Die Entscheidung des 4. Februar 1938 war schicksalsmäßig,
sowohl für den damaligen General Keitel als auch für die deutsche Wehrmacht:
für Keitel, der die neugeschaffene Dienststelle »Oberkommando der Wehrmacht« noch
nicht beurteilen konnte, für die Wehrmacht, die an diesem Tage ihre - relative
- Selbständigkeit verlor.
Hitler beseitigte die letzte Schranke zwischen sich und der Wehrmacht
- dem Volk in Waffen - durch die Beseitigung des Oberbefehlshabers der Wehrmacht
und des verfassungsmäßig verantwortlichen Reichskriegsministers. Diese
wahrhaft schicksalsmäßige Entscheidung wurde Keitel und dem deutschen Volk zum
Verhängnis, ohne daß dies im Zeitpunkt des Entstehens von den Beteiligten
erkannt wurde.
Daß es schuldhaft nicht erkannt wurde, läßt sich
rückschauend leicht sagen. Das Urteil im damaligen Augenblick mußte für jeden,
der nicht grundsätzlich Skeptiker und Pessimist war, abhängig sein von der
Entwicklung der Dinge und der Stärke der hierbei beteiligten Persönlichkeiten.
Weder das eine noch das andere konnte am 4. Februar 1938 klar erkannt werden.
Für den Angeklagten Keitel, der damals Hitler nicht persönlich kannte
und ihm in den Vorbesprechungen zur Entscheidung zum erstenmal von Mensch zu
Mensch gegenübertrat, war es keine eigene Entscheidung. Hitler
übertrug ihm die neugeschaffene Stelle eines Chefs OKW; Keitel nahm an. Auch
wenn man die menschlichen Regungen eines solch
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertdreiundsiebzigster Tag. Montag, 8. Juli 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 22567 (vgl. NP Bd. 17, S. 684 ff.)]
glanzvollen Aufstiegs ganz außer acht läßt, bestand kein begründeter Anlaß für den damaligen Chef des Wehrmachtsamtes im Reichskriegsministerium, das Angebot abzulehnen, zumal von Blomberg ihn selbst in Vorschlag gebracht hatte.
ヒトラーがOKW長官をどのように捉えていたか、被告「カイテルは知らなかった」・・・しかし、「知らないこと」なのに引き受けたのはカイテルである。その引き受けた責任はカイテルにある。
Wie Hitler dieses Amt auffaßte, war für Keitel nicht erkennbar.
Ich gehe über zur nächsten Seite...
Der
Erlaß gab Keitel eine wundervolle Dienststellenbezeichnung: »Chef des
Oberkommandos der Wehrmacht«. Die geschichtliche Grundlage ist die Beseitigung
der Befehlsgewalt über die gesamte Wehrmacht, die bis 4. Februar 1938
In den Händen des Feldmarschalls von Blomberg ruhte und an diesem Tage
von Hitler selbst übernommen wurde. Gleichzeitig schaffte Hitler das
verantwortliche Kriegsministerium, das bis dahin auch von Feldmarschall von
Blomberg verwaltet wurde, ab.
Dr. Lammers sagt über die Entstehung des Führererlasses vom 4. Februar 1938 folgendes
aus: (Sitzungsprotokoll
vom 8. April 1946, Vormittagssitzung Band XI, Seite 38)
»Der Führer teilte mir mit, daß der Reichskriegsminister von Blomberg
aus seinem Amt ausscheide und daß er bei dieser Gelegenheit einige
Veränderungen in der Reichsregierung vornehmen wolle, im besonderen, daß Herr
Außenminister von Neurath zurücktreten werde, daß auch hier eine Änderung
eintreten werde, daß auch im Oberbefehl des Heeres eine
Änderung eintreten werde.
Im Anschluß daran gab
der Führer den Auftrag, einen Erlaß auszuarbeiten über die Führung der
Wehrmacht. Ich sollte dabei mitwirken, im Benehmen mit dem
Wehrmacht-Kriegsministerium. Als Richtlinie hierfür gab der Führer mir folgende
Weisung:
OKW創設の理由・・・ヒトラーが直接、国防軍の最高司令官に。自分と陸海空三軍の司令官との間に、軍人の軍最高司令官を置かない。
Ich will in
Zukunft keinen Kriegsminister mehr haben, und ich will auch in Zukunft keinen
Oberbefehlshaber der Wehrmacht mehr haben, der zwischen mir als Oberstem
Befehlshaber und den Oberbefehlshabern der Wehrmachtsteile steht.
総統命令直属の軍参謀部として、OKW。
Dementsprechend wurde
nun der Erlaß formuliert, indem zunächst das Oberkommando der Wehrmacht
eingerichtet wurde als ein militärischer Stab, der dem unmittelbaren Befehl des
Führers unterstehen sollte.
Der Führer wünschte an
dieser Stelle keine selbständige Dienststelle, wie sie zwischen ihm und den
Oberbefehlshabern der Wehrmachtsteile eingeschaltet war.
カイテルは、陸海空の三軍に対する司令権をもたなかった。
Infolgedessen hatte der damals zum Chef OKW
ernannte General der Artillerie Keitel keine eigene Kommandogewalt über
die Wehrmachtsteile. Eine solche Kommandogewalt wäre ja wohl schon auch
aus anderen Gründen nicht in Frage gekommen.«
Feldmarschall von Blomberg hat in dem von mir vorgelegten
Affidavit bekundet:
Auf Frage 24:
»Bei unserer letzten Besprechung deutete Hitler an, daß er vermutlich
meine Stelle nicht wieder besetzen würde und somit er der tatsächliche
Oberbefehlshaber der
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertdreiundsiebzigster Tag. Montag, 8. Juli 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 22569 (vgl. NP Bd. 17, S. 685 ff.)]
deutschen Armee sein würde...«
Er forderte einen
Vorschlag für die Ernennung eines »Chefs du bureau«, der unter ihm und somit
unter Hitlers Verantwortung die anfallenden Geschäfte leiten und abwickeln
sollte.
»Ich nannte ihm Keitel,
der unter mir dieses Amt sehr gut ausgeführt hatte.«
Antwort auf Frage 27:
»Ich habe Keitel als 'Chef du bureau' vorgeschlagen und glaubte damit, ihn auf
den richtigen Platz gestellt zu haben.
In solcher
Dienststellung war er nicht ein militärischer Berater Hitlers; ob und inwieweit
dieser ihn um seinen Rat gefragt hat, weiß ich nicht. Eine Verantwortlichkeit
Keitels wäre auch damit nach meiner Ansicht nicht aufgerichtet worden.«
Frage 29: »War es nicht
die Absicht Hitlers, sich in der Person Keitels ein Instrument zu schaffen,
dessen organisatorische Fähigkeiten und dessen Arbeitskraft ihm als ausführendes
Organ für seine Entschlüsse und Befehle wertvoll erschien?«
Antwort: »Diese Frage
wird von mir ausdrücklich bejaht... Die ursprüngliche Absicht Hitlers war
damals unbedingt, ein zuverlässiges Unterorgan und keineswegs einen Berater,
etwa gar mit Verantwortlichkeit ausgestattet, zu seiner Verfügung zu haben.«
Der Erlaß über die Führung der Wehrmacht vom 4. Februar 1938 ist
dem Gerichtshof bekannt. Ich brauche ihn daher nicht zu verlesen. Für
die Stellung des Angeklagten Keitel und damit für die Fragen seiner
Zuständigkeit und Verantwortlichkeit ergibt sich daraus und aus der
Beweisaufnahme...:
ヒトラーが打ち立てたかったこと。
1. Hitler
wollte weder ein verantwortliches Reichskriegsministerium, noch wollte er, daß
ein anderer als er die oberste Befehlsgewalt über die gesamte Wehrmacht ausüben
sollte. Er vereinigte in seiner Person diese beiden Institutionen, indem
er sowohl bezüglich der Befehlsgewalt erklärte, er werde diese von
jetzt ab unmittelbar und persönlich ausüben, als auch die Funktionen des
Reichskriegsministeriums, die Keitel in seinem Auftrag verwalten sollte.
OKWはヒトラーの軍事参謀。
2. Hitler schuf also zu seinem militär-technischen Programm einen
militärischen Stab. Diesem legte er die Bezeichnung Oberkommando der
Wehrmacht bei. Dieses »Oberkommando der Wehrmacht« war daher nicht mehr - ich
füge hinzu, und nicht weniger - als die militärische Kanzlei des
Führers und Obersten Befehlshabers. Solche Kanzleien bestanden schon als
Reichskanzlei, Präsidialkanzlei und Parteikanzlei.
カイテルの肩書き:国防軍最高司令部参謀長
Zum Chef dieser militärischen Kanzlei wurde der
Angeklagte Keitel mit der Bezeichnung: »Chef des Stabes des Oberkommandos
der Wehrmacht« (kurz bezeichnet: Chef W) berufen.
3. Hieraus
ergibt sich, daß das OKW nicht Zwischendienststelle zwischen dem Obersten
Befehlshaber der Wehrmacht und den drei Wehrmachtsteilen sein sollte.
Die gegenteilige Annahme der Anklagebehörde, die mit einer graphischen
Darstellung verbun
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertdreiundsiebzigster Tag. Montag, 8. Juli 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 22571 (vgl. NP Bd. 17, S. 686 ff.)]
den ist, beruht auf einer irrtümlichen
Beurteilung.
最高司令官(ヒトラー総統)と陸海空軍の3人の最高司令官との間に、中間機関は存在しない。
Zwischen dem Obersten Befehlshaber und den drei Oberbefehlshabern von
Heer, Marine und Luftwaffe hat es eine Zwischeninstanz, wie sie vor dem 4.
Februar 1938 bestanden hat, mit eigenen Befugnissen, nicht mehr gegeben.
