諸民族のナショナリズムの螺旋的高進・過激化

 

研究の前進

 

ドイツのナショナリズム・・・チェコ人やスロヴァキア人などハプスブルク帝国内のマイノリティのナショナリズム・・・その成果としての第二公用言語(1897年のチェコ語)への昇格・・・ドイツ帝国とハプスブルク帝国のナショナリズムのネットワーク化・過激化

 

 

From:    Andrea Meissner <andrea.meissner@phil.uni-augsburg.de>

Date:    04.06.2010

Subject: Rez. NG: J. Schmid: Radikaler Nationalismus

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Schmid, Julia: Kampf um das Deutschtum. Radikaler Nationalismus in

Österreich und dem Deutschen Reich 1890-1914. Frankfurt am Main: Campus

Verlag 2009. ISBN 978-3-593-39046-8; 406 S.; EUR 45,00.

 

Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:

Andrea Meissner, Lehrstuhl für Europäische Kulturgeschichte, Universität

Augsburg

E-Mail: <andrea.meissner@phil.uni-augsburg.de>

 

Die im Rahmen des Tübinger Sonderforschungsbereichs "Kriegserfahrungen.

Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit" entstandene Dissertation von

Julia Schmid bietet einen Überblick über die diskursive Formierung und

organisatorische Konsolidierung des deutschen Radikalnationalismus vor

dem Ersten Weltkrieg. Von der gerade in den letzten Jahren nochmals sehr

avancierten Nationalismusforschung, die sich entweder auf das Deutsche

Reich[1] oder auf das Habsburgerreich[2] beschränkt, setzt sich die

Studie durch einen beziehungs- und transfergeschichtlichen Ansatz ab,

der die intensive gegenseitige Wahrnehmung ebenso wie die personellen

und medialen Vernetzungen zwischen dem Deutschen Reich und

Österreich-Ungarn in den Mittelpunkt stellt. Mit den nationalistischen

Aufwallungen der "Badeni-Krise" von 1897 - ausgelöst durch die

Einführung des Tschechischen als zweiter "äußerer Amtssprache" in Böhmen

- habe sich, so Schmids These, die Kommunikation so verdichtet, dass von

einem grenzüberschreitenden deutschnationalen Milieu gesprochen werden

könne (S. 15). Seither bildete die Berichterstattung über die Situation

der Deutschen im Habsburgerreich einen festen Bestandteil der

reichsdeutschen nationalistischen Publizistik, und Schmid zeigt

eindrücklich, dass von nun an auch das Selbstbild nördlich der Alpen in

hohem Maße durch die aus Österreich importierten Bedrohungsszenarien

bestimmt wurde. Entsprechend fokussiert die Untersuchung auf die

österreichisch-reichsdeutsche Transferrichtung, während die

Minderheitenproblematiken im Deutschen Kaiserreich, insbesondere die

Konflikte mit der polnischsprachigen Bevölkerung Preußens, am Rande

bleiben.

 

Methodisch folgt Julia Schmid dem konstruktivistischen Ansatz der

jüngeren Nationalismusforschung, die Nation bzw. Nationalität nicht als

etwas Gegebenes, sondern als etwas mittels diskursiver und symbolischer

Praktiken erst Hervorgebrachtes auffasst. Diesen Zugang setzt Schmid

insofern konsequent um, als sie im Anschluss an die wegbereitenden

Studien von Pieter M. Judson zur Produktion des Konstrukts

"Sprachgrenze" im Habsburgerreich[3] auch die Konflikterfahrungen,

welche die Nationalisten in den gemischtsprachigen Gebieten des

Habsburgerreichs vorzufinden meinten, als Resultate spezifischer

Wahrnehmungs- und Deutungsprozesse begreift. Dies trägt auf adäquate

Weise der Tatsache Rechnung, dass in den sprachlichen Mischzonen des

Habsburgerreichs eine eindeutige nationale Selbstzuordnung im bi- oder

multilingualen Alltag oftmals keine Relevanz hatte.

 

Eingehend beschreibt Schmid deshalb anhand der Publizistik

radikalnationalistischer Organisationen, wie sich nationale Aktivisten

abmühten, in den gemischtsprachigen Gebieten nationales Bewusstsein

überhaupt erst zu schaffen und die örtliche Bevölkerung zu einem

Alltagshandeln gemäß nationalistischer Prinzipien zu mobilisieren. Im

Zentrum stehen dabei die Periodika der österreichischen "Schutzvereine"

