen erörtern. Ein paar Monate später wurde
wiederum ein Versuch gemacht, den Generalfeldmarschall
von Manstein zu gewinnen: Der General von
Treskow, auch ein Opfer des 20. Juli, fuhr in das
Hauptquartier Mansteins, der Oberstleutnant Graf von der Schulenburg
fuhr in das Hauptquartier Mansteins, aber es gelang
nicht, Herrn von Manstein auf unsere Seite zu ziehen.
Zur Zeit von Stalingrad nahmen wir Fühlung auf mit dem Feldmarschall von
Kluge und dieser wiederum mit Manstein. Und dieses Mal gingen die Gespräche so
weit, daß Kluge uns eine feste Zusicherung gab und daß er uns auch versicherte,
den Generalfeldmarschall von Manstein anläßlich einer ganz bestimmten,
datumsmäßig festgelegten Besprechung im Führerhauptquartier zu gewinnen.
Wegen der Wichtigkeit dieses Tages wurde von dem
General der Nachrichtentruppen, Fellgiebel, eine Sonder-Telephonleitung aus dem
Hauptquartier zu dem General Olbricht in das OKW nach Berlin gelegt. Ich selber
habe diesen Fernspruch mit entgegengenommen - ich sehe heute noch diese
Papierrolle vor mir -, in dem nunmehr mit dürren Worten gesagt war, daß
Manstein, entgegen den von ihm vorher gegebenen Zusicherungen sich von Hitler
habe überreden lassen, weiter im Amte zu bleiben. Und auch Kluge gab sich
damals mit ganz geringen militärischen strategischen Konzessionen zufrieden.
Wir haben dies damals als eine ganz große Enttäuschung empfunden, und ich darf
deshalb nochmals wiederholen, was Beck damals sagte:
»Wir wurden im Stich gelassen.«
DR. LATERNSER: Welche weiteren
Vorbereitungen waren gerade noch in diesem Falle getroffen worden?
GISEVIUS: Wir hatten mit dem Feldmarschall von Witzleben feste Verabredungen getroffen.
Witzleben war Kommandeur des gesamten Westens und deswegen sehr wichtig für die
Auslösung eines Putsches oder für die Sicherung eines Putsches im Westen.
Wir hatten weitere feste Abreden mit dem
Militärgouverneur von Belgien, dem Generaloberst von Falkenhausen, getroffen;
wir hatten weiterhin, ähnlich wie am 20. Juli 1944, bestimmte Kontingente von
Panzertruppen in der Umgebung von Berlin zusammengezogen; wir hatten weiterhin
diejenigen Truppenkommandeure bereits im OKW versammelt, die bei dieser Aktion
handeln sollten.
DR. LATERNSER: Das war alles in der Zeit nach
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 14580 (vgl. NP Bd. 12, S. 264 ff.)]
Stalingrad?
GISEVIUS: Gelegentlich des Stalingrad-Putsches.
DR. LATERNSER: Wollen Sie bitte fortfahren.
GISEVIUS: Wir hatten sämtliche politischen
Vorbereitungen getroffen, die sonst noch zu treffen waren. Ich kann hier
schlecht die Putschgeschichte des Dritten Reiches ganz erzählen.
DR. LATERNSER: Ja. Und was waren dann die Gründe,
weshalb dieser beabsichtigte Militärputsch nicht durchgeführt worden ist?
GISEVIUS: Was war das?
DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Und was waren denn die
Gründe für die Nichtdurchführung dieses von der Verschwörergruppe
beabsichtigten Putsches?
GISEVIUS: Wider alles Erwarten kapitulierte der
Feldmarschall Paulus. Das ist bekanntlich die erste große Massenkapitulation
von Generalen, während wir erwartet hatten, daß Paulus mit seinen Generalen vor
seiner Kapitulation einen Aufruf an das deutsche Volk und an die Ostfront
erlassen würde, in dem die Strategie Hitlers und die Preisgabe der Stalingrad-
Armee mit gebührenden Worten gebrandmarkt wurde. Auf dieses Stichwort hin
sollte der Generalfeldmarschall von Kluge erklären, daß er in Zukunft keine militärischen
Befehle von Hitler mehr entgegennehme. Wir hofften mit dieser Konstruktion das
Problem des Eides, der uns immer mehr zu schaffen machte, zu umgehen, indem
nacheinander ein Feldmarschall nach dem anderen den militärischen Gehorsam
gegenüber Hitler verweigern sollte, worauf Beck den militärischen Oberbefehl in
Berlin übernehmen wollte.
DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Sie erwähnen
gerade den militärischen Eid. Wissen Sie etwas darüber, ob Blomberg und
Generaloberst Beck Widerstand geleistet haben oder versucht haben zu leisten
gegen die Vereidigung der Wehrmacht auf Hitler?
GISEVIUS: Ich weiß nur, daß Beck bis in die
letzten Tage seines Lebens mir den Tag seiner Eidleistung auf Hitler als den
schwärzesten Tag seines Lebens geschildert hat und mir eine genaue Schilderung
gegeben hat, wie er sich persönlich bei dieser Eidleistung überrumpelt fühlte.
Er hat mir geschildert, daß er zu einem militärischen Appell befohlen worden
sei, daß plötzlich verkündet worden sei, es müsse dem neuen Staatsoberhaupt
geschworen werden, daß unerwarteterweise eine neue Eidesformel vorgetragen
wurde. Und Beck kam nie mehr von dem furchtbaren Gedanken los, daß er
vielleicht damals hätte nicht schwören dürfen, und er sagte mir, er habe beim
Nachhausegehen einem Kameraden gesagt: »Dies ist der schwärze
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 14582 (vgl. NP Bd. 12, S. 265 ff.)]
ste Tag meines Lebens.«
DR. LATERNSER: Herr Zeuge! Sie haben bei Ihrer
Aussage weiter erwähnt, daß zwischen Polenfeldzug und Westfeldzug, oder mit
Beginn des Westfeldzuges ein weiterer Militärputsch versucht werden sollte, und
daß dieser Putsch gescheitert sei, weil Halder und
Feldmarschall von Brauchitsch ausgewichen seien. Diesen Ausdruck
'ausgewichen' haben Sie in Ihrer Aussage vorhin gebraucht. Ich bitte Sie, mir
nun anzugeben, auf Grund welcher Tatsachen Sie zu diesem Urteil, daß die beiden
Generale ausgewichen seien, gekommen sind.
JUSTICE JACKSON: Ich erhebe nicht den Einwand, daß
dies uns schaden könnte, falls wir recht viel Zeit hätten, aber das
Beweismaterial für diese Putsche, drohenden Putsche, angeblichen Putsche, wurde
unserer Ansicht nach hier nur im Zusammenhang mit der Haltung des Angeklagten
Schacht zugelassen. Wir führen hier keinen Prozeß gegen diese Generale wegen
ihrer etwaigen Beteiligung oder Nichtbeteiligung an einem Putsch. Uns ist es
ebenso recht, wenn sie an keinem Putsch teilgenommen haben. Ich sehe nicht ein,
zu welchem Zweck dies nochmal vorgebracht wird. Ich weise den Gerichtshof auf
den beschränkten Zweck hin, für den diese historischen Tatsachen zugelassen
wurden. Ich bin der Ansicht, daß es keinen Zweck hat, das in diesem
Zusammenhang zu wiederholen.
VORSITZENDER: Was ist Ihre Antwort darauf, Dr.
Laternser?
DR. LATERNSER: Nachdem der Zeuge über diesen
Komplex gesprochen hat und angegeben hat, daß sowohl Halder als auch
Brauchitsch ausgewichen seien, und ich nicht feststellen kann, ob dieses
Urteil, das dieser Zeuge mit dem Ausdruck »ausgewichen« gefällt hat, richtig
ist, glaube ich, auf Grund der abgelaufenen Tatsachen verpflichtet zu sein,
diesen Punkt näher aufzuklären. Ganz allgemein möchte ich noch weiter anfügen,
daß auch der Anklage gegenüber die Berechtigung besteht, auf diese Punkte
einzugehen. Ich erinnere nur an die Ausführungen, die der Herr Anklagevertreter
der Französischen Republik gemacht hat, in denen er ausgeführt hat, daß bei all
diesen Zuständen es unverständlich sei, daß Halder sich nicht, wie auch das
ganze deutsche Volk, wie ein Mann gegen das Regime erhoben habe. Wenn ich also
von dem Standpunkt der Anklagebehörde ausgehe, dann ist eine Befragung über den
Punkt, wie ich es eben vorgenommen habe, ganz zweifellos von Wichtigkeit. Ich
bitte daher, diese Frage zuzulassen.
VORSITZENDER: Die Anklage gegen das Oberkommando
lautet dahin, daß es im Sinne des Statuts
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertvierzehnter Tag. Donnerstag, 25. April 1946. Der Nürnberger Prozess,
S. 14584 (vgl. NP Bd. 12, S. 266 ff.)]