OKWは自立的な軍事的役所、あるいは官庁ではない。それはもっぱらヒトラーの軍事的技術的参謀でしかない。
Das OKW, dessen Stabschef der Angeklagte Keitel
war, war keine selbständige militärische Dienststelle oder Behörde, sondern
ganz ausschließlich der militärisch-technische Stab Hitlers und seine
kriegsministerielle Dienststelle.
OKWはなんらの自立的命令権はもたない。命令権も司令権も。
Das OKW hatte keinerlei selbständige Befugnisse,
weder Befehlsbefugnisse noch eine Kommandogewalt.
OKWは、自立的命令を出すことができない。というよりむしろ、OKWによるすべての指示、指針あるいは命令は、国防軍最高司令官の意思の行為であった。
Es konnte als OKW deshalb auch keine eigenen
Befehle geben. Vielmehr waren alle Anordnungen, Erlasse, Richtlinien oder
Befehle, die vom OKW ausgingen, Willensakte des Obersten Befehlshabers der
Wehrmacht.
Die Oberbefehlshaber der drei Wehrmachtsteile
waren sich stets bewußt, daß zwischen ihnen und dem Obersten Befehlshaber keine Zwischeninstanz bestanden hat, und sie haben das
OKW auch niemals als eine solche angesehen oder anerkannt.
Es ist dies durch die beschworenen Affidavits der
Mitangeklagten Großadmiral Dönitz und Großadmiral Raeder, sowie durch das
Zeugnis des Reichsmarschalls Göring und Dr. Lammers bestätigt.
Die Auffassung, daß das OKW oder der Angeklagte
Keitel als Chef OKW befugt gewesen wäre, von sich aus Anordnungen zu treffen
oder Befehle zu geben, ist daher irrig. Jeder über einen Gedankenaustausch mit
anderen militärischen Dienststellen oder Behörden hinausgehende mündliche oder
schriftliche Dienstverkehr unterlag der alleinigen Entscheidung des Obersten
Befehlshabers persönlich. Das OKW war lediglich Arbeitsstab des Obersten
Befehlshabers.
4. Wenn daher Schriftstücke, die vom Obersten Befehlshaber oder vom OKW
ausgingen, Unterschriften oder Initialen des Angeklagten Keitel oder eines
Amtschefs beziehungsweise Abteilungsleiters aufweisen, so kann hieraus nicht
die Folgerung abgeleitet werden, daß eine eigene, selbständige Befehlsbefugnis
bestanden hat. Es handelt sich in jedem Falle immer nur um die Kenntnisnahme,
die Weiterleitung oder Übermittlung von Befehlen des Obersten Befehlshabers
selbst. Bei der Inanspruchnahme Hitlers in seiner Stellung als Staatsoberhaupt,
Reichskanzler, Parteiführer und Oberster Befehlshaber der Wehrmacht war es
unmöglich, immer die eigenen Unterschriften zu erwirken, es sei denn, daß es
sich um Angelegenheiten handelte, die von besonders schwerwiegender oder
grundsätzlicher Bedeutung waren. Zu beachten ist, daß in allen Fällen die
persönliche Entscheidung oder Zustimmung Hitlers eingeholt werden mußte.
Wenn die Anklagebehörde bei dieser Sachlage die
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertdreiundsiebzigster Tag. Montag, 8. Juli 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 22573 (vgl. NP Bd. 17, S. 687 ff.)]
Auffassung vertritt, daß dem Angeklagten Keitel
aus der Unterzeichnung von Schriftstücken oder aus dem Vorhandensein von
Initialen eine Mitverantwortung an dem sachlichen Inhalt der Schriftstücke
trifft, so kann dies nicht gebilligt werden. Es wäre formal-juristisch, gegen
den Angeklagten Keitel als Leiter der Militärkanzlei aus der Weiterleitung oder
Zeichnung von Befehlen, Anordnungen und dergleichen eine Verantwortung
herzuleiten, die meines Erachtens nur den treffen kann, der den Befehl auf
Grund seiner Befehlsgewalt gibt oder veranlaßt. Eine materielle Verantwortung
hierfür könnte den Angeklagten Keitel nur treffen, wenn nachgewiesen würde, daß
er an der Entstehung dieser Befehle, Anordnungen und so weiter willensmäßig
kausal teilgenommen hat.
VORSITZENDER: Herr Dr. Nelte! Wäre das ein
günstiger Zeitpunkt für eine Unterbrechung?
[Pause von 10 Minuten.]
フランス共和国主席検察官代理
M. CHARLES DUBOST, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE
REPUBLIK: Meine Herren! Die Verteidigung hat die Französische Anklagevertretung
ersucht, ihr einige Dokumente zugänglich zu machen. Dieser Antrag besteht aus
zwei Teilen:
カイテル弁護側の要請・・・ドキュメント利用。
Der erste Teil betrifft den Fall Scapini, der sich im Verlaufe meiner
Erklärung aus der Veröffentlichung eines Dokuments ergab. Ich kann der
Verteidigung die erbetene Antwort der Französischen Regierung zukommen lassen.
Die Französische Regierung hat unter den von den deutschen Behörden
zurückgelassenen Dokumenten die Antwort auf den Protest, der seinerzeit anläßlich
der Ermordung von französischen Gefangenen erhoben wurde, gefunden. Es ist eine
rein ausweichende Antwort. Die deutschen Behörden haben geantwortet, die
Waffenstillstandskommission sei nicht zuständig; dieser Antrag müsse vom
Botschafter Scapini gestellt werden. Ich habe dieses Dokument der Verteidigung
zugeleitet und nehme an, daß damit der Fall insoweit abgeschlossen ist.
Der zweite Teil dieses Antrags der Verteidigung bezieht sich auf eine
Äußerung meines Kollegen, Herrn Edgar Faure, der zu Anfang seiner Darlegungen
dem Gerichtshof mitgeteilt hat, daß er etwa 2500 Dokumente durchgesehen, doch
nicht mehr als nur 200 davon zurückbehalten habe. Ich kann natürlich nicht für
Herrn Edgar Faure antworten. Ich weiß nur, daß die Französische Delegation
insgesamt nur 800 Dokumente in ihren Archiven hat, und diese hat sie alle dem
Gerichtshof und der Verteidigung vorgelegt. Ich glaube deshalb, daß es sich
einfach um eine Redewen
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertdreiundsiebzigster Tag. Montag, 8. Juli 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 22575 (vgl. NP Bd. 17, S. 688 ff.)]
dung handelt und daß mein Herr Kollege sich auf
Begleitschreiben beziehen wollte, die ja nicht von Wichtigkeit sind.
Jedenfalls habe ich sofort dem Verteidiger, Dr. Nelte, gesagt, daß ihm
alle Archive unserer Delegation offen stünden und daß er sich überzeugen könne,
daß wir keine Dokumente haben als die, die wir veröffentlicht haben.
Andererseits sind alle die Anträge auf vielleicht vergessene zusätzliche
Dokumente, die wir nach Paris gesandt haben, ohne jedweden Erfolg geblieben.
Wir schließen daraus, daß wir alle Dokumente hier haben, die wir in diesem
Verfahren verwenden können.
DR. NELTE: Herr Präsident! Ich bin der
Französischen Delegation dankbar für die Aufklärung, die sie gegeben hat,
worüber ich heute morgen die Beschwerde vorgetragen habe. Wenn ich diese
Aufklärung auch nur einige Tage früher bekommen hätte, wäre es nicht zu dem
gekommen, wozu es heute morgen gekommen ist. Ich bedauere das sehr.
Ich fahre dann fort auf Seite 64,
daß er an der Entstehung von Anordnungen mitgewirkt hat. Um das so klar als
möglich zu machen, möchte ich noch auf folgendes hinweisen:
Die
»Weisungen«, die für Planungen von militärischen Unternehmungen von grundsätzlicher
Bedeutung waren, sind operative Befehle, die der Oberste Befehlshaber in dieser
Eigenschaft den Oberbefehlshabern der drei Wehrmachtsteile zugehen ließ. Bevor
diese Weisungen abgesetzt wurden, hatte Hitler mit dem zuständigen
Sachbearbeiter im OKW, auch mit dem Angeklagten Keitel, Besprechungen über die
militärisch-technische Seite des Befehls. Die Weisungen waren ohne Rücksicht
auf das, was die einzelnen Sachbearbeiter ihrerseits geäußert hatten, alleinige
Willensbildungen des Obersten Befehlshabers, und sie richteten sich nicht an
das OKW, sondern an die Oberbefehlshaber der drei Wehrmachtsteile, denen sie
durch das OKW weitergegeben wurden.
Die drei Wehrmachtsteile ihrerseits befahlen
nunmehr auf Grund der allgemeinen Weisung die Einzelheiten zur Durchführung
dessen, was in der Weisung enthalten war. Ich werde daher auch nicht in diesem
Zusammenhang auf die Bestimmung des Statuts Bezug nehmen, wonach die Ausführung
auf Befehl nicht als Strafausschließungsgrund anzusehen ist. Denn die Weiterleitung
des Befehls war nicht ein Befehl des OKW an die Wehrmachtsteile, sondern die
Weiterleitung einer Willensäußerung des Obersten Befehlshabers. Der an das OKW gerichtete Befehl, wenn man dies so nennen
will, bezog sich in allen Fällen auf die Ausarbeitung irgendwelcher
Willensäußerungen des Obersten Befehlshabers und auf den rein äußerlichen Akt
der Weitergabe der fertigen Willensäußerung,
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertdreiundsiebzigster Tag. Montag, 8. Juli 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 22577 (vgl. NP Bd. 17, S. 689 ff.)]
ohne die Befugnis, hierzu Stellung zu nehmen.