(in erster Linie der Deutsche Schulverein, die Südmark, der Deutsche

Böhmerwaldbund sowie der Tiroler Volksbund) und der deutschnationalen

Parteien, für das Deutsche Reich die Publizistik des Alldeutschen

Verbandes und des Allgemeinen Deutschen Schulvereins (1908 in Verein für

das Deutschtum im Ausland umbenannt). Die Ausdifferenzierung dieses

Organisationsnetzwerkes, das allein in Österreich um 1914 mehr als eine

halbe Million Mitglieder mobilisieren konnte, zeichnet Schmid zunächst

detailliert nach. Die historische und soziale Kontextualisierung bringt

sie zu dem beachtenswerten Schluss, es habe sich bei den

österreichischen "Schutzvereinen" nicht primär um

Selbsthilfeorganisationen von Betroffenen gehandelt. Vielmehr sei das

Gros der Mitglieder im urbanen gebildeten Bürgertum des "Hinterlandes",

also im geschlossenen deutschen Sprachgebiet zu verorten. Dieses habe

sich seit der politischen Wende von 1879, als die politische

Vorherrschaft des Liberalismus in Cisleithanien ihr Ende fand, in der

politischen und sozialen Defensive befunden. Die Besorgnis um die

angeblich gefährdeten Deutschen an der "Sprachgrenze" sei, so Schmids

These, eine Projektion der eigenen Verunsicherung gewesen (S. 103). An

die Peripherie seien diese Deutungsmuster dann oftmals durch soziale

Aufsteiger in den neuen Dienstleistungsbereichen getragen worden, für

die das Engagement in nationalistischen Vereinen eine Chance darstellte,

Zugehörigkeit zu den lokalen Honoratioren zu erlangen (S. 89). Diese

sozialgeschichtliche Einordnung ist für Österreich überzeugend.

Inwieweit diese Motivationslage für den Radikalnationalismus im

Deutschen Reich zutrifft, wäre einer eingehenderen Erörterung wert.

 

Wie versuchten nun die Radikalnationalisten, den Bewohnern der

"Sprachgrenze" die eigene "gefühlte Bedrohung" (S. 102) zu

plausibilisieren, sie von der Notwendigkeit einer nationalen

Selbstzuordnung zum Deutschtum zu überzeugen, aber auch die Deutschen im

"Hinterland", das Deutsche Reich eingeschlossen, zur finanziellen und

praktischen Unterstützung zu mobilisieren? Julia Schmid erläutert dies

anhand dreier Gebiete, nämlich den verschiedenen Praxisfeldern der

"Schutzvereinsarbeit", den deutschnationalen Geschichtskonstruktionen

sowie der Deutung der zeitgenössischen Nationalitätenkonflikte im

Habsburgerreich. Deutlich werden dabei vier Aspekte:

 

Erstens die Vielfalt der Engagementformen, welche die nationalistischen

Vereine entwickelten: Sie reichten von der Errichtung deutschsprachiger

Minderheitenschulen, die ursprünglich im Vordergrund stand, über die

Gründung von Sparvereinen und Genossenschaften bis hin zur

Stellenvermittlung, zum Aufbau von touristischer Infrastruktur oder zum

Ankauf von Immobilien für Deutsche. Nationsbildungsprozesse basierten,

wie Schmid anschaulich zeigt, nicht nur auf diskursiver Konstruktion und

symbolischer Kommunikation, sondern die nationale Selbstzuordnung konnte

auch viel mit recht konkreten Interessenlagen zu tun haben.

 

Zweitens arbeitet Schmid prägnant die Argumentationsfiguren heraus,

welche die Radikalnationalisten nutzten, um ihre Forderungen zu

legitimieren. Insbesondere das Konzept des deutschen

"Nationalbesitzstandes", den es zu verteidigen galt, war geeignet, die

unterschiedlichsten wahrgenommenen Verluste, sei es die alleinige

deutsche Amtssprache, sei es "deutscher" Grundbesitz, zu einer

einheitlichen Erfahrung der Gefährdung zu integrieren. Hinzu trat eine

Nationalisierung des Territoriums, mit der sich die Nationalisten über

die faktischen Mischungsverhältnisse bei den Bewohnern hinwegsetzten.

Dem Anspruch auf "deutschen Boden" dienten, wie Schmid ausführt, der

Verweis auf die Kultivierung des Landes durch Deutsche, auf die

Siedlungsgeschichte, die Behauptung, die jeweilige Landschaft sei

"typisch" deutsch, eine einheitliche Farbgebung auf Kartenwerken oder

auch die symbolische Markierung des Territoriums durch Feiern, rituelle

Aufmärsche und Denkmalsetzungen.