Es muß angenommen werden, daß die Anklagebehörde diese Stellung des
Angeklagten Keitel nicht richtig erkannt hat, vielleicht beeinflußt durch den
Rang des Angeklagten als Feldmarschall. Dieser Rang stand zu den wirklichen
Befehlsbefugnissen militärischer Art des Angeklagten in keinem Verhältnis. Man
ist geneigt, sich unter einem Generalfeldmarschall immer einen militärischen
Befehlshaber vorzustellen. Wie wir gesehen haben, hatte der Angeklagte Keitel
jedoch keinerlei Befehlsbefugnisse oder Kommandogewalt.
Der Feldmarschall von Blomberg, dessen Zeugenaussage die Anklagebehörde
dem Gerichtshof vorgelegt hat, bezeichnet die Stellung des Angeklagten Keitel
als »Chef du bureau«. Diese Bezeichnung ist materiell richtig. Ein »Chef du
bureau« hat dafür Sorge zu tragen, daß das Büro, dem er als Chef vorsteht,
ordnungsgemäß arbeitet, daß die Angelegenheiten von den zuständigen
Sachbearbeitern richtig und prompt erledigt werden. Er hat aber keinen Anteil
an den endgültigen Willensakten, die sein Vorgesetzter, hier der Oberste
Befehlshaber der Wehrmacht, für richtig hielt. Wenn das schon im allgemeinen
gilt, so hier im besonderen. Es ist bekannt, daß Hitler sich bei militärischen
Entscheidungen nicht durch Keitel beraten ließ. Dies ist durch die
Beweisaufnahme, insbesondere durch das Zeugnis des Generaloberst Jodl,
bewiesen.
Der Angeklagte Keitel hat nun in dem Affidavit Nummer 8, bezeichnet als
»Koordinierung in Staat und Wehrmacht«, die Tätigkeit des OKW und seine
Tätigkeit in klarer Weise dargelegt. Das Affidavit gibt ein Bild der
schwierigen und undankbaren Arbeit des Angeklagten Keitel. Sie bestand
hauptsächlich in einer Koordination der Wünsche und Bedürfnisse der
Wehrmachtsteile. Ferner bestand sie in dem Ausgleich der auftretenden
Divergenzen und im Kampf gegen die, jede ordnungsmäßige, das heißt
ressortmäßige Erledigung ablehnende Einstellung Hitlers.
Es gibt in jedem Wehrmachtsteil Interessen, die von den Interessen
anderer Wehrmachtsteile abweichen und die in der Gesamtheit nicht befriedigt
werden können, sich sogar manchmal widersprechen. Dies gilt besonders für den
Personalersatz, aber auch für die Versorgung mit allem, was für die spezielle
Kriegführung erforderlich ist.
国防軍最高司令部は、3軍の意見調整の場。
Der Schnittpunkt aller dieser sachlichen und persönlichen
Meinungsverschiedenheiten war das OKW.
Wenn man die unbestreitbare Tatsache, daß der Angeklagte Keitel fast von
allen Seiten angefeindet und persönlich schlecht beurteilt wurde, richtig
verstehen will, so wird man feststellen müssen, daß diese Tatsache als eine
zwangsläufige Folge der Über
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertdreiundsiebzigster Tag. Montag, 8. Juli 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 22579 (vgl. NP Bd. 17, S. 690 ff.)]
schneidung sachlicher Gegensätze und persönlicher Meinungsverschiedenheiten eingetreten ist, die Keitel durch Koordinierung oder Vermittlung, das heißt in fast allen Fällen im Wege gegenseitigen Nachgebens zu erledigen versuchte. Es bedarf keiner besonderen Lebenserfahrung, um zu wissen, daß der objektive Mittler stets den Undank beider Parteien ernten wird.
Das gleiche Bild ergibt sich im Verhältnis zu den zahlreichen Stellen,
die mit offiziellen Sondervollmachten ausgestattet oder aber persönlich, meist
parteimäßig begründet, die Sympathien und das besondere Vertrauen Hitlers
hatten.
Man muß sich diese Gegensätzlichkeiten und Interessenüberschneidungen
vergegenwärtigen, um die Arbeitslast, und ich füge hinzu, auch die Bedeutung
der Stellung Keitels richtig zu würdigen.
Die Erkenntnis des besonderen Verhältnisses der Wehrmachtführung zum
politischen Sektor wird durch den Umstand erschwert, daß Hitler die Funktionen des
Obersten Befehlshabers der Wehrmacht, des Reichskriegsministers und des
Staatsoberhauptes seit dem 4. Februar 1938 in seiner Person vereinigte.
Ab 4. Februar 1938 bestand deshalb zwischen der politischen
Führung und der Obersten Wehrmachtführung Übereinstimmung durch Identität der
Persönlichkeit.
Es liegt nahe, daran zu denken - und die Anklagebehörde hat das getan -,
daß der Chef des militärischen Stabes Hitlers so eng mit seinem Vorgesetzten
Hitler verbunden war, daß er auch für den politischen Komplex die Verantwortung
tragen müsse, wenn nicht als Täter, so doch in irgendeiner Form, wie sie
Artikel 6 des Statuts vorsieht.
Diese Annahme ist irrig.
Hierzu bedarf es nicht des Eingehens auf die Hierarchie des Führerstaates
und den zwingenden Charakter des Führerbefehls. Die soldatische
Hierarchie ist älter als die nationalsozialistische Ideologie; es muß
allerdings gesagt und von Ihnen berücksichtigt werden, daß die Einführung des
absoluten Führerprinzips in die Wehrmacht die endgültige Ausschaltung aller
Bestrebungen bedeutet, die man vielleicht in einem gewissen Sinn demokratisch,
jedenfalls hemmend für die diktatorischen Gelüste Hitlers ansehen könnte.
Hierzu nehme ich Bezug auf das Affidavit Keitel, Dokumentenbuch 2 Nummer 9 »OKW
und Generalstab«. Die starre Durchführung des Führerprinzips verschärfte -
rückschauend beurteilt - das gesunde soldatische Gehorsamsprinzip allmählich
zum übersteigerten Militarismus. Dies fand seinen Ausdruck unter anderem
in dem Verbot jeder Kritik von unten nach oben. Ich verweise
auf die Rede Hitlers in der Krolloper 1936 oder 1937, ferner auf den
abweichenden Aktenvermerk 1938 - Aussage General Win
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertdreiundsiebzigster Tag. Montag, 8. Juli 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 22581 (vgl. NP Bd. 17, S. 691 ff.)]
ters -, in dem Verbot der Rücktrittsgesuche von
Generalen und schließlich in der Beseitigung des Oberbefehlshabers
der Wehrmacht und Kriegsministers.
カイテルは、指導者原理の無条件の支持者。
Es kann und soll nicht bestritten werden, daß
der Angeklagte Keitel ein unbedingter Anhänger des Führerprinzips in der
Wehrmachtführung war und daß die Studie »Grundlagen
über die Organisation der deutschen Wehrmacht«, L-211, als ein Bekenntnis über
die Führung eines zukünftigen Krieges anzusehen ist, aber ohne daß in diesem
Zeitpunkt ein konkreter Krieg vorgesehen oder Anlaß dieser Studie war.
Was bedeutet das für den Angeklagten Keitel? Wer das Führerprinzip als
soldatisch richtig anerkennt, muß auch danach handeln. Professor Jahrreiss hat
ausgeführt, daß das Führerprinzip - wie jedes andere politische System - nicht
absolut gut oder schlecht ist, sondern daß alles abhängt von der Art und Weise
der Durchführung des Prinzips und den Methoden der Verwirklichung.
Keitel kommt aus dem Soldatischen her und bejaht für den ihm bekannten
Bereich das Führerprinzip. Nach diesem Prinzip liegt die Verantwortung absolut
bei demjenigen, der die Befehlsbefugnis hat. Während sich das Führerprinzip im
zivilen Bereich, in dem es auch galt, meist in Äußerlichkeiten erschöpfte,
tatsächlich kaum etwas geändert wurde, mußte sich dieses Prinzip im
militärischen Bereich viel stärker und sichtbarer auswirken, und zwar besonders
im Verhältnis der Befehlshaber zu ihrem Generalstabschef.
Früher waren die Generalstabschefs
die materiell verantwortlichen Befehlsführenden, jetzt waren sie die operativen
Gehilfen des Befehlshabers. Sie waren in der Sprachregelung
»Mitarbeiter-Berater« auf dem strategisch-operativen Gebiet, für das diese Offiziere
besonders vorgebildet waren.
Keitel war - das steht fest - weder Befehlshaber noch Generalstabschef,
er war Chef der Militärkanzlei Hitlers, Soldat und Verwalter
kriegsministerieller Aufgaben, also »Minister«, so sagt die
Anklagebehörde.
Man soll sich in diesem Prozeß nicht auf Unterscheidungen berufen, die sich als formalistisch erweisen, wenn die tatsächlichen Funktionen ein anderes Bild zeigen. Dies ist besonders im Falle Keitel wichtig. Es muß festgestellt werden, was er tatsächlich war, wie er in Wirklichkeit gehandelt hat.
Die durch den Erlaß vom 4. Februar 1938 geschaffene
Zwitterstellung hat zu einer irrtümlichen Auffassung bezüglich der Keitelschen
Funktionen geführt. Es ist davon auszugehen, daß Hitler das Reichskriegsministerium
aufgelöst hat, weil er einen Kriegsminister nicht mehr wünschte. Obwohl
am 4. Februar 1938 eine erhebliche Anzahl von Zuständigkeiten des bisherigen
Reichskriegsministeriums auf die einzel
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertdreiundsiebzigster Tag. Montag, 8. Juli 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 22583 (vgl. NP Bd. 17, S. 692 ff.)]
nen Wehrmachtsteile übertragen wurde, gab es eine Reihe von Funktionen, die im OKW verblieben und verwaltet werden mußten. Um aber der gewollten straffen Zusammenfassung der sich auf die Kriegführung beziehenden Funktionen Rechnung zu tragen, durfte Keitel auch diese nicht kraft eigener Machtvollkommenheit und nach eigenem Ermessen ausüben, sondern mußte die Forderungen der Wehrmacht vortragen und die Belange der Wehrmacht mit den Aufgaben der übrigen Minister in Einklang bringen.
Es kann und soll nicht bestritten werden, daß diese Konzentration der
Aufgaben in der Person Hitlers praktisch gar nicht durchführbar war. Es fiel
also dem militärischen Arbeitsstabe Hitlers, dessen Stabschef Keitel war, eine
umfangreiche Vorarbeit und Durchführungsarbeit zu, demgemäß auch eine
Verantwortung. Diese bezog sich jedoch nicht auf wichtige, insbesondere
grundsätzliche Fragen. Es war natürlich Ermessensfrage, inwieweit der
Angeklagte Keitel Angelegenheiten als wichtig und grundsätzlich beurteilte und
zur Vorlage brachte. Wie aber die Beweisaufnahme ergeben hat, war Keitel eher
geneigt, im Falle eines Zweifels nach gewissenhafter Prüfung die Angelegenheit
vorzutragen, als sie selbst zu entscheiden.
Bei den undurchsichtigen Nachrichtenquellen, die Hitler zur Verfügung
standen, konnte Keitel nie wissen, ob dieser nicht durch seinen Adjutanten,
durch Himmler und Bormann oder auf andere Weise erfuhr, was ihm wichtig
erschien. Um die dann unvermeidlichen Auseinandersetzungen mit Hitler zu
vermeiden, der infolge seines Mißtrauens gegen alle stets absichtliche
Verheimlichung annahm, war Keitel ängstlich bemüht, sich nicht dem Vorwurf
einer Unterlassung auszusetzen. Ein bezeichnendes Beispiel ist der
Fall der Massenflucht der 80 RAF-Offiziere aus dem Lager Sagan.
Worauf es in diesem Zusammenhang ankommt, ist lediglich festzustellen, daß Keitel in seiner Eigenschaft als Betreuer der im OKW verbliebenen kriegsmateriellen Funktionen keine Ministerstellung hatte. Er war auch hier »Chef du bureau«, Leiter der Militärkanzlei, eine Stellung, wie sie der Chef eines Ministeramtes oder auch ein Staatssekretär hat. Ich verweise hierzu auf das von mir schon angezogene Zeugnis Dr. Lammers und auf die Affidavits der Großadmirale Dr. Raeder und Dönitz, die ich schon mehrfach erwähnt habe.
Daß auch Hitler dies klar zum Ausdruck bringen wollte, ergibt sich aus
dem Text des Führererlasses vom 4. Februar 1938. Wenn
Hitler nicht den bestimmten Willen gehabt hätte, jeden Dritten von einer
verantwortlichen und ihm eventuell unbequemen Funktion in dem höchsten
militärischen Sektor auszuschließen, würde er Keitel wenigstens die Befugnis
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertdreiundsiebzigster Tag. Montag, 8. Juli 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 22585 (vgl. NP Bd. 17, S. 693 ff.)]
verliehen haben, an Kabinettssitzungen
teilzunehmen. In dem Führererlaß, in dem den Oberbefehlshabern des Heeres und
der Kriegsmarine, ebenso wie Keitel der »Rang« eines Reichsministers verliehen
wurde, ist ausdrücklich nur angeordnet, daß beide Oberbefehlshaber das Recht
haben sollen, an Kabinettssitzungen teilzunehmen. Die Tatsache, daß dies zu
gleicher Zeit angeordnet wurde, ist ein überzeugendes Argumentum e contrario.
Es beweist, daß Hitler nicht wünschte, daß sein Stabschef OKW möglicherweise
Gelegenheit haben könnte, eine eigene Auffassung und eventuelle Bedenken vor
dem Kabinett darzulegen.
Daß Hitler dem Angeklagten Keitel den »Rang« eines
Reichsministers gab, hatte den Zweck, diesem die unmittelbare Verhandlung mit
den Ressortministern zu ermöglichen. Hätte Keitel nicht Ministerrang gehabt,
würde er auf Besprechungen mit Staatssekretären und dergleichen beschränkt und
damit in der Durchführung der Führeraufträge und -Aufgaben sehr behindert
gewesen sein.
Es ist daher irrig, wenn die Anklagebehörde Keitel als Reichsminister
bezeichnet hat, wenn auch als Reichsminister »ohne Geschäftsbereich«. Er war
nicht Minister, war nicht Mitglied der Reichsregierung. Der Staatssekretär
Stuckart hat in einem der Anklagebehörde vorgelegten Dokument die
Mitglieder der Reichsregierung sämtlich angeführt. Keitel befindet sich nicht
darunter; er ist in diesem Dokument nur als Inhaber eines höchsten Amtes
bezeichnet.
Nun hat die Anklagebehörde den Begriff Reichsregierung nicht auf die
Zugehörigkeit zum Reichskabinett beschränkt, sondern auch andere Gremien als
Teile der Reichsregierung angesehen. Es scheint danach so, als ob die
Anklagebehörde die rechtliche Struktur nach deutschem Staatsrecht als
irrelevant ansehe. Nach Anhang B zur allgemeinen Anklageschrift besteht die
Reichsregierung im Sinne der Anklage:
1. Aus Mitgliedern des ordentlichen Kabinetts nach
dem 30. Januar 1933, an dem Tage, an dem Hitler Kanzler der Deutschen Republik
wurde. Der hier verwendete Ausdruck »ordentliches Kabinett« bedeutet:
Reichsminister, das heißt, Leiter von Ressorts der Zentralregierung,
Reichsminister ohne Geschäftsbereich, Staatsminister in der Funktion von
Reichsministern und andere Beamte, die zur Teilnahme an den Kabinettssitzungen
berechtigt waren.
2. Aus Mitgliedern des Ministerrates für die
Reichsverteidigung.
3. Aus Mitgliedern des Geheimen Kabinettsrates.
Unbeschadet der Einzelverantwortlichkeit jedes Angeklagten muß der
Nachprüfung des Tribunals unterstellt werden, ob der Begriff »Reichsregierung«,
wie ihn die Anklage definiert, richtig ist, das heißt
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertdreiundsiebzigster Tag. Montag, 8. Juli 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 22587 (vgl. NP Bd. 17, S. 694 ff.)]
praktisch, ob die Zusammenstellung der Gruppen
seitens der Anklagebehörde dem Begriff »Reichsregierung« gerecht wird. Es kann
jedenfalls nicht genügen, die diesbezügliche Behauptung der Anklagebehörde als
richtig zu unterstellen.
Ich nehme an, daß mein Kollege Dr. Kubuschok bei der Behandlung seines Falles darauf zurückkommen wird.
VORSITZENDER: Dr. Nelte! Der Gerichtshof ist der
Meinung, daß Sie sehr viel Zeit für die Frage verwenden, welches die wirkliche
Stellung Keitels war.
DR. NELTE: Ich glaube, Herr Präsident, die
Anklagebehörde hat auch viel Zeit gebraucht, um klarzumachen, welche Stellungen
der Feldmarschall Keitel nach ihrer Auffassung hatte. Er ist ja nicht als
Feldmarschall hier, sondern als Chef des OKW.
VORSITZENDER: Gut! Wenn sie das getan hat.... Ich
muß gestehen, daß ich es vergessen habe. Aber es scheint mir und dem
Gerichtshof allgemein, daß Sie doch bei weitem zu viel Zeit für dieses Thema verwenden. Sie haben noch viele
andere Themen, die für den Angeklagten von sehr großer Wichtigkeit sind.
Sie sprechen nun schon einige Stunden und brauchen eine große Anzahl Seiten für
die Definition, welches die wirkliche Stellung Keitels war. Ich denke doch, Sie
könnten es etwas abkürzen.
DR. NELTE: Ich werde versuchen.
Ich habe schon dargelegt, daß der Angeklagte Keitel nicht zur Gruppe 1
gehörte, also nicht Minister war.
Er war weder Leiter eines Ressorts noch der Zentralregierung, noch
Reichsminister ohne Geschäftsbereich, noch Staatsminister in der Funktion eines
Reichsministers, noch Beamter, der zur Teilnahme an den Kabinettssitzungen
berechtigt war.
Durch die Beweisaufnahme ist erwiesen, daß es trotz des Führererlasses
vom 4. Februar 1938 niemals einen Geheimen Kabinettsrat gegeben hat, daß dieser
nie konstituiert wurde, nie eine Sitzung abgehalten hat und keiner der
Beteiligten eine Bestallung erhalten hat. Damit ist erwiesen, daß der
Angeklagte auch niemals Mitglied des Geheimen Kabinettsrates war.
Richtig ist, daß Keitel Mitglied des Ministerrates für die
Reichsverteidigung war. Dr. Lammers hat als Zeuge bestätigt, daß dadurch, daß
Keitel Mitglied des Ministerrates für die Reichsverteidigung wurde, sich an
seiner Amtsstellung nichts geändert hat, daß er insbesondere dadurch nicht
Minister wurde. Der Mitangeklagte Dr. Frick sagt in seinem Affidavit vom 25.
November 1945, daß Keitel im Ministerrat für die Reichsverteidigung als
»Verbindungsmann« tätig war.
Obwohl nicht unter den Mitgliedern der Reichsre
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertdreiundsiebzigster Tag. Montag, 8. Juli 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 22589 (vgl. NP Bd. 17, S. 695 ff.)]
gierung aufgeführt, sind von der Anklagebehörde
die Eigenschaften Keitels als Mitglied eines sogenannten Dreimänner-Kollegiums
und als Mitglied des Reichsverteidigungsrates erwähnt worden.