 

Plastisch treten drittens die Wahrnehmungsverzerrungen und

Radikalisierungsdynamiken im deutschen Nationalismus hervor: Einerseits

imaginierten die Radikalnationalisten die Vorgänge an der "Sprachgrenze"

in der Semantik des Krieges als Teil eines systematischen, von Hass

getriebenen Kampfes der Nachbarvölker gegen das deutsche Volk. Dabei

gewann, aufgeladen durch die Deutungskategorien des Sozialdarwinismus

und die Lehre Friedrich Ratzels vom Kampf um Lebensraum, noch das

kleinste Zugeständnis an die Nichtdeutschen den Status einer

existenziellen Bedrohung. Andererseits ist den von Schmid untersuchten

Periodika deutlich anzumerken, dass der totalisierende Anspruch der

Nationalisten sowohl an die eigenen Organisationen als auch an die

Bewohner der "Sprachgrenze", die alle Lebensbereiche auf die

Erfordernisse des Nationalitätenkampfs ausrichten sollten, äußerst

frustrationsträchtig war. Dies resultierte in der öffentlichen

Exponierung von "Verrätern", in Boykottaufrufen, in der Abkehr von den

eigenen Abgeordneten, in der Lahmlegung der politischen Institutionen

durch Obstruktion und schließlich auch in der Legitimation gewaltsamer

"Selbsthilfe". Um 1900 wurden auch die ersten Vorschläge zu

Bevölkerungstransfers als endgültige Lösungen der

Nationalitätenproblematik ventiliert. Je weniger sich die Realität den

Forderungen fügen wollte, desto stärker wurde der erwartete europäische

Krieg zur ersehnten Totallösung.

 

Viertens wird in Schmids Untersuchung ersichtlich, dass die

nationalistische Selbstmobilisierung zunehmend auch die Loyalität zum

Staat betraf. Grundsätzlich hatte das "Volk" einen höheren Stellenwert

als der Staat. Zwar betont Schmid, dass nach der Jahrhundertwende - mit

Ausnahme der Anhänger Georg von Schönerers - kein Deutschnationaler in

Österreich die Existenz des Habsburgerreiches ernsthaft in Frage stellte

(S. 287). Dennoch glaubten die Radikalnationalisten, dass sie die

Notwehr auch zum Handeln gegen die jeweiligen Regierungen und die

staatlichen Organe überhaupt ermächtige.

 

In diesem Konzept der "nationalen Selbsthilfe", notfalls auch gegen den

Staat, ist eine der zentralen Kontinuitätslinien zum

Radikalnationalismus der Zwischenkriegszeit zu sehen, ebenso wie in der

Nationalisierung von Territorien als "Volks- und Kulturboden", in den

sozialdarwinistischen Lebensraum-Forderungen und in den imaginierten

Bevölkerungsverschiebungen. Es wäre sicherlich lohnend gewesen, wenn

Julia Schmid die Diskussion solcher Kontinuitäten über die Zäsur von

1918 hinweg mit in ihre Darstellung einbezogen hätte. Überdies wäre ein

Ausblick aufschlussreich gewesen, inwiefern die Deutungsmuster des

Radikalnationalismus über das Spektrum der von Schmid ausgewählten

Organisationen und Presseorgane hinaus diffundierten. Innerhalb der

Begrenzungen ihrer Themenstellung gelingt Julia Schmid jedoch eine

differenzierte Synthese zur organisatorischen und diskursiven

Entwicklung des Radikalnationalismus, seiner Mitgliederstruktur, seiner

Radikalisierungsdynamik und insbesondere auch zum Transfer von

konstruierten Erfahrungen, die eigentlich an den österreichischen

"Sprachgrenzen" verortet waren, in die Selbstwahrnehmung der

Nationalisten im Deutschen Reich.

 

Anmerkungen:

[1] Zu den nationalistischen Agitationsverbänden vgl. Peter Walkenhorst,

Nation - Volk - Rasse. Radikaler Nationalismus im Deutschen Kaiserreich

1890-1914, Göttingen 2007; Rainer Hering, Konstruierte Nation. Der

Alldeutsche Verband 1890 bis 1939, Hamburg 2003. Nach wie vor

einschlägig: Roger Chickering, We men who feel most German. A cultural

study of the Pan-German League, 1886-1914, Boston 1984.

[2] Zu den Nationsbildungsprozessen im Habsburgerreich sind besonders

beachtenswert: Pieter M. Judson, Guardians of the nation. Activists on

the language frontiers of imperial Austria, Cambridge 2006; Jeremy King,

Budweisers into Czechs and Germans. A local history of Bohemian

politics, 1848-1948, Princeton 2002; Tara Zahra, Kidnapped souls.

National indifference and the battle for children in the Bohemian Lands,

1900-1948, Ithaca 2008; Helmut Rumpler / Peter Urbanitsch (Hrsg.), Die

Habsburgermonarchie 1848-1918, Bd. 8: Politische Öffentlichkeit und

Zivilgesellschaft, 2 Teilbände., Wien 2006.

[3] Judson, Guardians.

 

 

Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:

Ewald Frie <ewald.frie@histsem.uni-tuebingen.de>

 

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