Ich glaube, auf das Ergebnis der Beweisaufnahme verweisen zu können. Es
hat sich ergeben, daß ein »Dreimänner-Kollegium« als Regierungsgremium nie
bestanden hat, und daß der Reichsverteidigungsrat nach dem unveröffentlichten
Reichsverteidigungsgesetz von 1938 nie getagt, jedenfalls nie Beratungen
gepflogen oder Beschlüsse gefaßt hat.
Um die Verantwortlichkeit und Zuständigkeit des Angeklagten Keitel
klarzustellen, ist es nötig, diesen Begriff OKW zu definieren. Ich bitte, Herr
Präsident, daß diese Erörterung nicht als eine theoretische und deshalb
überflüssige Diskussion angesehen wird. Die Tatsache, daß die Anklage eine
alles umfassende und grundsätzliche Behauptung aufstellt...
VORSITZENDER: Dr. Nelte! Darf ich fragen, was Sie
anderes getan haben, als den Begriff OKW zu definieren?
DR. NELTE: Bis jetzt habe ich Keitels Stellung als
Chef des OKW klargestellt. In den Ausführungen auf Seite 74 folgende wollte ich
Ihnen darlegen, daß die Anklage, wie auch andere, das »OKW« erörtert haben; das
»OKW« ist ein Wort, das drei verschiedene Arten von Bedeutungen hat. Herr
Vorsitzender, wenn Sie mir erlauben würden, dies schriftlich vorzulegen, und
wenn Sie es dann so auslegen, als ob es dem Gericht vorgelegt worden wäre, dann
bin ich bereit, die Seiten bis 77 auszulassen und diese Ihnen vorzulegen.
Jedenfalls scheint mir dies ein wichtiger Teil der Erklärung über die
Auslegung des Wortes »OKW« zu sein. Und es ist besonders wichtig, daß dies
nicht identisch ist mit Keitel.
Kann ich das tun?
In dem Falle werde ich natürlich
auf Seite 77 fortfahren.
Für die Klarstellung der Verantwortlichkeit und der Zuständigkeit des
Angeklagten Keitel ist es notwendig, den Begriff OKW zu analysieren. Ich bitte,
dies nicht als eine theoretische und deshalb überflüssige Auseinandersetzung
anzusehen. Gerade die globale und grundsätzliche Behauptung der Anklage und die
betont rechtliche Prüfung der Französischen Anklagebehörde, in welchem Amt der
Einzelangeklagte tätig wurde bezüglich der ihm zur Last gelegten Anklagepunkte,
macht es mir zur Pflicht, einen Irrtum der Anklagebehörde aufzuklären. Dieser
Irrtum ist allerdings um so entschuldbarer, als nicht nur das Ausland, sondern
auch weite Kreise des Inlandes, ja sogar der Wehrmacht nicht gewußt haben, was
OKW bedeutet.
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertdreiundsiebzigster Tag. Montag, 8. Juli 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 22591 (vgl. NP Bd. 17, S. 696 ff.)]
Es wurde ein populärer Sammelbegriff für die
Oberste Leitung der Wehrmacht, ohne daß man sich der Mühe unterzog zu prüfen,
wer und was hinter den drei Worten Oberkommando der Wehrmacht stand. Es
entspricht dies dem, das Zusammenleben der Menschen beherrschenden
Trägheitsgesetz, der fast krankhaften Sucht, militärische
Dienststellenbezeichnungen abzukürzen. Da ferner der täglich veröffentlichte
Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht und alle Verlautbarungen, die sich auf
das Kriegsgeschehen bezogen, mit den Worten begannen: »Das Oberkommando der
Wehrmacht gibt bekannt«, so prägten sich nicht nur diese Worte, sondern auch
die Vorstellung, daß das »Oberkommando der Wehrmacht« die höchstmilitärische
Dienststelle sei.
Die Vorstellung wäre richtig, wenn man die Worte OKW nicht Oberkommando
der Wehrmacht übersetzt, sondern als Oberkommandierender der Wehrmacht
definiert hätte. Nur in Hitler persönlich, als dem
»Oberkommandierenden der Wehrmacht« vereinigte sich das, was alle Welt sich als
OKW vorstellte, nämlich die militärische Zentral-, Planungs- und
Befehlsstelle.
In dieser Hinsicht war das OKW gleichbedeutend mit Hitler als dem
»Obersten Befehlshaber der Wehrmacht«, wie die offizielle Bezeichnung lautete.
Wenn man die, dem herrschenden Führerprinzip entsprechende Bezeichnung »Oberkommandierender der Wehrmacht« abstrahiert und die Dienststelle des Oberkommandierenden bezeichnen will, so heißt diese »Oberkommando der Wehrmacht«. Diese Dienststelle umfaßt den Oberkommandierenden selbst, also Hitler und seine Gehilfen, seinen Stab.
Der Führererlaß vom 4. Februar 1938, der die Überschrift: »Erlaß
über die Führung der Wehrmacht« trägt, hat durch seine unglückliche und
unklare Formulierung einen für den Angeklagten Keitel verhängnisvollen Irrtum
zur Folge gehabt, nämlich die Auffassung, daß der in dem zitierten Erlaß vom 4.
Februar 1938 erwähnte »Chef OKW«, der Chef, gleich Leiter des Oberkommandos der
Wehrmacht, sei. Nun geht zwar aus dem Erlaß hervor, daß Chef OKW bedeuten soll:
Chef des Stabes OKW, also Chef der Kanzlei Hitlers in seiner Eigenschaft als
Oberkommandierender der Wehrmacht. Aber wenn seitdem die Rede vom OKW war und
ist, denkt jedermann an Keitel, ohne zu prüfen, ob damit gemeint ist:
OKW-Oberkommandierender der Wehrmacht, OKW- Dienststelle des
Oberkommandierenden der Wehrmacht, oder OKW-Stab der Dienststelle des
Oberkommandierenden der Wehrmacht.
Die Anklagebehörde macht keinen Unterschied, ebenso wie die deutschen
Dienststellen den Unterschied auch nicht genau kannten, jedenfalls nicht be
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertdreiundsiebzigster Tag. Montag, 8. Juli 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 22593 (vgl. NP Bd. 17, S. 697 ff.)]
achteten. Es galt für sie, wie jetzt für die Anklagebehörde, daß das OKW für alles, was mit der Wehrmacht oder Wehrmachtsangehörigen in Zusammenhang stand, in Anspruch genommen und zur Verantwortung gezogen wurde. Von da bis zur persönlichen Inanspruchnahme Keitels auf Grund der Bezeichnung »Chef OKW« ist nur ein kurzer Weg. Für Deutsche und Ausländer wirkte die Beurteilung, die nicht auf einer staatsrechtlichen Untersuchung basierte, die Erinnerung an den ersten Weltkrieg mit. Das Verhältnis Hitlers zu Keitel weckte den Vergleich des Kaisers zu von Hindenburg. Dieser Vergleich hatte für den Angeklagten Keitel Folgen, die sich in diesem Prozeß auswirken.
Ohne
sich über die grundlegenden Unterschiede zwischen von Hindenburg als Chef des
Großen Generalstabs, der bis 1918 bestand, und Keitel als dem Chef des
militärischen Arbeitsstabes Hitlers Gedanken zu machen, und ohne zu wissen,
welches die Zuständigkeit Keitels war und welche Möglichkeiten Keitel auf Grund
der ihm übertragenen Funktionen gegenüber Plänen und Maßnahmen Hitlers hatte,
zog man Vergleiche, die in bedenklicher Weise gegen Keitel ausfielen.
Als nun noch - nach dem Eintritt der Katastrophe -
Keitel auch wieder in eine äußerlich ähnliche Rolle des Repräsentanten der
Wehrmacht kam, als er weisungsgemäß die Unterfertigung der bedingungslosen
Kapitulation vollziehen mußte, fiel auch dieser Vergleich naturgemäß wieder zum
Nachteil von Keitel aus. Die Menschen fragen nicht nach Zuständigkeiten, wenn
die Dinge schlecht gehen, sondern sie suchen nach einem Schuldigen, und der
Schuldige wird nach dem äußeren Schein beurteilt. Es liegt nahe, die starke
Beachtung, die man der Persönlichkeit Keitels in diesem Prozeß schenkt, zu
einem beachtlichen Teil auf die Tatsache zurückzuführen, daß Keitel nach dem
Tode Hitlers in das Rampenlicht der Öffentlichkeit getreten ist.
Um klar zu sehen, welche Rolle Keitel nun in Wirklichkeit gespielt hat
und welcher Anteil ihm an dem Ablauf des Gesamtgeschehens zukommt, will ich
nach der Prüfung seiner gesetzmäßigen Zuständigkeiten nunmehr untersuchen,
welchen tatsächlichen Einfluß er auf die Entwicklung und Durchführung der
Maßnahmen hatte, deren Auswirkungen den Gegenstand dieses Prozesses bilden. Und
wir wissen aus der Erfahrung des täglichen Lebens, daß es nicht so sehr darauf
ankommt, was ein Mensch in einer bestimmten Dienststellung sein soll, sondern
was er kraft seiner Persönlichkeit daraus macht. Ich glaube, sagen zu dürfen,
daß im Verlaufe dieses Prozesses die Persönlichkeit keines anderen Angeklagten
so verschiedenartigen und sich widersprechenden Beurteilungen unterlegen hat
wie die des Angeklagten Keitel.
Maßgebend für die materielle Verantwortlichkeit
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertdreiundsiebzigster Tag. Montag, 8. Juli 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 22595 (vgl. NP Bd. 17, S. 697 ff.)]
Keitels ist seine tatsächliche Position im
Kräftespiel mit und um Hitler, sein effektiver Einfluß in diesem Kreis und
damit die Gesamtheit der Umstände, die für die Auswirkungen der Zentrale Hitler
auf militärischem Gebiet kausal sein könnten.
Diesen grundlegenden Komplex werde ich im Zusammenhang mit den
Beschuldigungen behandeln, die die Anklagebehörde auf Grund des Kreuzverhörs
Dr. Gisevius',
also nach Abschluß des Beweisverfahrens Keitel gegen diesen und gegen andere
Angeklagte erhoben hat.
Die Aussage Dr. Gisevius' hat für den Angeklagten Keitel und durch die umfassende Fragestellung von Justice Jackson und die von Dr. Gisevius erteilten Antworten eine entscheidende ungeheuerliche Bedeutung gewonnen.
Wäre es wahr, was Dr. Gisevius über Keitel ausgesagt hat, das heißt, was
er auf Grund von Informationen in die Form von meist urteilsmäßigen
Feststellungen gekleidet hat, dann hätte der Angeklagte Keitel in seinem
Beweisverfahren nicht die Wahrheit gesagt.
Die Bedeutung dieses Umstandes wird klar, wenn man
berücksichtigt, daß eine negative Entscheidung über seine Glaubwürdigkeit die
ganze Verteidigung Keitels, die sich ja in der Hauptsache auf den subjektiven
Tatbestand bezieht, zerstören müßte. Diese Tatsache und die Bedeutung, die die
Aussagen des Zeugen Gisevius auch für andere Angeklagte hat, haben es mir zur
Pflicht gemacht, nichts unversucht zu lassen, den Widerspruch zwischen der Einlassung
Keitels und den Aussagen des Zeugen Gisevius aufzuklären.
Es ist eine Erfahrungstatsache, daß die besten Zeugen die toten sind,
weil die Wiedergabe ihrer angeblichen Äußerungen unmittelbar nicht widerlegt
werden kann. Eine andere Gruppe fast unwiderlegbarer Aussagen ist die
Zeugenbekundung auf Grund von Informationen.
In der Aussage Gisevius' sind beide Möglichkeiten kombiniert, indem er
seine Aussage auf Informationen meist toter Zeugen stützt.
Justice Jackson hat Dr. Gisevius als Kronzeugen für seinen globalen
Angriff auf den Angeklagten Keitel benutzt; er hat nach Beendigung des
Beweisverfahrens gegen Keitel nicht einen Einzeltatbestand, sondern die ganze
Anklage und die Gesamtbeurteilung der Einlassung Keitels aufgerollt.
Die Gegenbeweisführung richtet sich einmal, soweit möglich, auf den
Nachweis der objektiven Unrichtigkeit der auf Informationen bestimmter Personen
gestützten Tatsachen, sodann auf den Nachweis der Unzuverlässigkeit der
Informationen. Ich erinnere an die Worte, die der Angeklagte Keitel
abschließend bei seiner Vernehmung durch mich auf dem Zeugenstand
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertdreiundsiebzigster Tag. Montag, 8. Juli 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 22597 (vgl. NP Bd. 17, S. 698 ff.)]
unter Eid gesagt hat:
»Man mag mir Irren und Irrtum, man mag mir falsches Handeln und Schwäche
gegenüber dem Führer Adolf Hitler zum Vorwurf machen, man soll mir aber nicht
nachsagen, daß ich feige war, daß ich unwahrhaftig war und daß ich treulos
war.«
Ich fasse die Beschuldigungen gegen den Angeklagten Keitel, die sich auf Befragung der Anklagebehörde ergeben haben, in gedrängter Kürze wie folgt zusammen:
1. Keitel schuf einen undurchdringlichen Ring um
Hitler, damit dieser nichts erfuhr.
2. Keitel gab Berichte, die ihm
Canaris vorgelegt hatte, an Hitler nicht weiter, wenn diese Berichte Greuel,
Verbrechen und dergleichen enthielten, oder er gab den Befehl, Änderungen
vorzunehmen.
3. Keitel hatte einen ungeheuren Einfluß auf das
OKW und die Armee.
4. Keitel drohte seinen Untergebenen, wenn sie
politische Äußerungen machten, daß er sie nicht schützen werde, ja er sagte,
daß er sie der Gestapo ausliefern werde.
Dr. Gisevius sagt an einer Stelle seiner Aussage, Keitel habe keinen
Einfluß auf Hitler gehabt. Er entlastet Hitler, indem er ausführt, Keitel habe
einen Ring um Hitler geschaffen, damit dieser nichts erfuhr.
Die Englische und Amerikanische Anklagebehörde hat in der Anklage Keitel
einen mächtigen Stabsoffizier genannt, der auf Hitler großen Einfluß ausgeübt
habe; die Französische Anklagebehörde hat Keitel als ein willfähriges Werkzeug
Hitlers bezeichnet; die deutschen Generale haben ihn JA-Sager genannt, der
nichts durchsetzen konnte; und jetzt wächst Keitel nach der Aussage des Dr. Gisevius
zum eigentlichen Akteur und Betreuer Hitlers, der diesem alles Schlechte
vorenthielt, ihm nur das vorlegte, was ihm - Keitel - paßte und keinen Menschen
an Hitler heranließ.
Die behauptete Verhinderung des Zutritts zu Hitler durch Keitel kann nur jemand behaupten, der die Verhältnisse um Hitler nicht kannte. Vor dem Krieg amtierte Keitel in Berlin in der Bendlerstraße, während Hitler in der Wilhelmstraße saß. Keitel kam in der Woche etwa einmal zum Vortrag oder auf besonderen Befehl. In dieser Zeit war es Keitel auf Grund der räumlichen Verhältnisse überhaupt nicht möglich, auf den Zutritt zum Führer einen Einfluß auszuüben.
Ebensowenig war dies möglich, wenn Hitler auf dem Berghof bei
Berchtesgaden wochenlang war, während Keitel in Berlin saß.
Mit Beginn der Operationen war Keitel mit Jodl und dem
Wehrmachtführungsstab im Führerhauptquartier. Auch hier bestand eine
räumliche Trennung. Keitel saß nicht etwa im Vorzimmer Hitlers, sondern in
anderen Gebäuden beziehungsweise Baracken. Er
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertdreiundsiebzigster Tag. Montag, 8. Juli 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 22599 (vgl. NP Bd. 17, S. 699 ff.)]
kam mit Generaloberst Jodl jeweils
zur Lagebesprechung, an der außer Hitler etwa 15 oder 20 Offiziere aller drei Wehrmachtsteile
teilnahmen; außerhalb der Lagebesprechungen bestand kein räumlicher Kontakt.
Wenn Hitler etwas von Keitel wollte, ließ er ihn rufen.
Persönlich und räumlich bestand in Berlin eine nähere Berührung zwischen
Hitler, seinen Adjutanten, dem Chef der Parteikanzlei, dem Chef der
Präsidialkanzlei und dem Chef der Reichskanzlei.
Keitel konnte nicht nur nicht bestimmen, wer zu Hitler kommen konnte, er
hatte auch keine Möglichkeit zu verhindern, daß jemand zu Hitler kam.
Die Nachrichtenquellen für Hitler waren für das jeweilige Ressort
die zuständigen Chefs; zum Teil war es, wie ich schon ausgeführt habe,
undurchsichtig, woher Hitler seine Nachrichten bezog.
Gisevius kannte diese Verhältnisse aus eigener Erfahrung nicht; er war
selbst nie in der Nähe Keitels, der ihn nie gesehen oder gesprochen hat und
dessen Namen er nicht kannte. Wenn er hier ein Urteil ausgesprochen hat, so hat
er sich dies nur aus Mitteilungen von Canaris, Thomas
und Oster gebildet.
Zu dieser Frage ist der Generaloberst Jodl gehört worden. Dieser ist
wohl der beste Zeuge für diese Frage, denn er lebte ebenso wie Keitel in der
unmittelbaren Nähe Hitlers, hat also ein eigenes Urteil. Er hat in dieser Sache
ausgesagt:
»Leider konnte Hitler nicht abgeriegelt werden.
Viele Kanäle für Nachrichten gingen unmittelbar zu ihm.«
Auf meine Befragung hat Jodl - auf Anregung des Tribunals - global
bestätigt, daß das, was Keitel ausgesagt hat, ausschließlich richtig sei; was der
Zeuge Gisevius in dieser Hinsicht gesagt habe, seien allgemeine Redensarten.
Die Mitangeklagten Großadmiral Raeder und Dönitz
haben bestätigt, daß die Behauptung des Zeugen Gisevius unrichtig sei,
wonach Keitel die Oberbefehlshaber der Wehrmachtsteile von Hitler hätte
fernhalten können. Ist das aber nicht der Fall, so war der Weg von den
Wehrmachtsteilen zu Hitler jederzeit frei. Durch die Beweisaufnahme ist
ebenfalls festgestellt, daß außer Jodl, dem Chef des
Wehrmachtführungsstabes, auch gerade Canaris unmittelbaren Zutritt zu
Hitler hatte.
Damit erweist sich die Beschuldigung des Zeugen Gisevius, Keitel habe
einen Ring um Hitler gebildet, als irrig.
2. Die Behandlung der Berichte.
Der Zeuge Gisevius hat ausgesagt, es seien Keitel Berichte über Greuel
im Zusammenhang mit Deportationen, Ausrottung der Juden. Konzentrationslager,
Kirchenverfolgung und Tötung von Geisteskranken durch Canaris vorgelegt worden,
die dieser Hitler vorenthalten habe. Ebenso sei es mit Berichten
des Gene
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertdreiundsiebzigster Tag. Montag, 8. Juli 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 22601 (vgl. NP Bd. 17, S. 700 ff.)]
rals Thomas, des Chefs des Wehrwirtschaftsamtes gewesen, die das Ziel hatten, Hitler über das Kriegspotential der Gegner zu unterrichten und ihn zur Vernunft zu bringen.
Was die Berichte des Admirals Canaris betrifft, so ist zu sagen, daß dieser als Chef der Spionage und Abwehr selbstverständlich laufend Berichte lieferte, die die Kriegführung einschließlich der wirtschaftlichen Kriegführung betrafen.
Hier wird nun behauptet, daß Berichte über Gebiete vorgelegt worden
seien, die, weder zur Zuständigkeit des Amtes Abwehr noch zu der des OKW
gehörten. Es ist bewiesen worden, daß Hitler streng darauf achtete, daß jeder
Bearbeiter sich auf sein Sachgebiet beschränkte und insbesondere den
militärischen Dienststellen verboten war, sich mit politischen Angelegenheiten
zu befassen.
カイテル・・・ユダヤ人絶滅や強制収容所について何も知らなかった、と宣誓供述。
ギゼヴィウス証言・・・カナリスがカイテルに報告書を提出していたので知っていたはず。。。
Keitel hat unter seinem Eid erklärt, daß Ihm von den Greueln,
insbesondere von der Ausrottung der Juden und den Konzentrationslagern nichts
bekannt gewesen sei. Hiermit steht die Behauptung des Zeugen Gisevius in
unvereinbarem Widerspruch, daß Canaris dem Angeklagten Keitel Berichte über die
angeführten Gebiete vorgelegt habe.
Man kann behaupten, daß Berichte irgendwelcher Art Keitel übergeben
worden seien, ohne befürchten zu müssen, daß eine Widerlegung erfolgen kann.
Man kann es insbesondere dann, wenn man nicht zu befürchten braucht, daß diese
Berichte gefunden werden, denn wenn sie nicht übergeben sind, können sie auch
nicht gefunden werden, weil sie nicht vorhanden sind.
Nun
hat Gisevius ausgesagt, daß er von Anfang an Dokumente gesammelt hat, die
belastendes Material enthielten. Ist es unter diesen Umständen nicht
verwunderlich, daß bisher keiner dieser Berichte vorgelegt worden ist? Soweit
sie im OKW vorhanden waren, sind sie auch Gegenstand der Anklage und
Beweisführung gewesen. Kann es unter diesen Umständen genügen, wenn ein Zeuge
aussagt, er wisse von Dritten, daß solche Berichte Keitel vorgelegt worden
seien?
Canaris, infolge seiner besonderen
Stellung, die ihn mit persönlichen geheimen Aufträgen Hitlers dauernd ins
Ausland führte, hatte jederzeit Zutritt zu Hitler. Er hätte also Gelegenheit
gehabt, Hitler unmittelbar aufzusuchen, wenn er so schwere Gewissensbedenken
hatte, wie dies Gisevius ausgesagt hat. Warum hat er es nicht getan?
Nun hat Gisevius, der im allgemeinen globale und urteilsmäßige
Beschuldigungen ausgesprochen hat, zum Glück für Keitel an einer einzigen
Stelle seiner Aussage positive Angaben gemacht, die eine objektive Nachprüfung
gestatten. Ich zitiere:
»... Ich glaube, daß ich auch noch zwei Beispiele erwähnen soll, die mir
von besonderer Kennzeichnung
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertdreiundsiebzigster Tag. Montag, 8. Juli 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 22603 (vgl. NP Bd. 17, S. 701 ff.)]
sind: Erstens wurde mit allen Mitteln versucht, den Feldmarschall Keitel
zu bewegen, Hitler vor dem Einmarsch in Holland und Belgien zu warnen und ihm,
das heißt Hitler, mitzuteilen, daß die von Keitel vorgelegten Informationen
über die angebliche Neutralitätsverletzung der Holländer und Belgier falsch
seien. Die Abwehr sollte ja diese, die Holländer und Belgier inkriminierenden
Berichte anfertigen.
Der Admiral Canaris weigerte sich damals, diese
Berichte zu unterschreiben. Ich bitte, dies nachzuprüfen. Er hat Keitel wiederholt
gesagt, daß dieser angeblich vom OKW angefertigte Bericht falsch sei. Das ist
das eine Beispiel, wo Herr Keitel nicht weitergegeben hat an Hitler, was er ja
weitergeben sollte...«
Ich habe Generaloberst Jodl hier auf dem Zeugenstand das Dokument
790-PS, das sich auf den Fall des Weißbuches über die
Neutralitätsverletzungen Hollands und Belgiens bezieht, vorgelegt. Jodl
hat wörtlich bekundet, ich zitiere:
»... Ich verstehe die Frage und möchte ganz kurz die Tatsache feststellen, wie es möglich war, soweit mich nicht der Ekel im Halse würgt. Ich war dabei, als Canaris mit dieser Vortragsnotiz in die Reichskanzlei kam zum Feldmarschall Keitel und ihm den Entwurf des Weißbuches des Auswärtigen Amtes vorgelegt hat.
Feldmarschall Keitel hat dann dieses Buch
durchgesehen, vor allem die wesentlichen Bemerkungen angehört, die Canaris auf
Wunsch des Auswärtigen Amtes gemacht hat, nämlich, daß die Nachrichten
vielleicht noch etwas verbesserungsbedürftig seien, daß er bestätigen solle, daß eine militärische
Aktion unbedingt gegen Holland und Belgien notwendig sei und daß noch, wie es
hier ausgedrückt ist, eine letzte wirkliche eklatante Verletzung der
Neutralität fehle. Bevor Canaris ein Wort gesagt hat, hat Feldmarschall Keitel
das Buch auf den Tisch geworfen und gesagt: 'Das verbitte ich mir, wie komme
ich überhaupt dazu, eine Verantwortung zu übernehmen für einen politischen
Entschluß? In dem Weißbuch stehen Wort für Wort wahr und richtig diejenigen
Meldungen, die Sie selbst, Canaris, mir gebracht haben.'
Daraufhin hat Canaris
gesagt: 'Ich bin ganz genau derselben Auffassung. Es ist auch meiner Ansicht
nach vollkommen überflüssig, dieses Dokument von seiten der Wehrmacht unterschreiben
zu lassen und die Meldungen, die wir hier haben in ihrer Gesamtheit, sind
vollkommen ausreichend, um die Neutralitätsverletzungen, die in Holland und
Belgien stattgefunden haben, zu begründen.'
Und er hat dem
Feldmarschall Keitel abgeraten, es überhaupt zu unterschreiben. So hat sich das
abgespielt. Der Feldmarschall Keitel hat das Buch dann mitgenommen, und ich
weiß nicht, wie der weitere Verlauf war...«
Keitel hat das Weißbuch nicht unterschrieben.
Damit ergibt sich im einzigen nachprüfbaren Fall ein klarer Beweis für
die Unrichtigkeit der Zeugenaussage Gisevius'.
3. Keitel hat nach der Aussage des Zeugen Gisevius einen ungeheuren
Einfluß auf das OKW und die
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertdreiundsiebzigster Tag. Montag, 8. Juli 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 22605 (vgl. NP Bd. 17, S. 702 ff.)]
Armee ausgeübt. Diese Worte wirken ohne jede
Angabe konkreter Tatsachen aus dem Munde eines Mannes, der mit Keitel keinerlei
Berührung hatte, als Phrase. Sie werden durch die Aussagen des Reichsmarschalls
Göring, der Großadmirale Dönitz und Raeder widerlegt. Jodl hat diese Behauptung
als Redensart bezeichnet.
Soweit der Zeuge von dem ungeheuren Einfluß auf das OKW spricht, muß fraglich erscheinen, was der Zeuge überhaupt meint. Selbstverständlich hatte Keitel im OKW als der Chef des Stabes den Einfluß, der sich aus seiner Dienststellung, die ich schon behandelt habe, ergab. Wie er zu seinen Untergebenen stand, wird noch behandelt. Worauf es aber ankommen muß, ist, ob Keitel auf das Geschehen einen bestimmenden und schuldhaften Einfluß hatte; daß das nicht der Fall war, das hat sogar Gisevius bestätigt, ebenso daß er auf die Wehrmachtsteile ohne bestimmenden Einfluß war; das steht auch durch die Beweisaufnahme fest.
4. Ein besonders verletzender Vorwurf gegen den Angeklagten Keitel war:
»daß er, statt sich vor seine, das heißt die ihm unterstellten Offiziere
zu stellen und sie zu schützen, sie bedroht hat, er werde sie der Gestapo
übergeben«.
Demgegenüber steht fest, daß in den Jahren bis
1944 kein Amtschef im OKW entlassen wurde, ferner, daß bis zum 20. Juli 1944 -
dem Tage des Attentates und des Überganges der Gerichtsbarkeit im Heimatheer an
Himmler - kein Offizier des OKW der Polizei überstellt wurde. Der Großadmiral
Dönitz hat bestätigt, daß die Wehrmachtsteile und das OKW peinlich darauf
bedacht waren, die Gerechtsame der Wehrmacht gegenüber der Polizei
aufrechtzuerhalten.
Das Gericht hat hier auch gesehen, wie Generaloberst Jodl über sein
Verhältnis zu dem Angeklagten Keitel gesprochen hat. Ich glaube, daß diese
Bemerkung ein besonderes Gewicht hat, nicht nur, weil Keitel mit dem dienstlich
unterstellten Generaloberst Jodl während der langen Jahre der Zusammenarbeit
kameradschaftlich und freundschaftlich verkehrte.
So selbstverständlich das erscheinen mag, so wenig selbstverständlich
ist es, wenn man bedenkt, daß Jodl trotz dienstlicher Unterstellung in
Wirklichkeit mehr und mehr der alleinige strategische Berater Hitlers wurde.
Was das bei dem Übergewicht der operativen Aufgaben im Kriege bedeutet, ist hier
durch den Generaloberst Jodl überzeugend dargelegt worden.
Wenn Keitel dies ohne Eifersucht und in uneingeschränkter Anerkennung
der Überlegenheit seines Untergebenen Jodl auf diesem Gebiete hinnahm, so
beweist dies einen Charakterzug Keitels, der die auf dunkler Quelle beruhenden
Informationen des Zeugen Gisevius als unwahr widerlegt.
Unvereinbar mit der entgegenstehenden Behaup
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertdreiundsiebzigster Tag. Montag, 8. Juli 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 22607 (vgl. NP Bd. 17, S. 703 ff.)]
tung des Zeugen Gisevius ist auch die bezeugte
Tatsache, daß Keitel mit dem ihm unterstellten Amtschef Canaris
freundschaftlich und kameradschaftlich verkehrte.
Es muß in diesem Zusammenhang auf die nicht von Keitel vorgelegte,
sondern ohne seine Zustimmung von Jodl bezeugte Tatsache hingewiesen werden,
daß Keitel nach der Verhaftung von Canaris dessen Familie unterstützt und ihr
geholfen hat.
Ich weise hierauf nur hin, um den vielleicht schwersten persönlichen
Vorwurf zu widerlegen, Keitel habe sich als Vorgesetzter gegen seine
Untergebenen unanständig benommen und seine - gerade im militärischen Leben
besonders wirksame - Vorgesetztenstellung bis zur Gewaltandrohung mißbraucht.
In Wirklichkeit hat nach der Bekundung von Gisevius der Admiral Canaris
nicht nur dienstlich ein Doppelspiel getrieben, sondern auch dem Angeklagten
Keitel gegenüber unter Ausnutzung der ihm entgegengebrachten Freundschaft eine
gleiche Einstellung zum Ausdruck gebracht, während er offenbar im Kreise seiner
Gruppe über Keitel in gehässiger Weise sprach.
Abschließend ist in diesem Zusammenhang noch auf die Aussagen des Zeugen
von Buttlar-Brandenfels zu verweisen, aus denen sich ergibt, daß Keitel die
Offiziere des Wehrmachtführungsstabes immer wohlwollend behandelte.
Der Zeuge erwähnt einen ihn selbst und den Oberstleutnant von Ziervogel betreffenden
Streit mit Himmler, in welchem sich Keitel, dem der Vorfall gemeldet wurde,
sofort energisch schriftlich zum Schutz seiner Untergebenen gegen Himmler
einsetzte. Auch das Affidavit des Amtschefs im Amt Canaris, Admiral
Bürkner, auf das ich Bezug nehme, bezeugt in gleicher Weise die wohlwollende
Haltung und Behandlung Keitels gegenüber seinen Untergebenen.
Es muß allerdings zur Klarstellung gesagt werden, daß Keitel manchesmal
Veranlassung hatte, mit energischen Worten zu seinen Amts- und Abteilungschefs
zu sprechen.
Ich lege dann weiter dar, daß die Offiziere sich gewöhnlich nicht mit
Politik befaßten und daß sie erst, als die Lage schlechter wurde, politische
Nachrichten zum Gegenstand ihrer Erörterungen machten; hierzu füge ich an, daß
Keitel tatsächlich mit Worten seine Stellungnahme klargemacht hat. Diese waren
auf der Voraussetzung fundiert, daß die Soldaten im Kriege ihre Treue und ihren
Gehorsam bezeugen müßten. Wenn Keitel jemals etwas davon hören würde, würde er
diese Offiziere zur Rede stellen.
Dr. Gisevius hat selbst hier ausgesagt, daß es den Offizieren streng
verboten war, sich mit politischen Fragen zu befassen. Der Angeklagte Keitel
hat bekun
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertdreiundsiebzigster Tag. Montag, 8. Juli 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 22609 (vgl. NP Bd. 17, S. 704 ff.)]
det, Hitler habe mehrfach mit Entschiedenheit zum
Ausdruck gebracht, daß die Politiker sich nicht mit militärischen Fragen
befassen dürften, weil sie nichts davon verstünden, aber ebenso auch die
Generale keine Politik zu treiben hätten, weil sie nichts davon verstünden.
Die grundsätzliche Einstellung Hitlers in dieser Frage zeigt sich in der
Anordnung 1936 oder Winter 1936/1937, durch welche die politische
Berichterstattung an oder für die Wehrmacht untersagt wurde. Hitler wünschte in
logischer Durchführung des Führerbefehls Nummer 1 nicht nur die absolute Trennung
der Arbeitsgebiete, sondern auch, daß ein Ressort nicht einmal über die
Vorgänge in einem anderen Ressort unterrichtet werden sollte. Es war nur
folgerichtig, daß Hitler jede Erörterung politischer Fragen durch Offiziere auf
das strengste verbot und daß der Angeklagte Keitel in Durchführung dieses
Verbots, das Keitel selbst für richtig hielt, seinen Offizieren bei gegebenen
Anlässen vorhielt, solche Erörterungen zu unterlassen.
Es liegt auf der Hand, daß es sich hier nicht um die akademische Erörterung
politischer Probleme gehandelt hat, sondern um eine erkennbar werdende
ablehnende Haltung gegenüber der Einstellung des Obersten Befehlshabers der
Wehrmacht. Solange die Dinge erfolgreich verliefen, gab es das nicht. Seit
Stalingrad konnte man Äußerungen feststellen, die damals von Keitel als
Äußerungen schwächlicher Naturen bezeichnet wurden.
Entsprechend seiner Grundeinstellung, daß der Soldat im Kriege seine
phrasenlose, selbstverständliche Treue gegenüber seinem Volk und Vaterland,
repräsentiert durch das Staatsoberhaupt und Obersten Befehlshaber der
Wehrmacht, in ganz besonderem Maße dann zeigen müsse, wenn Rückschläge
eintreten, war Keitel tatsächlich rücksichtslos in der Verurteilung solcher
Äußerungen. Er wünschte auch nicht den Schein aufkommen zu lassen, als sei er
anderer Ansicht als sein Vorgesetzter, als habe er persönlich Befürchtungen.
Ich fahre fort auf Seite 90 unten:
Keitel tat dies mit »Worten«. Das soll nicht heißen, daß dies eine
Tarnung war und nicht seiner inneren Einstellung entsprach; es soll aber
bedeuten, daß die vielleicht manchmal rauhe und schroffe Form, in der der
Angeklagte Keitel zu seinen Offizieren sprach, auch nicht in einem Fall dazu
geführt hat, daß ein Offizier deshalb bestraft oder gemaßregelt wurde. Dr.
Gisevius wollte doch wohl zum Ausdruck bringen, daß Keitel seine Untergebenen
im OKW in einer moralisch verwerflichen Weise behandelt habe.
Er selbst hat den Angeklagten Keitel nicht persönlich gekannt, kann also
nichts aus eigener Kenntnis
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertdreiundsiebzigster Tag. Montag, 8. Juli 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 22611 (vgl. NP Bd. 17, S. 705 ff.)]
sagen, er war auf die Information derjenigen Offiziere angewiesen, die innerlich zu Feldmarschall Keitel in einem unüberbrückbaren Gegensatz standen, ohne daß dieser Gegensatz jemals erkennbar wurde. Man ist zu keiner Zeit an Keitel herangetreten, der Verschwörung beizutreten. Das ist verständlich, da die Verschwörer nach der Kenntnis des Charakters und der soldatischen Einstellung Keitels keinen Erfolg erwarten konnten. Da andererseits Keitel völlig ahnungslos war, was keines Beweises bedarf, ergibt sich das folgende Bild:
Keitel wußte nichts von einer Verschwörertätigkeit; was ihm entgegentrat
erschien in einer Form sachlicher Bedenken oder persönlicher Bemerkungen, die
Keitel dienstlich behandelte, und zwar wie ein wohlwollender Vorgesetzter, der,
wie man bei uns sagt, schnauzt, es aber nicht so meint, und von dem die
Untergebenen sagten, er bellt, aber er beißt nicht.
Umgekehrt mußten die sogenannten Verschwörer, in jeder Person, die für
das eigene Ziel kein Verständnis hat, einen Feind sehen. Jedes Handeln und
jedes Wort wird auf die Goldwaage gelegt und mit kritischster Lupe beurteilt.
Da jeder Verschwörer den Erfolg seiner auf den Umsturz gerichteten Tätigkeit
erhofft, muß er für die kommende Abrechnung »Material« sammeln. Dies ist eine
besonders naheliegende Aufgabe für einen zukunftigen Innen- und
Polizeiminister.
Danach ergibt eine objektive Würdigung der durch die Beweisaufnahme
belegten Tatsachen, daß die Beschuldigungen, die sich aus der Zeugenaussage
Gisevius' ergeben haben, nicht richtig sind.
Das Bild wäre jedoch nicht vollständig, wenn man nicht die Persönlichkeit
des Zeugen Gisevius auf Grund seiner eigenen Bekundung beleuchten würde. Diese
Beurteilung setzt sich aus den zwei Faktoren zusammen:
1. Die Laufbahn und die Stellung des Zeugen.
2. Die Zuverlässigkeit seiner Berichterstattung.
Ich habe nun auf Seite 92 im einzelnen angeführt, in welchen Funktionen
dieser Zeuge Gisevius war. Ich habe nichts
hervorgehoben, was ihn etwa von meinem Standpunkt aus beschuldigen könnte, weil
er hier ja das bekundet hat, was Sie alle gehört haben. Ich habe objektiv nur
folgendes festgestellt:
a) Er hat sich mit den ihm von Oster zur Verfügung gestellten falschen Papieren der Wehrpflicht entzogen.
b) Er hat während der ganzen Zeit ab 1933 in
Deutschland gelebt ohne jede Freiheitsbeschränkung und ist im Beamtenverhältnis
geblieben bis 20. Juli 1944.
c) Er war Beamter des Deutschen Reiches, und zwar
bezahlt, mit Ausnahme der Urlaubszeit von Mitte
[Der Nürnberger
Prozeß: Einhundertdreiundsiebzigster Tag. Montag, 8. Juli 1946. Der Nürnberger
Prozess, S. 22613 (vgl. NP Bd. 17, S. 706 ff.)]